Sechster Auftritt

[383] Der Prinz von Homburg tritt auf. – Die Vorigen.


DER PRINZ VON HOMBURG.

O meine teuerste Natalie!


Er legt ihre Hand gerührt an sein Herz.


NATALIE.

So ist es wahr?

DER PRINZ VON HOMBURG.

Oh! könnt ich sagen: nein!

Könnt ich mit Blut, aus diesem treuen Herzen,

Das seinige zurück ins Dasein rufen! –

NATALIE trocknet sich die Tränen.

Hat man denn schon die Leiche aufgefunden?

DER PRINZ VON HOMBURG.

Ach, mein Geschäft, bis diesen Augenblick,

War Rache nur an Wrangel; wie vermocht ich,

Solch einer Sorge mich bis jetzt zu weihn?

Doch eine Schar von Männern sandt ich aus,

Ihn, im Gefild des Todes, aufzusuchen:

Vor Nacht noch zweifelsohne trifft er ein.

NATALIE.

Wer wird, in diesem schauderhaften Kampf,

Jetzt diese Schweden niederhalten? Wer

Vor dieser Welt von Feinden uns beschirmen,

Die uns sein Glück, die uns sein Ruhm erworben?

DER PRINZ VON HOMBURG nimmt ihre Hand.

Ich, Fräulein, übernehme eure Sache!

Ein Engel will ich, mit dem Flammenschwert,

An eures Throns verwaiste Stufen stehn!

Der Kurfürst wollte, eh das Jahr noch wechselt,

Befreit die Marken sehn; wohlan! ich will der

Vollstrecker solchen letzten Willens sein!

NATALIE.

Mein lieber, teurer Vetter!


Sie zieht ihre Hand zurück.


DER PRINZ VON HOMBURG.

O Natalie!


Er hält einen Augenblick inne.


Wie denkt Ihr über Eure Zukunft jetzt?

NATALIE.

Ja, was soll ich, nach diesem Wetterschlag,[383]

Der unter mir den Grund zerreißt, beginnen?

Mir ruht der Vater, mir die teure Mutter,

Im Grab zu Amsterdam; in Schutt und Asche

Liegt Dortrecht, meines Hauses Erbe, da;

Gedrängt von Spaniens Tyrannenheeren,

Weiß Moritz kaum, mein Vetter von Oranien,

Wo er die eignen Kinder retten soll:

Und jetzt sinkt mir die letzte Stütze nieder,

Die meines Glückes Rebe aufrecht hielt.

Ich ward zum zweiten Male heut verwaist.

DER PRINZ VON HOMBURG schlägt einen Arm um ihren Leib.

O meine Freundin! Wäre diese Stunde

Der Trauer nicht geweiht, so wollt ich sagen:

Schlingt Eure Zweige hier um diese Brust,

Um sie, die schon seit Jahren, einsam blühend,

Nach eurer Glocken holden Duft sich sehnt!

NATALIE.

Mein lieber, guter Vetter!

DER PRINZ VON HOMBURG.

– Wollt Ihr? Wollt Ihr?

NATALIE.

– Wenn ich ins innre Mark ihr wachsen darf?


Sie legt sich an seine Brust.


DER PRINZ VON HOMBURG.

Wie? Was war das?

NATALIE.

Hinweg!

DER PRINZ VON HOMBURG hält sie.

In ihren Kern!

In ihres Herzens Kern, Natalie!


Er küßt sie; sie reißt sich los.


O Gott, wär er jetzt da, den wir beweinen,

Um diesen Bund zu schauen! Könnten wir

Zu ihm aufstammeln: Vater, segne uns!


Er bedeckt sein Gesicht mit seinen Händen; Natalie wendet sich wieder zur Kurfürstin zurück.
[384]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 383-385.
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