Sechstes Kapitel

[12] Wenn nun die beweisbare Wissenschaft aus nothwendigen obersten Grundsätzen sich ableitet (denn das,[12] was man weiss, kann sich nicht anders verhalten) und da die zum An sich gehörenden Bestimmungen als nothwendige in den Dingen enthalten sind (denn diese Bestimmungen sind in dem Was der Dinge enthalten, und die Dinge selbst sind in dem Was dieser Bestimmungen enthalten, von welchen nothwendig die eine von den entgegengesetzten Bestimmungen in den Dingen enthalten sein muss), so erhellt, dass aus solchen zum An sich gehörenden Bestimmungen der beweisende Schluss besteht; denn alles ist entweder als ein An sich oder als ein Nebenbei in den Dingen enthalten, und das Nebenbei ist nicht nothwendig.

Man muss also entweder so sich ausdrücken, oder man muss als obersten Grundsatz aufstellen, dass der Beweis das Nothwendige enthalte und dass, wenn etwas bewiesen ist, es nicht möglich sei, dass es sich anders verhalte. Somit muss der Schluss aus nothwendigen Bestimmungen sich ableiten. Aus wahren Sätzen kann man allerdings, wenn man nicht beweisen will, Schlüsse ableiten ; aus nothwendigen Sätzen kann es aber nicht anders, als behufs des Beweises geschehen; denn dies gehört schon zu dem Beweise. Ein Zeichen, dass der Beweis aus nothwendigen Sätzen zu führen ist, ist, dass man die Einwürfe gegen diejenigen, welche etwas glauben bewiesen zu haben, in der Art erhebt, dass die Sache nicht nothwendig sich so verhalte, mag man dabei glauben, dass sie sich überhaupt anders verhalte, oder anders, wie behauptet worden. Hieraus erhellt, wie einfältig diejenigen verfahren, welche, wenn der Vordersatz glaubhaft und wahr ist, meinen, dass sie dann die obersten Grundsätze richtig aufstellen, wie z.B. die Sophisten dies thun, wenn sie sagen, dass das Wissen so viel sei, als die Wissenschaft inne haben; denn nicht das Glaubhafte oder Nichtglaubhafte ist ein Grundsatz, sondern als ein solcher kann nur der oberste Satz der Gattung gelten, innerhalb welcher der Beweis geführt wird und das Wahre ist nicht immer auch das Eigenthümliche einer Sache.

Auch ergiebt sich aus Folgendem, dass der Schluss aus Nothwendigen hervorgehen muss. Wenn nämlich der, welcher den Grund, durch welchen ein Beweis geführt worden, nicht inne hat, kein Wissender ist und der Beweis so beschaffen wäre, dass A in C nothwendig enthalten,[13] aber B, der Mittelbegriff, durch welchen bewiesen worden nicht nothwendig in A und C enthalten wäre, so würde er den Grund, weshalb es sich so verhält, wie bewiesen worden, nicht kennen; denn der Schlusssatz hat dann seinen Grund nicht in diesem Mittelbegriff, da dieser Begriff auch nicht-sein kann, der Schlusssatz aber ein nothwendiger sein soll.

Ferner hat derjenige, welcher jetzt nicht als ein Wissender gelten kann, obgleich er den Schluss kennt, und welcher eben sowohl, wie die Sache fortbesteht und welcher den Schluss nicht vergessen hat, auch vorher kein Wissen gehabt; denn das Mittlere hätte können zu Grunde gehen, wenn es kein nothwendiges ist; er wird deshalb wohl den Beweis inne haben, wenn er sowohl, wie die Sache bestehen bleiben, aber ein Wissen hat er nicht, und deshalb hat er es auch früher nicht gehabt. Aber wenn das Mittlere auch nicht zu Grunde geht, aber doch zu Grunde gehen kann, so wäre der Schlusssatz daraus doch nur etwas Mögliches und Statthaftes; und Dinge die sich so verhalten, kann man unmöglich wissen.

Wenn aber auch der Schlusssatz ein nothwendiger sein sollte, so braucht trotzdem der Mittelbegriff, durch den der Beweis geführt wurde, kein nothwendiger zu sein; denn man kann das Nothwendige auch aus nicht-nothwendigen Sätzen schliessen, wie ja auch aus Nicht-wahrem Wahres geschlossen werden kann. Ist aber der Mittelbegriff nothwendig, so ist es auch der Schlusssatz, wie ja aus Wahrem auch immer nur Wahres geschlossen werden kann. Denn es sei A in Bezug auf B nothwendig und ebenso B in Bezug auf C; hier muss auch A in C nothwendig enthalten sein. Ist aber der Schlusssatz kein nothwendiger, so kann auch der Mittelbegriff kein nothwendiger sein; denn es sei A in C nicht nothwendig enthalten; wäre nun A in B und dieses in C nothwendig enthalten, so würde auch A in C nothwendig enthalten sein, während dies nicht angenommen worden ist.

Wenn sonach bei dem auf Beweis beruhenden Wissen das Eine in dem Andern nothwendig enthalten sein muss, so erhellt, dass der Beweis aus einem nothwendigen Mittelbegriff abgeleitet sein muss; denn sonst weiss man weder warum etwas ist, noch dass es nothwendig so sein muss, sondern man wird es entweder nur glauben, aber nicht[14] wissen, im Fall man das Nicht-Nothwendige für nothwendig hält, oder man wird es nicht einmal glauben zu wissen, sei es, dass man nur das »dass« durch Mittelbegriffe weiss, oder dass man das »dadurch« ohne Vermittlung weiss.

Von den einer Sache nebenbei und nicht an sich in dem Sinne, wie das An sich definirt worden, angehörenden Bestimmungen, giebt es kein beweisbares Wissen, da man den Schlusssatz hier nicht aus Nothwendigem ableiten kann, weil das Nebenbei einer Sache Anhängende auch nicht-sein kann; denn ein solches nebenbei Anhängende meine ich. Indess könnte man vielleicht sich wundern, dass man solche Fragen auf das Nebenbei stelle, wenn der Schlusssatz daraus kein nothwendiger sei; da es doch gleichgültig sei, wenn aus auf das gerade Wohl erfragten Vordersätzen jemand einen Schlusssatz zieht. Allein man will nicht deshalb solche Vordersätze durch Fragen zu erhalten suchen, damit dann der Schlusssatz durch die gefragten Vordersätze ein nothwendiger werde, sondern weil, wenn jemand auf Befragen solche Vordersätze aufstellt, er auch den daraus gezogenen Schluss anerkennen muss und auch als einen wahren, wenn diese Vordersätze wahr sind.

Da nun in jedem Gebiet alles, was darin an-sich ist und inwiefern es solches ist, nothwendig ist, so erhellt, dass die Beweise, welche zu einem Wissen führen, das An-sich-Seiende betreffen und aus solchem abgeleitet werden. Denn das Nebenbei-Seiende ist nicht nothwendig, und man braucht deshalb auch bei Schlusssätzen über Nebensächliches nicht zu wissen, warum es sich so verhält, und zwar selbst dann nicht, wenn es immer bestände, aber nicht als ein An sich, wie dies z.B. bei den Schlüssen der Fall ist, welche aus Zeichen abgeleitet werden; denn das an sich Seiende wird man bei solchen Schlüssen nicht als ein An-sich erkennen und auch nicht warum es so ist. Das »warum etwas ist« Wissen ist ein Wissen vermittelst des Grundes; es muss also auch der Mittelbegriff in dem Unterbegriff und der Oberbegriff in dem mittleren an sich enthalten sein.[15]


Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 12-16.
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