19.

[381] Indem ich aber von der Undankbarkeit gegen religiöse Gefühle und Meinungen rede; bin ich doch weit entfernt, auch dem Aberglauben, den Vorurtheilen, der Schwärmerey, den dunkeln, unbestimmten Gefühlen, die mit den Grundsätzen einer gesunden Vernunft, welche uns der Schöpfer zur Leiterinn gegeben hat, in offenbarem Widerspruche stehen, das Wort zu reden. Diesen haben wir gewiß nichts bleibend Gutes zu verdanken. Vielmehr pflegen sie zum geistlichen Stolze, zur Unduldsamkeit, zum Verfolgungsgeiste, zur Heucheley zu führen, und vertragen sich nicht selten, wie uns das[381] Beyspiele lehren, mit einem wollüstigen, üppigen, unnütz verschwelgten, oder verträumten Leben. Der von Enthusiasten so hoch gepriesene, entzückend selige Zustand, in welchen Schwärmerey und dunkle Gefühle versetzen, ist nichts als ein Rausch; die Freuden der Träumerey und Phantasie sind vorübergehend, gewähren kein dauerhaftes Glück, und die betrügliche Ruhe, die auf den Glauben an offenbare Vorurtheile, an willkührliche, nicht erweisliche Voraussetzungen gebauet ist, kann einem denkenden Wesen nicht wünschenswerth seyn.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 381-382.
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