Erstes Kapitel

[3] Vergebens hatte Albertine am Ufer des Baches Gras und Gesträuch durchsucht; nirgend, nirgend war der werthe Ring zu finden. »Er ist verloren,« rief sie schmerzlich. Die Abendsonne röthete ihr Gesicht und ließ eine Thräne der Beängstigung sichtbar werden.

Traurig ließ sie sich am Ufer des Baches nieder, das zarte Händchen auf ein Polster von Moos stützend. Plötzlich fiel, unfern von ihr, ein Schuß im Schilf; sie sprang auf. Eine männliche Stimme rief voll Entsetzen: Herr Jesus! und in dem Augenblick stand ein junger, schöner, stattlicher Jäger vor Albertinen.[3]

Albert hatte an dem Geräusch vernommen, daß sich da, wo er nur Enten vermuthete, etwas viel Besseres in seiner Schußlinie befände. Rasch warf er die Flinte von sich und eilte der Stelle zu.

Über alle Beschreibung überraschte ihn die Gegenwart des reizvollen jungen Mädchens, das er, dem schlichten anspruchlosen Anzuge nach, für ein gewöhnliches Landmädchen gehalten hätte, wenn der edle hohe Anstand der schönen Gestalt und die Fülle von Geist aus dem dunkelblauen Auge, ihn nicht eines andern belehrt hätte.

Im ersten Momente glaubte Albert, ein leichtes Gespräch anknüpfen zu können. Jetzt aber schämte er sich so, daß er sich nur in Alltagsformeln über den Schrecken auszubreiten wußte, den ihr sein Schuß verursacht haben mußte.

»So leicht erschrecke ich nicht,« antwortete Albertine ganz unbefangen; »ich schieße zum Scherz wohl selbst zuweilen ein Gewehr ab.«

Jetzt bückte sie sich, und begann von[4] neuem den Ring zu suchen. Albert bückte sich und suchte emsig mit, ohne zu wissen was? »Was suchen denn Sie?« fragte Albertine lächelnd. Albert sahe ihr ins Auge und lächelte beschämt. Nun erzählte sie, daß sie am frühen Morgen hier mit einer Freundin gewesen sei, Kräuter zu suchen, wobei sie einen Ring verloren habe, welchen sie erst nachher vermißte.

»Der Ring ist von großem Werth?« sagte Albert. »Für mich von unsäglichem,« erwiederte Albertine lebhaft. »Ein Haargeflecht von ganz so schönem glänzend blondem Haar, als das Ihrige ist, umschlingt ihn.« Hier zeigte sie mit kindlicher Unschulds Geberde auf Alberts volle blonde Locken, die seine schöne weiße Stirn umflossen.

Albert erröthete. Gewiß ein Pfand der Liebe, daß sie der Ring so kümmert, dachte er mit einigem Unmuthe. Doch war er zu delicat, irgend eine Bemerkung der Art laut werden zu lassen. Der reine Ausdruck ihres unschuldvollen Gemüthes gebot ihm Ehrfurcht.[5] Daher keine Frage um Stand und Namen. Auch Albertine fragte nicht darnach; ihr war es genug, er war liebenswürdig und bescheiden; auch hatte der reine Tenor seiner biegsamen Stimme, schon leise zu seinem Besten bei ihr gesprochen. Zutraunsvoll legte sie ihren Arm in den seinigen, als sie sich wegbegeben wollte, wobei sie ungezwungen äusserte, ihrem Onkel, der gern Gesellschaft bei sich sähe, würde seine Bekanntschaft sehr angenehm seyn.

Unterweges sprach Albert von den Vorzügen des Landlebens. Albertine drückte sich mit Wärme über Naturgenuß aus; doch gestand sie freimüthig, das fortwährende Landleben habe ihr Langeweile gemacht, deshalb habe sie ihren Bruder verlassen und sich zu ihrem Onkel begeben, der nur die Sommermonate auf seinem Landsitze zubringe.

Alberten gefiel dies offene Geständniß, je seltener es war; weil mehrentheils die entschiedensten Weltfrauen sich für die Stille des Landlebens zu erklären affectiren,[6] die dann freilich ihrer erschlafften Existenz durch Landluft und Badecur neue Spannung, zum Vollgenuß des bunten Weltlebens verschaffen müssen.

Schon schwebte Alberten eine Artigkeit hierüber auf der Zunge, doch hielt er sie zurück, als er Albertinen sich über so mancherlei, so sinnig und gehaltreich auslassen hörte; er würde sich ihr gegen über mit irgend einer Stutzer Galanterie, unbeschreiblich fade erschienen seyn. So wie sich ihm mit jedem ihrer Worte, neue Schönheiten ihrer geistvollen Bildung entwickelten, wurde sie ihm interessanter. Der lange Weg längs der duftenden Wiese und durch das kleine Buchenwäldchen, dünkte ihm gar zu kurz, als sie an Albertinens Wohnort, einem geschmackvollen einladenden Landhause angekommen waren.[7]

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 3-8.
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