Funfzehnter Brief.

An den Herrn Hauptmann von Weckel.

[177] Göttingen den 29ten December 1769.


Empfangen Sie, theuerster Freund! meinen aufrichtigen Dank für Ihren allerliebsten, muntern Brief, und für die Erzählung Ihrer Reise-Begebenheiten. Wir haben Beyde, Herr Meyer und ich, gar herzlich bey Lesung derselben gelacht. Es ist wahr, daß Sie eine ganz eigene Art haben, die Sachen in ein comisches Licht zu setzen, und ich leugne nicht, daß ich es für ein großes Unglück halte, Ihnen den geringsten Anlaß zu geben, etwas von der Art an einem zu bemerken. Dennoch sind Sie ein gütiger, nachsichtsvoller Freund, und ich bin doppelt stolz auf Ihre Freundschaft, wenn ich bedenke, wie fein Sie jede Thorheit, jedes Gebrechen fühlen.[177]

Könnte ich Ihnen nur auch etwas Interessantes schreiben! Vielleicht habe ich indessen bald Gelegenheit dazu, denn wir reisen morgen mit dem jungen Hundefeld zu seinen Eltern auf das Land. Dort könnte ich wohl Materialien zu einem Pendant gegen ihr Hof-Gemälde, in der Nachbarschaft, bey Landjunkern, Beamten und Predigern, aufsammlen, wenn ich nur die Geschicklichkeit hätte, es hernach so gut, wie Sie, zu Papier zu bringen!

Doch, das werde ich ja nicht nöthig haben, denn ich kann es Ihnen bald mündlich erzählen, und die angenehme Hofnung, welche Sie mir machen, in einigen Wochen zu uns nach Göttingen zu kommen, erfüllt mich mit der lebhaftesten Freude. Wie kurz werden die Paar Tage unter den angenehmsten Gesprächen hinfliehen! Wir erwarten Sie mit ofnen Armen.

Hundefeld verspricht mir viel ländliches Vergnügen. Sein Vater soll ein braver[178] Mann seyn, und seine Schwester, wie man sagt, ein allerliebstes junges Mädgen. Er selbst, der Bruder, ist ein sanfter Junge, voll Adel, Güte und Talent. Er liebt Musik, so sehr als ich, und spielt das Clavier recht hübsch. Er ist fast mein einziger Umgang, und wohnt mit uns in demselben Hause.

Unterdessen lernt man doch auch auf einer Universität eine gar große Verschiedenheit von Characteren kennen. Zwar sind da noch mehrentheils nur halb gebildete Menschen, aber die verschiedenen Anlagen und Neigungen, die sich hier ganz zwanglos entwickeln, geben doch zu mancher lehrreichen Bemerkung Anlaß.

Gegen uns über wohnt unter andern ein junger Herr von Reyherberg, der, nebst einer kleinen munteren Gesellschaft, seine ganze Beschäftigung daraus macht, lustige, doch im Grunde eben nicht schädliche Streiche auszuführen, Philister und Juden zum Besten zu[179] haben, und überhaupt witzige Späße zu ersinnen. Nun ist es wahr, daß man sich nicht genug über den Reichthum ihrer Ideen verwundern kann. Was könnten diese Menschen nicht, mit ihrer Thätigkeit und Erfindungskraft, die itzt eine gänzlich zwecklose Richtung bekommen, in der Welt ausrichten?

Gestern waren ihrer sechs oder acht mit Extrapost zu einem Beamten gefahren, der ein erztummer Kerl und so ehrgeizig ist, gern vornehme Gäste zu bewirthen. Einer von ihnen gab sich also für einen fremden Prinzen aus, und die Andern hatten, in geborgten Kleidern und Livreen, die Rollen von den Personen seiner Suite zu spielen. Sie hatten ihre Commödie so vortreflich studiert, daß der Beamte gar keinen Verdacht bekam, sondern sie auf's Prächtigste tractirte.

Ein andermal lernten sie ein Chor auswendig, welches die Schüler des Morgens auf der Straße zu singen pflegen. Sie sungen[180] dies mitten in der Nacht vor den Häusern ab, wodurch die Leute, voll Schrecken, aufgeweckt wurden, und den Morgen verschlafen zu haben glaubten.

Einer von ihnen hat eine kleine Handbuchdruckerey. Da drucken sie denn allerley Nachrichten, und locken dadurch oft eine Menge Menschen in ein entlegenes Wirthshaus, um entweder einen angekündigten Zwitter, einen weissen Bären, oder so etwas zu sehen.

Wenn ein Fremder in einem Gasthofe einkehrt; so schleichen sie sich, indeß er etwa unten am Wirthstische speiset, oder sonst, auf sein Zimmer, und nähen ihm sein Nachtkamisol um eine Handbreit ein, da dann der Fremde, wenn er es anziehen will, mit Schrecken wahrzunehmen glaubt, daß sein ganzer Leib geschwollen sey, und dergleichen Scherze mehr, die oft mit einem Witze ersonnen sind, der zu bessern Vorwürfen genützt werden könnte.[181]

Herr Meyer ruft mich ab. Auch will ich Sie nicht länger mit Schilderungen aus dem Studenten-Leben aufhalten, die Sie sehr wenig interessiren werden.

Leben Sie herzlich wohl, lieber Freund! und vergessen Sie nicht


Ihren

treu gehorsamsten Diener

Carl von Hohenau.[182]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 177-183.
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