Achtes Kapitel.

[497] Von den Vorbedeutungen, welche Don Quixote beim Eingange in sein Dorf aufstießen, nebst andern Begebenheiten, welche diese große Geschichte schmücken und ihr Ehre machen.


Als sie hineinkamen, sah, wie Cide Hamete erzählt, Don Quixote, daß bei den Tennen des Dorfes zwei Jungen miteinander stritten und der eine zu dem andern sagte: »Gib dir keine Mühe, Periquillo, du wirst sie in deinem ganzen Leben nicht zu sehen kriegen.«

Als Don Quixote das hörte, sagte er zu Sancho: »Hörst du wohl, Freund, was der Junge da sagt: Du wirst sie in deinem ganzen Leben nicht zu sehen kriegen?«

»Nun gut, was tut das«, antwortete Sancho, »daß der Junge das gesagt hat?«

»Wie?« versetzte Don Quixote, »siehst du denn nicht ein, daß diese Worte sich auf mich beziehen und alsdann bedeuten, daß ich niemals Dulcinea wiedersehen werde?«

Sancho wollte antworten, aber er wurde unterbrochen, denn über das Feld kam ein Hase, laufend, von vielen Jagdhunden und Jägern verfolgt, zitternd suchte er Schutz unter den Beinen des Grauen und verkroch sich dort. Sancho griff ihn mit der Hand und gab ihn dem Don Quixote, welcher hierauf sagte: »Malum signum, malum signum; der Hase flieht, Jagdhunde verfolgen ihn, Dulcinea erscheint nicht.«

»Ihr seid seltsam«, sagte Sancho; »denn gesetzt, dieser Hase sei auch Dulcinea von Toboso und diese Hunde die schelmischen Zauberer, welche sie verfolgen und die sie in eine Bäuerin verwandelt haben;[498] sie flieht, ich hasche sie und gebe sie in Euere Gewalt, Ihr habt sie in den Armen und streichelt sie; was ist es nun für ein schlimmes Zeichen, oder welche übele Vorbedeutung kann daraus gezogen werden?«

Die beiden Jungen, die sich gezankt hatten, kamen nun herbei, um den Hasen zu sehen, und Sancho fragte den einen, worüber sie gestritten hätten. Und der antwortete, welcher gesagt hatte: Du wirst sie in deinem ganzen Leben nicht zu sehen kriegen, daß er dem andern Jungen Heuschrecken in einem kleinen Käfige weggenommen habe, die er ihm auch in seinem ganzen Leben nicht wiedergeben wolle. Sancho nahm vier Quartos aus der Tasche und gab sie dem Jungen für den Käfig, überreichte diesen hierauf Don Quixote und sagte: »So, gnädiger Herr, sind nun alle diese Vorbedeutungen zerbrochen und vernichtet, die mit unseren Begebenheiten, wie ich nämlich glaube, ob ich gleich nur dumm bin, nicht mehr zusammenhängen als mit den Wolken vom vorigen Jahre; und wenn ich mich recht erinnere, habe ich auch den Pfarrer in unserem Dorfe sagen hören, daß es sich weder für christliche noch verständige Personen schicke, auf dergleichen Kindereien etwas zu geben; Ihr habt es mir auch selber vor einiger Zeit gesagt, als Ihr mir bewiesen, daß alle die Christen Narren wären, die auf Vorbedeutungen achteten, und darum haben wir auch nicht nötig, uns daran zu stoßen, sondern wir wollen geradewegs in unser Dorf hineinziehen.«

Die Jäger kamen und forderten ihren Hasen, den Don Quixote ihnen gab; sie zogen weiter, und am Eingange des Dorfes fanden sie auf einer kleinen Wiese den Pfarrer lesend und den Baccalaureus Simson Carrasco. Sancho Pansa hatte über den Grauen und den Bündel Waffen als Decke den wollenen Rock gebreitet, der mit Feuerflammen bemalt war und den sie ihm im Schlosse des Herzogs angezogen hatten, als Altisidora erweckt wurde. Die spitze Mütze hatte er dem Grauen auf den Kopf gesetzt, wodurch er ihn so abenteuerlich verwandelt und herausgeputzt hatte, daß man niemals einen ähnlichen Esel in der Welt gesehen hat. Sie wurden sogleich von dem Pfarrer und dem Baccalaureus erkannt, die ihnen mit offenen Armen entgegengingen. Don Quixote stieg ab und drückte sie an seine Brust, und die Jungen, welche Augen wie Luchse haben, hatten schon aus der Ferne die spitze Mütze des Esels wahrgenommen und liefen herbei, ihn zu sehen, indem einer zu dem andern sagte: »Kommt, Jungen, und seht den Esel des Sancho Pansa, der wie ein Engel aufgeputzt ist, das Vieh des Don Quixote ist aber noch dürrer, als es sonst war.«

Von den Jungen umringt und von dem Pfarrer und dem Baccalaureus begleitet, kamen sie im Dorfe an und begaben sich nach dem Hause des Don Quixote; vor der Tür desselben fanden sie die Haushälterin und seine Nichte, die schon die Nachricht von seiner Ankunft vernommen hatten. Es fehlte auch nicht, daß sie nicht schon Therese Pansa, die Frau des Sancho, gehört hätte, welche mit niederhängenden Haaren und halb nackt gelaufen kam, ihre Tochter Sanchica an der Hand, um ihren Mann zu sehen, und da sie ihn nicht so herrlich fand, wie sie glaubte, daß ein Statthalter aussehen müsse, sagte sie zu ihm: »So kommst du daher, Mann, zu Fuß und abgerissen, und siehst mehr wie ein Stadtknecht aus als wie ein Statthalter.«

»Schweig, Therese«, antwortete Sancho, »denn man findet an manchen Orten Schwarte, wo es drum keinen Speck gibt, wir wollen nach Hause gehen, und da sollst du Wunderdinge hören. Ich bringe Geld mit, das ist die Hauptsache, durch meinen Fleiß und ohne jemandes Schaden erworben.«

»Wenn du nur Geld mitbringst, liebster Mann«, sagte Therese, »mag es auch so oder so erworben sein, denn wenn du es nur erworben hast, so wirst du immer keine neue Mode in der Welt erfunden haben.«

Sanchica umarmte ihren Vater und fragte ihn, ob er ihr etwas mitbringe, denn sie habe auf ihn gewartet wie auf den Mairegen, wobei sie ihn um den Leib faßte und die Frau seine Hand nahm, die Tochter[499] noch den Grauen führte und sie sich so nach Hause begaben, indem sie Don Quixote in dem seinigen ließen, in der Gewalt seiner Nichte und Haushälterin und in der Gesellschaft des Pfarrers und des Baccalaureus.

Don Quixote, ohne Zeit oder Gelegenheit abzuwarten, begab sich sogleich mit dem Baccalaureus und dem Pfarrer in ein besonderes Zimmer, wo er ihnen kürzlich seine Überwindung erzählte, und wie er in die Verpflichtung verfallen sei, sein Dorf während eines Jahres nicht zu verlassen, welches er auch buchstäblich erfüllen wolle, ohne nur ein Atom zu verletzen, wie es einem irrenden Ritter zieme, der durch das Gesetz der irrenden Ritterschaft zur äußersten Pünktlichkeit verpflichtet sei, daß er aber den Vorsatz gefaßt, sich während dieses Jahres zu einem Schäfer zu machen und in der Einsamkeit der Gefilde zu leben, wo er seinen verliebten Gedanken ganz ungehindert freien Lauf lassen könne, in der Ausübung der schäferlichen und tugendhaften Übungen; er bitte sie auch, wenn sie nicht sehr beschäftigt wären oder doch von wichtigern Dingen daran verhindert würden, seine Gefährten zu werden, denn er wolle Schafe kaufen, hinreichendes Vieh, um den Namen Schäfer führen zu können; wobei sie wissen müßten, daß das Vornehmste in dieser Sache schon geschehen sei, denn er hätte ihre Namen schon so schön ausgesonnen, daß man sie nicht besser wünschen könne.

Der Pfarrer bat ihn, daß er sie sagen möchte. Don Quixote antwortete, daß er der Schäfer Quixotiz heißen werde, der Baccalaureus der Schäfer Carrascon, der Pfarrer der Schäfer Pfarriand und Sancho Pansa der Schäfer Pancino. Alle erstaunten über diese neue Narrheit des Don Quixote; damit er aber mit seiner Ritterschaft nicht von neuem aus dem Dorfe liefe, indem sie hofften, daß er in dem Jahre wohl hergestellt werden könnte, gingen sie in seine neue Absicht ein und lobten seine Narrheit als sehr verständig, wobei sie sich zu Gefährten seiner Lebensweise anboten; »und da ich nun«, sagte Simson Carrasco, »wie es die ganze Welt weiß, ein sehr berühmter Poet bin, so werde ich auf jedem Schritte Schäferlieder oder zierliche Gedichte verfertigen, oder wie sie mir am besten geraten, womit wir uns in den Feldern, welche wir bewohnen werden, unterhalten können; was aber das nötigste ist, meine Herren, ist, daß sich jeder den Namen einer Schäferin aussucht, die er in seinen Versen preisen will, damit wir alsdann keinen Baum, wenn er auch noch so hart ist, verschonen, in welchen wir diesen Namen nicht schreiben und eingraben, wie es bei den verliebten Schäfern üblich und gebräuchlich ist.«

»Das ist gar vortrefflich«, antwortete Don Quixote, »doch bin ich dessen entübrigt, den Namen einer erdichteten Schäferin zu suchen, denn hier haben wir ja schon die unvergleichliche Dulcinea von Toboso, den Ruhm dieser Felder, den Schmuck dieser Wiesen, den Inbegriff der Schönheit, die Blüte der Anmut, und kurz, den Gegenstand, welchen keine Lobeserhebung erreicht, wenn sie auch noch so hyperbolisch ist.«

»Das ist wahr«, sagte der Pfarrer; »wir aber wollen uns handlichere Schäferinnen suchen, die, wenn sie uns auch weniger zu Herzen gehen, doch gut zum Scherzen sind.«

Worauf Simson Carrasco hinzufügte: »Und wenn sie uns fehlen, so nehmen wir die Namen aus den gedruckten Büchern, womit die Welt angefüllt ist; die Phillidas, Amarillis, Dianas, Fleridas, Galateas, Belisardas, die, da sie auf den öffentlichen Märkten feil sind, wir wohl an uns kaufen und für unsre eignen halten dürfen. Wenn meine Dame oder, richtiger zu reden, meine Schäferin vielleicht Anna heißt, so besinge ich sie unter dem Namen Annarda, heißt sie Franziska, so nenne ich sie Franzenia, wenn Luzia, Luzinda, denn so müssen sich alle endigen, und wenn Sancho Pansa in unsere Gemeinschaft treten wollte, so kann er seine Frau Therese Pansa unter dem Namen Theresaina besingen.«

Don Quixote lachte über die Veränderung der Namen, und der Pfarrer lobte unendlich seinen herrlichen und ehrenvollen Entschluß und erbot sich von neuem, ihm die ganze Zeit über Gesellschaft zu[500] leisten, welche er nach seiner harten Verpflichtung feiern müsse. Hiermit nahmen sie Abschied von ihm und baten und ermahnten ihn, für seine Gesundheit Sorge zu tragen und sich so zu verpflegen, wie es ihm heilsam sei.

Das Schicksal wollte, daß seine Nichte und die Haushälterin das Gespräch der drei mit angehört hatten, wie daher jene fort waren, gingen sie beide zu Don Quixote, und die Nichte sagte zu ihm: »Was ist denn das wieder, Herr Oheim? Nun, da wir dachten, Ihr wärt in Euer Haus zurückgekommen, um ruhig und anständig zu leben, nun wollt Ihr Euch in neue Labyrinthe verwickeln und gar werden


Schäferlein, du, der du kommst,

Schäferchen, du, der du gehst?


O aber, wahrhaftig, dazu ist das Rohr zu alt, nun noch Pfeifen daraus zu schneiden.«

Die Haushälterin fügte hinzu: »Könnt Ihr es denn wohl auf dem Felde in der Hitze des Sommers, bei der Kälte des Winters und bei dem Heulen der Wölfe aushalten? Nein wahrhaftig, denn das ist ein Stand für starke und abgehärtete Menschen, die dazu fast von der Brust und von den Windeln aufgezogen werden: und soll ja ein Unglück sein, so ist der irrende Ritter noch besser als der Schäfer. Bedenkt Euch, gnädiger Herr, und nehmt meinen Rat an, denn ich gebe ihn nicht, da ich Brot und Wein übermäßig zu mir genommen habe, sondern ich bin ganz nüchtern, auch schon in meinem Alter über die funfzig hinaus; bleibt in Euerm Hause, verwaltet Euer Vermögen, geht oft zur Beichte, teilt den Armen mit, und ich will es auf mein Gewissen nehmen, wenn Ihr unrecht darin tut.«

»Schweigt, meine Kinder«, antwortete Don Quixote, »denn ich weiß am besten, was mir obliegt; bringt mich zu Bette, denn es ist mir, als sei ich nicht ganz wohl, und seid überzeugt, daß, ich mag irrender Ritter oder ein Schäfer in der Irre sein, ich es nicht unterlassen werde, immer denjenigen beizustehen, welche meiner bedürfen, wie Ihr es durch die Tat sehen sollt.« Und die guten Kinder – denn dies waren sie wirklich –, Haushälterin und Nichte, brachten ihn zu Bett, wo sie ihm zu essen gaben und ihn so gut als möglich verpflegten.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 497-501.
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