Der 32. Psalm

[835] Beati, quorum remissæ, etc.


Inn der weis, Ach GOT, wie lang vergissest mein.


1.

Wol dem welchem vergeben sint

sein fäl vnd vbertrettung,

Vnd dem bedecket ist sein sünd,

wol dem: er sind errettung!

Ja, wol dem Menschen dem aus gnad

GOT nicht zurechnet sein mißthat,

jun des Gaist ist kain falsche!


2.

Wol dem des Herz nicht gleichsneu kan,

vnd sich bekent vnraine!

Dan da ichs wolt verschwigen han.

verschmachten mein gebaine:

Wan ich mich nicht gleich zu dir kehrt,

das täglich heulen mich verzert,

sucht hilf vnd fand doch kaine.


3.

Dan deine hand war schwer auf mir

baides, bei nacht vnd tagen,

Das mein saft trocknet vnd wurd dürr,

gleich wie inn Sommertagen:

Darum mein sünd ich dir erzehlt,

mein missetat ich nicht verhält,

ich that zu mir selbs sagen


4.

›Ich will bekennen meinem GOT

als bald mein vbertrettung‹:

Da vergabst du mir die mißtat,

erlabst mich nach der tödung.

Vm dis all Hailgen werden dich

bitten zur rechten zeit herzlich,

dein Gnad zur zeit zu finden.


5.

Drum wan kommen gros Wasserflut,

an sie werdens nicht langen.

Du bist mein Schirm, für angst mein hut,

errett mich aus dem trauge,

Das ich dich frölich rümen künn,

der du mich machst fräudig vnd kün,

erfräuest mein verlangen.


6.

Du, HERR, sprichst mir ganz tröstlich zu,

›ich will dich vnterweisen,

Dir zaigen den weg welchen du

solt wandeln vnd drauf raisen,

Ich will mit meim aug laiten dich,

das dein aug sich nur richt auf mich,

dir hatten mein verhaisen.


7.

Seit nicht wie Roß vnd Mäuler nur,

welche nicht sint verständig

Zu lehrn was guts jn widerfuhr,

darum macht man sie bändig

Mit zäumen vnd gebiß inns Maul,

wann sie zu dir zugehn sint faul,

drum eil zu mir behendig.


8.

Dan die halsstarrig Gotlos Herd

hat auch wie Thir vil plagen,

Dadurch sie wird bezäumt, beschwärt,

sich nicht zu hoch zutragen:

Wer aber auf den HERREN hoft,

den würd die Güt vmfahen oft,

wird willig zu GOT nahen.‹


9.

Darum euch GOT des HERREN fräut,

ja fräuet euch im HERREN!

Vnn jr Gerechten, frölich seit,

er thut euer begerē!

Durch euer fräudengschrai entzünt

all die aufrechtes herzen sint,

das sie GOT mit euch Ehren!


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 835-836.
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