Zweiter Aufzug

[297] Eine amerikanische Grammophonplatte ertönt. Der Vorhang geht auf und zeigt ein elegantes Zimmer. Ein Riesendivan. Viel Kissen, Y läuft, im Kostüm einer Streckenläuferin, im regelmäßigen Dauerlauf im Zimmer herum. X steht in eleganter Hausjoppe in einer Ecke mit der Stoppuhr und zählt dann.


X. Eins – zwei – eins – zwei – eins – zwei – eins – Kopf zurück – Brust heraus – zwei – eins – zwei – eins – zwei – ein Kilometer – Stopp –

Y atemlos. Uff

X. Du bist heute fabelhaft gelaufen Stellt Grammophon ab.

Y. Wie lange?

X hüllt sie in ein Tuch. Sieben Minuten

Y. Na, das ist nicht so besonders – du, ich glaube, ich werde zu dick

X lacht laut. Zu dick?

Y. Ja, findest du nicht? Hier zum Beispiel

X. Aber Henriette

Y. Aber Henriette – aber Henriette – ich werde Paraffinbäder nehmen.

X. Du bist ja ein ganz paraffiniertes Geschöpf

Y. Mach keine dummen Witze. Hilf mir lieber, die Beine zu strecken Stellt sich an einen Stuhl. So – erst von vorn – so – noch weiter – noch weiter – noch weiter

X. Aber ich breche dir ja dein hübsches Bein ab

Y. Unsinn – so – ach, das tut wohl – so und jetzt – Spagat Macht Spagat. So, und jetzt kommst du Streckt ihm das Bein, der sich komisch wehrt.

X. Du könntest zum Zirkus gehen

Y. Das werde ich auch noch tun – und dich nehme ich als Clown mit

Läuft ins Nebenzimmer und zieht sich schnell um, spricht von dort. Du

X. Ja?[298]

Y. Du – hörst du?

X. Ja

Y. Es war eine fabelhafte Idee von dir, daß wir uns heimlich in der Großstadt trauen ließen. Ich fand das sehr romantisch – besonders die Trauzeugen –, aber meinst du nicht, daß es bald an der Zeit wäre, Papa und Mama zu benachrichtigen, wo wir eigentlich stecken? Ich begreife auch nicht, weshalb wir hier inkognito wohnen, nachdem wir auf dem Standesamt doch rechtlich als Graf und Gräfin Z getraut worden sind – was für eine Marotte

X. Es war stets mein Hauptgrundsatz im Leben, nicht aufzufallen.

Y. Nun, da hat bei mir dein Hauptgrundsatz kläglich versagt. Mir bist du erheblich aufgefallen ...

X. Ja, du hast auch eine besonders feine kleine Spürnase

Y. Ich merke alles! Ich komme dir hinter alle deine Schliche! Tritt auf im Pyjama. Wenn du mich einmal betrügst und ich erwische dich, so hacke ich erst ihr, dann dir den Kopf ab. Unweigerlich!

X. Und dann wirst du uns vermutlich noch braten und verzehren.

Y. Nein, meinen Hunden werfe ich euch dann vor

X. Du bist ja eine Berserkerin!

Y. Ich habe Blut in den Adern – aber du Limonade, wenn du das nicht verstehst. Denn ich liebe dich sehr, bedingungslos. Unbedingt.

X. Bedingungslos? Unbedingt? Ich nehme dich beim Wort – vielleicht einmal

Y fällt ihm um den Hals. Nimm mich – nimm mich – bei diesen und bei allen Worten

X. Mein Herz – mein Herz – ja du bist mein Herz, denn ich habe keines

Y. Renommier nur nicht – du hast viel zuviel Herzen


Es klopft.


X. Herein. Herein tritt Z in der Livree eines Dieners.

Z. Die Zeitung, Herr Graf

X. Danke. Keine Post?

Z. Keine.[299]

X. Telegramm?

Z. Keines!

X. Gut. – Diener ab.

Y. Dieser Diener kommt mir merkwürdig vor – dir nicht?

X. Mir ganz und gar nicht. Wieso?

Y. Er ist so schrecklich vornehm

X. Alle Diener sind vornehm – sie sind viel vornehmer als ihre Herren.

Y. Hast du seine Leibwäsche gesehen?

X. Wie käme ich dazu! Und wie kämst du dazu?

Y. Ich hab' in seiner Kammer gestöbert, als er Ausgang hatte. Seidene Hemden! Seidene Unterhosen! Fabelhaft! Ein so üppiges Gehalt bezieht er doch nicht, daß er sich davon so etwas leisten könnte. Weißt du, wofür ich ihn halte?

X. Nun?

Y. Für einen Hochstapler

X. Ach?!

Y. Für einen ganz raffinierten Hochstapler! Ich merke alles! Ich komme ihm hinter alle seine Schliche!

X. Ja, du hast eine besonders feine kleine Spürnase

Y. Mit dem werden wir noch was erleben – aber ich halte meine Augen offen, auch wenn du schläfst

X. Ich schlafe so gern

Y. Du bist ein Faultier.

X. Willst du die Freundlichkeit haben, mich jetzt mal einen Moment ruhig in die Zeitung sehen zu lassen. Die politische Lage in Österreich ist derart interessant

Y. Da hast du sicher eine alte Zeitung erwischt.

X liest.

Y. Meine Güte, was gibt es denn bloß so Amüsantes in der Zeitung?

X. Ich lese einen Artikel über moderne Götzen

Y. Ich kenne nur einen Götzen, den von Berlichingen.


Kleine Pause.


Du frißt ja förmlich die Buchstaben in dich hinein. An der Stelle, wo du gelesen hast, ist die Zeitung ja schon ganz weiß.

X. Das ist eine zensurierte Stelle.

Y. Welcher Oberlehrer hat sie denn zensuriert?[300]

X verzweifelt. Willst du nicht vielleicht so gütig sein – du bist doch mit deinem Kreuzworträtsel noch nicht im reinen

Y seufzend. Also schön

Redet vor sich hin, klettert auf dem Diwan zwischen den Kissen herum und sucht die Rätselzeitung und einen Riesenbleistift. dazu hab' ich wohl geheiratet, um den ganzen Tag Kreuzworträtsel zu lösen. Nimmt sich das Rätsel vor, X liest.

Nach einer Weile. Nat?

X. Ja?

Y. Kennst du eine zweisilbige Stadt in Sachsen, die eine Taubstummenanstalt beherbergt?

X. Wenn sie eine Taubstummenanstalt beherbergt, wird sie wohl sehr einsilbig sein. Taubstumme pflegen sehr einsilbig zu sein

Y. Du bist sehr albern, Nat

X. Danke sehr

Y. Bitte schön Pause, dann. Nat ...

X. Mein Kind?

Y. Kind – Kind – Ich bin nicht dein Kind – du tust ja geradeso, als ob ich noch ein Backfisch von vierzehn Jahren wäre.

X. Ich weiß, was ich deinen neunzehn Jahren an Ehrerbietung schulde

Y. Neunzehn Jahre? Neunzehn Jahre? Ja glaubst du vielleicht, ich bin schon Großmutter? Untersteh' dich, mir noch einmal neunzehn Jahre vorzuwerfen. Ich bin achtzehn, keinen Tag älter. Wenn du noch einmal neunzehn sagst, kratz' ich dir die Augen aus.

X. Laß mir meine Augen, und ich laß dir deine achtzehn Jahre, Kind.

Y. Schon wieder: Kind ...

X. Also: mein Weib

Y nimmt einen Handspiegel und spiegelt sich in ihm. Wenn ich in den Spiegel seh', seh' ich, daß ich so schlank bin wie ein Knabe

X. Sieh in den Spiegel meiner Augen, Liebling.

Y streckt ihm die Zunge heraus. Bäh!

X. Aber jetzt laß mich mal in Ruhe einen Moment in die Zeitung sehen.[301]

Y. Bei uns wird den ganzen Tag Zeitung gelesen. Schmollend, nach einer Pause. Nat?

X. Ja?

Y. Weißt du ein Säugetier, vorn mit A und hinten mit e?

X. Amme

Y. Du bist unmöglich. Pause. Nat.

X. Ja, mein Süßes?

Y. Kennst du ein fünfsilbiges Beruhigungsmittel für die Nerven?

X. Alle Nervenberuhigungsmittel, die ich kenne, haben nur drei Silben: Morphium, Kokain, Eu-ko-dal, O-pi-um!

Y. Na höre mal, du kennst dich in Nervenberuhigungsmitteln aber nicht schlecht aus.

X. Kein Wunder. Ich habe in meinem kurzen, aber ereignisreichen Leben meine Nerven oft genug beruhigen müssen, wenn eine Frau durch törichte Fragen sie beunruhigt hatte

Y. Das wird ja immer reizender. Jetzt stellst du mich mit den andern Frauen, die du vor mir geliebt, schon in eine Reihe. Hältst du mich für eine Hu? Ich bin eine Frau, deine Frau, daß du's weißt.

X. Danke, ich weiß Bescheid.

Y. Bitte, ich auch Pause. Nat?

X ungeduldig. Ja?

Y. Jetzt fehlt mir eine einsilbige ausländische Geldsorte

X. Liebes Herz: mir fehlen sämtliche ein- und mehrsilbigen in- und ausländischen Geldsorten

Y. Weißt du einen zweisilbigen berühmten Juden und Religionsstifter?

X. Einen zweisilbigen Juden? – Moses.

Y. Geraten! Es stimmt! Übrigens, Nat

X. Mein Herz

Y. Du hast ja auch so einen eigenartigen Vornamen – warum heißt du eigentlich Nathanael? Findest du den Namen nicht leicht läppisch?

X. Ich finde den Namen Nathanael ungewöhnlich dumm.

Y. Und warum heißt du so?

X. Weil ich auf den Namen getauft worden bin

Y. Getauft – das klingt ja äußerst verdächtig[302]

X. Wieso – hältst du mich, den Grafen Z, vielleicht gar für einen Juden?

Y. Warum nicht? Eventuell könntest du auch ein Jude sein.

X. Selbstverständlich. Genauso, wie du eine zentralafrikanische Negerin sein könntest.

Y. Wieso?

X. Wenn du nicht zufällig eine deutsche Komtesse wärest – denn wenn du die nicht wärst, könntest du ja alles andere sein.

Y. Selbstverständlich! Sogar ein Gaskocher oder ein Schirmständer.

X küßt sie. Oder ein blühender Birnbaum – oder eine wehende Wolke – oder ein zahmer Zeisig

Y. Nun, ein zahmer Zeisig wär' ich gewiß nicht.

X. Nein – aber eine Wildkatze

Y. Oder ein Adlerweibchen. Dann würde ich meine Jungen mit Menschen füttern. Ja, das würde ich.

X. Auch Kannibalismus traue ich dir unbesehen zu.

Y. Ich finde, du versuchst das Gespräch abzulenken, machst Ausflüchte

X. Wohin?

Y setzt sich auf seinen Schoß, wiegt sich hin und her. Ich habe dich nach deinem Vornamen gefragt

X. Nun – und?

Y. Warum bist du auf den Namen Nathanael getauft?

X. Weil meine Eltern es so wollten

Y. Und warum wollten deine Eltern es so?

X. Weil mein Großvater in seinem Testament es so bestimmt hatte

Y. Was war dein Großvater für ein Mann?

X. Ein bekoweter Mann.

Y. Was heißt das?

X. Ein bekannter Mann, er war ein sehr bekannter Mann, mein Großvater

Y. Und warum hatte es dein Großvater so bestimmt?

X. Aus dem einfachen Grunde, damit du einmal Gelegenheit bekommen solltest, dich so intensiv danach zu erkundigen

Y. Wenn ich etwas wissen will, bin ich immer sehr intensiv, Nat.

X. Du bist sehr wißbegierig und bildungshungrig. Das ehrt[303] dich und zeichnet dich vor deinen Geschlechtsgenossinnen aus. Um deiner Wißbegierde zuvorzukommen und sie a priori zu befriedigen: in unserer Familie haben wir alle biblische Vornamen. Mein Vater hieß Samuel!

Y. Samuel! Wie im Freischütz!

X. Mein Großvater Abraham. Und mein Sohn wird Adam heißen. Denn mit ihm soll die Welt wieder von vorn beginnen

Y. Dein Sohn soll Adam heißen? Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wenn es nach mir geht, so wird er einen guten deutschen Namen bekommen: zum Beispiel Wodan oder Siegfried Streichelt über seinen Kopf. Oh, du hast ja hier eine Narbe – ich spür's durchs Haar hindurch.

X. Einen – Schmiß

Y. Hast du das bei einem Duell bekommen?

X. Ja, bei einem Duell

Y. Bei den Bonner Borussen?

X. Nein, bei den Borussen des Scheunenviertels.

Y springt ihm vom Schoß. Wegen einer Frau?

X. Ja, eine Frau war auch im Spiel

Y wütend. Gib doch endlich mal die dumme Zeitung aus der Hand Entreißt sie ihm, verblüfft. Du – hier ist ja ein Artikel rot angestrichen

X. Rot angestrichen?

Y. Hast du ihn rot angestrichen?

X. Aber ich habe die Zeitung ja eben erst bekommen – sollte der Diener

Y. Natürlich der Diener – natürlich der Diener – dein sauberer Diener war's. Wer denn sonst? Nicht genug, daß er deine Zigarren raucht, deine Liköre trinkt und deine Frau so sonderbar ansieht, jetzt liest er auch schon deine Zeitungen zuerst.

X. Zeig doch mal her

Y. Nein, erst will ich sehn

X. Vielleicht ist's das, was ich suche

Y. Was suchst du denn?

X. O ich suche gar nichts.

Y. Aber du hast doch eben gesagt, daß du etwas suchst.

X. Unsinn

Y. Dann laß mir doch einen Moment die Zeitung, ich will ja[304] nur sehen, was der Diener rot angestrichen hat. Vielleicht ist's was Unpassendes.

X. Dann darfst du's erst recht nicht lesen

Y. Nun gerade. – Y mit der Zeitung davon, über den Diwan usw., X ihr immer hinterher.

Nein – nein – laß, du kriegst sie doch nicht.


Sie reißen an der Zeitung, reißen sie ganz entzwei, Y erwischt aber den Fetzen mit dem rot angestrichenen Artikel, springt damit triumphierend auf den Tisch, schwingt ihn wie eine Fahne, liest dann.


Steckbrief!

X. Steckbrief!

Y. Ein Steckbrief – meine Nase!!!

X. Wieso deine Nase?

Y. Das ist sicher der Steckbrief, mit dem sie ihn suchen

X. Wen suchen?

Y. Den Diener natürlich – unsem Diener Liest.

Der am vierten November in Zopron gebürtige Siegfried Cohary wird wegen fortgesetzten Verbrechens der Hochstapelei, der Urkundenfälschung, Fundunterschlagung und Führung eines falschen Namens gesucht und ist beim Ergreifen der nächsten Polizeibehörde zuzuführen. Nähere Kennzeichen: Gestalt mittel, Gesicht oval, Farbe der Augen: blaugrau, Farbe des Haares: blond. Besondere Kennzeichen: Muttermal am linken Ohrläppchen – – –

Das Ohrläppchen von dem Burschen werd' ich mir jetzt mal betrachten

X. Von welchem Burschen?

Y klingelt. Der Diener erscheint.

Z. Frau Gräfin wünschen?

Y. Kommen Sie mal her Geht um ihn herum, mustert ihn nach dem Zeitungsblatt. Gestalt: mittel. Stimmt. Gesicht: oval. Stimmt. Farbe der Augen: blaugrau. Stimmt. Farbe des Haares: blond. Stimmt. Besonderes Merkmal: Kommen Sie mal etwas näher – noch näher Berührt mit dem Bleistift sein Ohr. was haben Sie denn da am linken Ohrläppchen? Haben Sie Ohrringe getragen? Es ist gut, Sie können gehn.

Z mit Verbeugung ab.[305]

Y enttäuscht. Er hat kein Muttermal am linken Ohrläppchen.

X. Vielleicht hat er es woanders.

Y. Wo denn sonst?

X. Muttermale kann man überall haben.

Y. Der sieht mir nicht nach Muttermalen aus. – Der Steckbrief ist ja auch so allgemein gehalten, der paßt auf jeden.

X. Wir sind eben alle Verbrecher ...

Y. Komm einmal her Geht um ihn herum, mustert ihn. Gestalt: mittel. Stimmt. Gesicht oval. Stimmt. Farbe der Augen: blaugrau. Stimmt. Farbe des Haares: blond. Stimmt. Besonderes Merkmal – – komm mal etwas näher – was hast du denn da am linken Ohrläppchen? Verblüfft.

Ein Muttermal! Na, das ist aber mal komisch.

X. Sehr komisch

Y. Was es für Zufälle gibt. Kein Wunder, wenn die Polizei so selten den richtigen erwischt.

X. Da siehst du, wie leicht ein Ehrenmann in einen falschen Verdacht kommen kann.

Y. Und sogar eingesperrt werden kann.

X. Da sei Gott vor. Das ist eine unangenehme Geschichte.

Y. Wieso?

X. Sag', hast du mich sehr lieb, das heißt: liebst du mich? Mich?

Y. Sehr, Nat, sehr

X. Mich, wie ich hier bin: als Erscheinung, Totalität, Charakter

Y. Ganz und gar. Mit Haut und Haar.

X. Du siehst nicht nur Teile von mir; Facetten – mosaikartig – du liebst mich ganz?

Y lachend. Voll und ganz

X. Liebst du den Grafen Z oder liebst du mich, sozusagen Nat?

Y. Ich liebe den Grafen Z, also Nat, also dich

X. Lassen wir den Grafen weg – liebst du mich so wie damals, als ich in dem lächerlich karierten Anzug zu dir kam – als Strolch – als Vagabund – würdest du mich heute, wenn ich in demselben, schäbigen, geschmacklosen Anzug zu dir käme, wieder lieben?

Y. Wieder? Noch! Der Anzug, den du anhast, ist mir doch ganz egal[306]

X. Würdest du auch den – Strolch lieben?

Y lachend. Jawohl – du Strolch Küßt ihn.

X. Es – ist – gut

Y. Du bist ja auf einmal ganz blaß – fehlt dir was, Nat?

X. Ich bin so abgespannt heute – ich glaube, die Hitze – erlaube, daß ich mich zurückziehe

Y. Soll ich einen Arzt rufen lassen?

X. So schlimm ist es nicht Leise. schlimmer

Y. Nimm eines deiner dreisilbigen Nervenberuhigungsmittel: A-spi-rin oder Eu-ko-dal. Schlaf gut, Strolch. Gute Besserung!


X geht ab, Y geht nach hinten zu einem Vogelkäfig, wo ein Kakadu drin sitzt, spricht mit ihm.


Y. Kakadu – Kakadu – Kakadu

KAKADU. Kakadu!

Z ist lautlos eingetreten.

Y dreht sich um. Sie haben mich aber erschreckt

Z. So bitte ich tausendmal um Vergebung

Y. Einmal genügt. Was wollen Sie?

Z. Es ist ein Telegramm für den Herrn Grafen angekommen

Y. Bringen Sie's dem Herrn Grafen hinein! Oder nein, geben Sie's mir!

Z reicht ihr auf Tablett das Telegramm.

Y wiegt es in der Hand, reißt es dann, einer Eingebung folgend, auf. Geschäft wackelt – – was soll das heißen?

Z. Vielleicht betrifft es die Börsenspekulation des Herrn Grafen

Y. Gewiß – natürlich. Sagen Sie mal: was haben Sie denn da für einen Ring?

Z. Was für einen Ring?

Y. Dort am Ringfinger der linken Hand – der glänzt ja so auffällig

Z. Oh, das ist ein ganz billiger, unechter Ring

Y. Zeigen Sie bitte Ihre Hand

Z. Aber Frau Gräfin

Y. Ich kann nämlich in den Linien der Hand lesen.

Z. Ich zweifle nicht daran

Y. Genieren Sie sich oder fürchten Sie sich?

Z. Wie sollte ich Frau Gräfin, die ich verehre und hochschätze, die ich – liebe, fürchten.[307]

Y betrachtet seine Hand. Auf der Dienerschule haben Sie wohl vor allem Maniküre gelernt?

Z. Ja – ja – allerdings

Y. So – und was haben Sie denn noch gelernt?

Z. Ach – was man so lernt

Y. Und was lernt man denn so?

Z. Zum Beispiel – Tischdecken

Y. Tischlein deck dich – aber mit dem Tischdecken ist es bei Ihnen nicht weit her – Sie legen Messer und Gabel immer prinzipiell – prinzipiell – an die falsche Stelle

Z. Ja – ich habe prinzipiell Prinzipien.

Y. Wo das Messer hingehört, legen Sie die Gabel, und wo die Gabel hingehört, das Messer

Z. Es soll nicht wieder vorkommen, Frau Gräfin. Will abgehen.

Y unerbittlich. Was ist der Unterschied zwischen Dienerjackett und Dinnerjackett –?

Z. Der Unterschied – der Unterschied – ist – ist ziemlich groß.

Y. Was trägt der herrschaftliche Diener als Ausgangsanzug?

Z. Einen – einen Anzug

Y. Einen einreihigen Anzug aus dunklem Livreestoff!

Z erleichtert. Jawohl

Y. Und was gehört zu diesem Anzug?

Z. Ein – ein Diener.

Y. Ein schwarzer steifer Hut. – Übrigens darf die Silhouette des Dieners niemals der seines Herren gleichen. Die Ihre tut das.

Z. Sie wird es nicht wieder tun.

Y zeigt auf ihre Schuhe. Schuhputzen können Sie ebenfalls nicht

Z fällt sofort in die Knie, zieht ein Seidentaschentuch und versucht die Schuhe abzuwischen. Ich bitte devotest um Vergebung

Y behält seine Hand, zieht ihn hoch. Ein seidenes Taschentuch?

Z schlicht. Ja, ich trage nur Seidenwäsche – nach dem Urteil aller maßgebenden medizinischen Kapazitäten ist Seidenwäsche die gesündeste Wäsche[308]

Y. Sie sind ja sehr um Ihre Gesundheit besorgt! Was haben Sie denn für ein Gehalt?

Z. Oh, ich bin absolut ausreichend versehen

Y. Sie lieben mich – wie Sie vorhin sagten

Z. Natürlich nur in den erlaubten Grenzen

Y. Liebe kennt aber keine Grenzen. Was haben Sie für eine schöne schlanke Hand – fast eine aristokratische Hand

Z. Frau Gräfin schmeicheln ...

Y. Sie haben nicht die Hand eines Dieners ...

Z Frau Gräfin sind sehr gütig ...

Y. Auch Ihre Manieren verraten Kultur, oder sagen wir: Zivilisation – von wem haben Sie diesen Ring?

Z schweigt verlegen.

Y. Von einer Frau?

Z schweigt.

Y. Ich bin nicht eifersüchtig. Dazu habe ich in diesem Fall kein Recht. Dieser Ring ist sehr kostbar – der grüne Stein ist ein Smaragd

Z. Ich hielt ihn für grünes Glas

Y. Haben Sie denn kein Unterscheidungsvermögen? Können Sie zum Beispiel mich von anderen Frauen unterscheiden?

Z. Frau Gräfin sind ein Smaragd, und alle anderen Frauen sind grünes Glas.

Y. Woher wissen Sie das?

Z. Ich habe Sie leuchten sehen!

Y. Heben Sie den Smaragd gut auf. Er ist ein kostbares Stück. Wenn Sie ihn verlieren, werden Sie so leicht keinen andern wiederfinden.

Z. Das ist mir wohl bewußt, Frau Gräfin.

Y zieht ihm das etwas herausstehende Seidentuch aus dem Dienerjackett. N.v.Z. – – – das ist ja das Monogramm meines Mannes. Hören Sie, mein Lieber, Sie kommen mir höchst verdächtig vor – wenn Sie mir nicht sofort, auf der Stelle beichten, wer Sie sind und was Sie hier wollen – wecke ich meinen Mann – und er holt die Polizei, und Sie spazieren ein Jahr hinter schwedische Gardinen – Sie ... Hochstapler – Wartet die Wirkung ihrer Worte ab, als sie gleich Null ist, wiederholt sie. Sie ... Hochstapler ... Sie Hochstapler ... sind Sie schwerhörig?[309]

Z. Ich höre sehr gut

Y. Und was haben Sie darauf zu erwidern?

Z. Wollen Frau Gräfin wissen, wer ich bin?

Y. Das will ich in der Tat

Z. Nun – wünschen Sie polizeilichen Ausweis. Greift in die Brusttasche. Bitte! Man ist mit allem Nötigen versehen: Mein Paß. Reicht der Gräfin den Paß, die nimmt ihn und prallt zurück.

Y. Graf Z – das Bild etwas undeutlich

Z. Wie alle Paßbilder

Y. Augen blau – Mund gewöhnlich. Aufblickend. Hier stimmt etwas nicht

Z. Hier stimmt vieles nicht.

Y. Sie haben den Paß meines Mannes gestohlen

Z langsam. Verzeihen Frau Gräfin – er den meinen

Y. Sie sind

Z. Ich bin Graf Z

Y. Unglaublich

Z. Aber wahr

Y. Unmöglich

Z. Bestimmt

Y. Und er?

Z. Der steckbrieflich gesuchte Siegfried Cohary aus Zopron.

Y. Nein

Z. Ja.

Y. O Gott!

Z. Es war meine moralische Pflicht, die Schurkerei ohne Behelligung der Polizei und der Gerichte zu liquidieren. Das schuldete ich dem Namen Ihres, dem Namen meines Hauses. Die Öffentlichkeit durfte nicht orientiert werden. Wir mußten den Skandal unter allen Umständen vermeiden. Deshalb nahm ich diese Dienerstelle hier an. Ich handelte im Einverständnis Ihrer Herren Eltern.

Y. Sie wissen davon?

Z. Durch mich.

Y. Mein Gott

Z. Ich habe jetzt alle Beweismittel lückenlos in der Hand. Heute fällt sein Haupt.


[310] X tritt langsam von links auf.


Y. Du – du – Sie – Sie –

X. Ich habe alles gehört – ich laufe nicht davon. Ich wußte längst, daß Sie Zu Z. hinter mir her waren – daß Sie sich hier als Diener eingeschmuggelt – ich hätte weggehen können, wie ich gekommen war – aber ich wollte nicht – weil ich liebte

Y. Was weißt du – was wissen Sie von Liebe! Wenn Liebe Lüge heißt, Betrug, Niedertracht und jede Schandtat – dann haben Sie herrlich »geliebt«. – Liebe, Leben und du – das war für mich eins – ich liebte – aber ich werde nie mehr lieben – Sie haben mir die Liebe mit der Wurzel aus dem Herzen gerissen – in einer einzigen Sekunde. Ich bin aus höchster Höhe in tiefste Tiefe gestürzt. Mein Herz zittert. Meine Hand zittert – Sie zu schlagen, Sie Schurke

X. Ein hartes Wort – von einem harten Menschen.

Z. Ein Wort, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt.

X. Du sagtest mir eben noch

Y. Ich bitte Sie, mich nicht zu duzen.

Z. Die Polizei sucht Sie!

X. Sie wird mich finden, wenn meine Freunde mich verraten

Z. Wir – Ihre Freunde?

X. Ich glaubte

Z. Sie irrten

X. So irrte ich gern. Vertrauen ehrt den Vertrauenden. Nur Mißtrauen rechtfertigt Betrug.

Y. Habe ich Ihnen je mißtraut, daß Ihr Betrug gerechtfertigt wäre?

X. Sie mißtrauen mir jetzt, wo alles auf dem Spiele steht.

Y. Ich spiele nicht – ich hasse Sie

X. Ich liebe Sie

Y. Lassen wir das. Keine Sentimentalität.

X. Nur Gefühl

Z. Neue Sachlichkeit!

X. Alte Romantik. Unzeitgemäß. Ich bin kein gewerbsmäßiger Hochstapler. Ich liebte. Ich warb um dich in seinem Namen – für meine Person. Rechtlich, namentlich sind Sie also ihm angetraut. Vor dem Gesetze der Ewigkeit mir.[311]

Z. Sie haben meine Effekten inklusive Paß, Brautgeschenk usw., nennen wir es beschönigend, an sich gebracht, weil Sie von dem Plan meiner Vermählung mit der Gräfin wußten


X nickt mit dem Kopf.


Sie haben meine Papiere und das Vertrauen dieser Dame zu einem Schurkenstreich benutzt, wie er in der Kriminalgeschichte aller Völker und Zeiten einzig dasteht

X. Ich habe mir Ihren Namen nur in Notwehr beigelegt – verstehen Sie denn nicht – weil ich nicht mehr ich selber sein wollte – weil ich mich auslöschen wollte – ein anderer werden – in diesem durch dieses geliebte Geschöpf – wenn man einen andern Namen trägt, wird man schon von selbst ein anderer – spüren Sie nicht, daß ich eigentlich Sie geworden bin?

Z. Reden Sie nicht solchen Blödsinn

X. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: ich kaufe Ihnen Ihren Namen ab.

Z. W-i-e?

X. Ich kaufe Ihnen Ihren Namen ab.

Z. Sie wollen mir meinen ehrlichen Namen abkaufen?

X. Wenn er nicht ehrlich wäre, würde ich ihn nicht kaufen.

Y. Er ist wahnsinnig.

X. Durchaus nicht. Ich kaufe Ihnen Ihren Namen ab – für mein gesamtes Vermögen.

Z. Das Sie zusammenstahlen.

X. Nicht unehrlicher als mancher Industriekapitän. Da jene Frau Ihren Namen trägt, ist er mir um alles feil. Er ist mir mehr wert als mein Leben. – Sie können dafür meinen Namen gratis und umsonst haben. Ich biete Ihnen jede gewünschte Sicherheit.

Z. Die Sicherheit, die ich wünsche, können mir nur Handschellen und Fußeisen gewähren.

Y. Sie – Sie – Mörder

X. Mörder?

Y. Meines Glückes

Z. Das Gefängnis wartet. Drei Jahre sind fällig.

X. Mindestens.

Z. Sie sind informiert.

X. Ja.[312]

Z denkt einen Augenblick nach. Es gibt vielleicht einen Ausweg, um den öffentlichen Skandal zu vermeiden. Wollen Sie in – Freiheit bleiben?

X. Die Freiheit bedeutet die Möglichkeit, mit ihr in einer Luft zu atmen, vielleicht manchmal sie von weitem zu sehn – zu grüßen

Y. Auf Ihren Gruß verzichte ich.

X. Für welchen Preis wollen Sie mich der Polizei nicht ausliefern?

Y. Eine Bedingung

X. Welche –?

Y. Sie haben die Komteß unter meinem Namen, dem Namen des Grafen Z geheiratet. Ich liebe die Gräfin. Und die Gräfin liebt mich.

X. Liebt – Sie –?

Y tritt zu Z. Ja!

Z. Es ist mein, der Gräfin, der Familie, unser aller Wunsch, die Angelegenheit diskret zu arrangieren

X. Meiner völligen Diskretion dürfen Sie versichert sein

Z. Es sind keine Formalitäten zu erledigen, Protokolle zu ändern, keine Scheidung ist notwendig, wenn ich nunmehr die Gräfin in der Tat eheliche, nachdem die Verbindung auf meinen Namen schon geschlossen ist. Die ehelichen Rechte und Pflichten gehen von Ihnen auf mich über: das ist alles.

X. Das ist alles

Z. Noch nicht alles – Sie werden nun die Rolle weiterspielen, die ich hier spielen mußte. Sie werden künftig mich bedienen.

X mit einem Blick. Ich werde Sie bedienen ...

Z. Ein Bruch Ihres Dienstvertrages und die Polizei hat Sie beim Kragen

Y. Ihr Bubenstück verlangt exemplarische Bestrafung, verlangt Ihre tiefste menschliche Demütigung.

X. Mit der größten Freude werde ich Ihnen Zu Y. dienen wie bisher. Denn Ihnen zu dienen war immer meine höchste Freude, mein Glück

Z zieht seine Livreejacke aus. Also wechseln wir die Kleider.

X zieht sein Jackett aus, sie tauschen, X hilft Z ins Jackett.

Y. Nat[313]

X. Frau Gräfin befehlen?

Y. Packen Sie unsere Koffer. Wir reisen noch heute.

X. Sehr wohl. Für länger?

Y. Vier Wochen. Wir machen unsere – Hochzeitsreise – nach Italien – Zu Z. Komm, Nathanael – Zu X. Vergessen Sie nicht den lila ombrierten Badeanzug für den Lido einzupacken – und den rosa Georgette mit Gold und Silber kombinierten Pyjama!


Z und Y ab.


X bleibt allein auf der Bühne, senkt den Kopf. Sehr wohl, Frau Gräfin


Vorhang.


Quelle:
Klabund: Der himmlische Vagant. Köln 1968, S. 297-314.
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