Der Bücherfreund

[292] Ob ich Biblio- was bin?

Phile? »Freund von Büchern« meinen Sie?

Na, und ob ich das bin!

Ha! und wie!


Mir sind Bücher, was den andern Leuten

Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,

Turnsport, Wein, und weiß ich was, bedeuten.

Meine Bücher – – – wie beliebt? Wieviel?


Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.

Bitte, doch mich auszureden lassen.

Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal

Halb imstande ist zu fassen.


Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben

Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur

Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben – – –

Hei! das gibt den Muskeln die Latur.


Oh, ich mußte meine Bücherei,

Wenn ich je verreiste, stets vermissen.

Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,

Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.


Ja natürlich auch vom künstlerischen

Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken

So nach Gold und Lederton zu mischen,

Daß sie wie ein Bild die Stube schmücken.


Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen

Meine ungeheure Leidenschaft,

Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.

Bücher lasten, Bücher haben Kraft.


Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,

Und Sie fragen etwas reichlich frei.

Auch bei andern Menschen als Barbaren

Gehen schließlich Bücher mal entzwei.
[293]

Wie? – ich jemals auch in Büchern lese??

Oh, Sie unerhörter Ese – – –

Nein, pardon! – Doch positus, ich säße

Auf dem Lokus, und Sie harrten

Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur

Ja nicht länger auf mich warten.

Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,

Den man abseits ohne Zeit und Uhr

Düngt und erntet dann Literatur.


Bücher – Nein, ich bitte Sie inständig:

Nicht mehr fragen! Laß dich doch belehren!

Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig

Handsigniert sind, soll man hoch verehren.

Bücher werden, wenn man will, lebendig.

Über Bücher kann man ganz befehlen.

Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,

Und die Seelen können sich nicht wehren.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 292-294.
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