Des Morgens

[298] Vom Taue glänzt der Rasen; beweglicher

Eilt schon die wache Quelle; die Buche neigt

Ihr schwankes Haupt und im Geblätter

Rauscht es und schimmert; und um die grauen


Gewölke streifen rötliche Flammen dort,

Verkündende, sie wallen geräuschlos auf;

Wie Fluten am Gestade, wogen

Höher und höher die Wandelbaren.


Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu schnell,

Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort!

Denn offner fliegt, vertrauter dir mein

Auge, du Freudiger! zu, solang du


In deiner Schöne jugendlich blickst und noch

Zu herrlich nicht, zu stolz mir geworden bist;

Du möchtest immer eilen, könnt ich,

Göttlicher Wandrer, mit dir! – doch lächelst


Des frohen Übermütigen du, daß er

Dir gleichen möchte; segne mir lieber dann

Mein sterblich Tun und heitre wieder

Gütiger! heute den stillen Pfad mir.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 298-299.
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