Vierzehnter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

Coppenhagen den 20sten August 1771.


Mein Sohn Ludwig ist entzückt über sein Glück, über die Veränderung seiner Lebensart; Schade, daß ich würklich schon zu alt werde, und zu viel Gutes und Böses durcheinander erlebt habe, um jede Freude so mitempfinden zu können, als ich wohl wollte. Ein Krankenwärter, der bey so manchem gefährlichen Patienten gewacht hat, ist an die kleinen Revolutionen so gewöhnt, daß, wenn ihn der Kranke, sobald er ein wenig Linderung spürt, freudig bey der Hand faßt, und ihm zuruft: »Ach! ich befinde mich besser« er kaum etwas mehr fühlt,[105] als daß nun seine Arbeit, seine Last leidlicher wird.

Unterdessen ist mein Herz noch warm genug, um nicht zu vergessen, daß Sie, mein gnädiger bester Herr! die Haupttriebfeder alles des Guten sind, das ich im angehenden Winter meiner Tage mit den Meinigen erlebe. Nun auch dies Kind versorgt ist; nun ist mir nicht mehr bange. Die jüngsten Knaben sind auf gutem Wege, und meine beyden ältesten Kinder so glücklich, als man es, bey dem Spaziergange durch diese Welt, wo doch hie und da ein Steinchen in den Schuh kömmt, seyn kann.

Mir ist nur immer für Ludwigs Vorwitz und Mangel an Welt bange. Er will sich gern aller Orten von der vortheilhaftesten Seite zeigen, und das ist nicht eben der Weg sein Glück zu machen, besonders wenn man die Leute, von denen unser Glück abhängt, merken läßt, daß man sie übersieht. Ich[106] sage ihm oft, daß um auf ein mittelmäßiges Genie zu würken, man sich demselben gleichstellen muß. Will man etwas bey einem solchen durchsetzen; so zeige man nur ja nicht sogleich seine Eminenz. Man dringt wohl zuweilen auf diese Art durch, aber man überzeugt nicht, und versperrt sich auf künftige Zeiten den Weg. Man gebe aber anscheinend seinen bessern Meinungen nach, verwickle den schwachen Mann so in seine verwirrten Ideen, daß er selbst bey uns Hülfe suche, und dann rathe man ihm, und er wird folgen.

Allein an dieser und aller andern Art Weltklugheit fehlt es dem guten Ludwig noch sehr – Doch er mag immerhin einmal anlaufen, und aus Erfahrung, welche die beste Lehrmeisterinn ist, lernen weise werden. Sein Platz in der bürgerlichen Welt ist noch nicht so wichtig, daß er sich durch solche kleine Unvorsichtigkeiten unglücklich machen könnte.[107]

Ich lebe hier unter guten Menschen. Die Nation gefällt mir so übel nicht. Es ist wahr, der größte Theil ist ein bisgen phlegmatisch und geschwätzig. Viel feine Köpfe finde ich nicht, aber fleißige, sinnliche Leute, die ein gutes Gedächtniß haben, und vielleicht um so glücklicher sind, da ihre materiellern Seelen nicht so leicht von jedem Lüften menschlicher Leiden und Freuden erschüttert werden.

Das einzige, was mich kränkt, ist, daß ich nun wahrscheinlicherweise in langer Zeit nicht so glücklich seyn werde, Ihnen, theuerster, vortreflicher Herr! mündlich zu sagen, wie herzlich ich bin,


Ihr

ehrerbiethiger treuer Diener

Müller.[108]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 105-109.
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