Treue Liebe

[243] (Litauisch)


Es schallten muntre Lieder

Hell durch den Fichtenwald,

Es kam ein muntrer Reiter

Zum Försterhause bald.


Frau Muhme, guten Morgen,

Wo bleibt die Liebste mein? –

Sie lieget, krank zum Sterben,

Im obern Kämmerlein.
[243]

Er stieg in bittern Tränen

Die Treppe wohl hinauf,

Er hemmte, vor der Türe

Der Liebsten, ihren Lauf.


Herein, herein, Geliebter,

Zu schmerzlichem Besuch!

Die heim du holen wolltest,

Deckt bald das Leichentuch.


Sie schläft in engem Sarge,

Drauf liegt der Myrtenkranz;

Du wirst nicht heim sie führen,

Nicht bei Gesang und Tanz.


Sie werden fort mich tragen,

Und tief mich scharren ein,

Du wirst mir Tränen weinen,

Und eine andre frein. –


Die du mich nie betrübet,

Du meine Zier und Lust,

Wie hast du jetzt geschnitten

Mir scharf in meine Brust!


Drauf sahen zu einander

Die beiden ernst und mild,

Verschlungen ihre Hände,

Ein schönes, bleiches Bild.


Da schied sie sanft hinüber,

Er aber zog zur Stund

Das Ringlein sich vom Finger

Und steckt's in ihren Mund.


Ob er geweinet habe,

Als solches ist geschehn? –

Ich selber floß in Tränen,

Ich hab es nicht gesehn.
[244]

Es gräbt der Totengräber

Ein Grab, und noch ein Grab:

Er kommt an ihre Seite,

Der ihr das Ringlein gab.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 243-245.
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