Achtes Kapitel.
Nach Norden.

[115] Der Nachmittag dieses Tages wurde der Ruhe gewidmet. Es mußten auch für die nun beginnende Schiffahrt über die Seen einige Vorbereitungen getroffen werden, die der Scout ohne Zögern in die Hand nahm. Im eignen Interesse wie in dem ihrer Reisegefährtinnen konnten sich Summy Skim und Ben Raddle wirklich nur beglückwünschen, mit dem so verständigen und geschickten Manne verhandelt zu haben.

Am Südende des Lindemansees, wo auch schon an tausend Reisende zusammengeströmt waren, befand sich nun Bill Stells Lagermaterial. Er besaß hier an der Rückseite eines Hügels seine Hauptlagerstätte. Zu dieser Anlage[115] gehörte auch ein in mehrere gut abgeschlossene Stuben geteiltes hölzernes Haus, an das mehrere Schuppen mit den Schlitten und andern Beförderungsmitteln angebaut waren. Dahinter erhoben sich noch Stallungen für die Zugtiere neben festen Hütten für die Hunde.

Schon wendete sich der Verkehr weit mehr dem Chilkoot zu als dem White-Paß, obwohl dieser unmittelbar auf den Bennettsee zu mündete und damit die Fahrt über den Lindemansee ausschaltete. Auf dem zweiten aber war die Beförderung von Personen und Gepäckstücken der Reisenden – ob der See nun seinen Eispanzer trug oder dieser schon weggetaut war – entschieden leichter als über die weiten Ebenen, die noch zwischen dem White-Paß und dem südlichen Ufer des Bennettsees liegen.

Die vom Scout gewählte Station gewann also mehr und mehr an Bedeutung. Er machte hier auch gute Geschäfte und jedenfalls sichrere als mit der Ausbeutung von Lagerstätten Klondikes.

Bill Stell betrieb sein einträgliches Gewerbe hier übrigens nicht ganz allein; andre hatten sich diesem, sowohl hier als auch am Bennettsee, ebenfalls zugewendet. Ja man konnte sogar sagen, daß diese Unternehmer – es waren neben Kanadiern auch Amerikaner – für die tausende von Auswandrern, die zu dieser Zeit des Jahres an den beiden Einschiffungsplätzen eintrafen, noch nicht einmal genügten.

Immerhin wendeten sich viele dieser Auswandrer, und zwar aus Sparsamkeitsrücksichten, nicht an den Scout oder an dessen Kollegen; die sind dann aber gezwungen, ihr gesamtes Material von Skagway bis hierher selbst zu befördern, ihre Schlitten mit zerlegbaren Booten aus Holz oder Eisenblech zu belasten, und wir haben ja gesehen, welche Schwierigkeiten es verursachte, so schwere Frachtstücke über den Chilkoot hinwegzuschaffen. Über den White-Paß sind die Beschwerden nicht geringer und auf dem einen wie auf dem andern Wege bleibt immer ein Teil dieser lästigen Fracht ganz liegen oder wird wenigstens beschädigt.

Daneben gibt es noch andre Zuzügler, die es, um die Ungelegenheiten oder die Kosten der Beförderung zu vermeiden, vorziehen, die unentbehrlichen Boote erst hier bauen zu lassen oder auch sie selbst zusammenzuzimmern. In der hiesigen waldreichen Gegend fehlt es dazu ja nicht an Material und schon sind deshalb hier einige Bootswerften entstanden und rings um die Raststelle am Lindemansee arbeiten auch mehrere Sägemühlen.[116]

Beim Eintreffen unsrer Reisegesellschaft wurde Bill Stell von seinen Leuten freudig begrüßt, von mehreren Männern, die ihm als Lotsen dienten und die Boote von See zu See bis zum Laufe des Yukon führten. Auf ihre Geschicklichkeit konnte man sich ruhig verlassen: sie waren mit dieser, zuweilen immerhin gefährlichen Fahrt vollständig vertraut.

Die Luftwärme hielt sich zunächst ziemlich niedrig. Summy Skim, Ben Raddle und ihren Reisegenossinnen kam es recht gelegen, im Hause des Scout, wo man ihnen die besten Zimmer einräumte, bequeme Unterkunft zu finden. Bald fanden sich alle in einer Art Gesellschaftszimmer zusammen, wo eine angenehme Wärme herrschte.

»Uf! stieß Summy Skim hervor, als er sich nieder setzte, nun wäre ja das Schlimmste überstanden!

– Hm... sagte Bill Stell, bezüglich der Anstrengung... na ja... vielleicht... und doch... Nicht zu vergessen, daß wir bis Klondike noch mehrere hundert Lieues vor uns haben.

– Das weiß ich, mein wackrer Bill, antwortete darauf Summy Skim, doch denke ich, daß dieser zweite Teil der Reise ohne Gefahren und Mühseligkeiten verlaufen wird.

– Darin haben Sie doch nicht ganz recht, Herr Skim, entgegnete der Scout.

– Ja, wir werden aber doch nur noch über die Seen, die Ströme und die Flüsse mit deren Strömung zu fahren haben.

– Gewiß, das heißt, wenn der Winter schon ganz vorbei wäre, leider hat der Eisaufbruch aber erst angefangen. Wenn dann der Eisgang eintritt, wird unser Boot nicht selten von den hinabtreibenden Schollen bedrängt werden und außerdem werden wir jedenfalls wiederholt genötigt sein, es ein Stück über Land zu schleppen.

– Das steht fest, rief Summy Skim, hier fehlt noch mancherlei, dem Touristen das Reisen in dem schrecklichen Lande zum Vergnügen zu machen!

– Wird auch noch kommen, bemerkte dazu Ben Raddle, denn schon jetzt ist es im Werke, hier eine Bahnlinie anzulegen. Der Ingenieur Hawkins wird dabei unausgesetzt zweitausend Mann beschäftigen.

– Na ja, recht gut und schön, meinte Summy Skim, ich rechne aber stark darauf, schon vorher zurückgekehrt zu sein. Bekümmern wir uns jetzt also nicht weiter um diese noch fragliche Eisenbahn, wir wollen uns dafür lieber über den Weg unterrichten, den wir zur Zeit noch einzuschlagen haben.«[117]

Der Scout ging sogleich auf diesen Wunsch ein und entfaltete eine im großen Maßstabe gehaltene Karte des ganzen in Betracht kommenden Gebietes.

»Hier, sagte er, ist zunächst der Lindemansee, der dem Fuße des Chilkoot so nahe liegt und über den wir in seiner ganzen Länge fahren müssen.

– Wird das viel Zeit beanspruchen? fragte Summy Skim.

– Nein, gab der Scout zur Antwort, wenn er eine ununterbrochene Eisdecke trägt oder wenn er ganz eisfrei ist.

– Und weiter? sagte Ben Raddle.

– Dann müssen wir unser Boot und unser Gepäck eine halbe Lieue (fast 2 km) bis zur Station am Bennettsee über Land befördern. Auch die Dauer dieses so kurzen Marsches hängt wesentlich von der Luftwärme ab und Sie haben ja schon erfahren, in welch weiten Grenzen die an einem Tage wechseln kann.

– Ja freilich, gab Ben Raddle zu, um zwanzig bis fünfundzwanzig Grad, je nachdem der Wind aus Norden oder aus Süden kommt.

– Jedenfalls, setzte Bill Stell hinzu, brauchen wir entweder anhaltendes Tauwetter, um das Boot benützen zu können, oder eine tüchtige Kälte, bei der der Schnee ordentlich hart wird, so daß wir das Boot darauf wie einen Schlitten hingleiten lassen können.

– Schön, nahm Summy Skim wieder das Wort, angenommen, wir befänden uns nun am Bennettsee...

– Der erstreckt sich, erklärte der Scout, über eine Länge von zwölf Lieues (463/4 km). Auf die Fahrt darüber hin müssen wir aber mindestens drei Tage rechnen, da wir dazwischen mehrmals ans Land gehen werden.

– Nach diesem See, sagte Summy Skim, während er die Karte betrachtete, kommt wohl noch einmal ein Stück Landweg?

– Nein, da ist der eine Lieue lange Rio du Caribon, der den Bennettsee mit dem Tayischsee verbindet. Dieser dehnt sich sieben bis acht Lieues (gegen 28 bis 30 km) weit aus und steht dann mit dem ungefähr ebensolangen Marschsee in Verbindung. Über diesen See hinaus haben wir ferner etwa zehn Lieues (39 km) weit den Windungen eines Flusses zu folgen, und dabei gelangen wir an die Stromschnellen der White Horses, über die immer schwierig, zuweilen gefährlich, hinwegzukommen ist. Nachher erreicht man, am Ende des Labargesees, die Zuflußstelle des Takheena. Auf dieser Strecke der Fahrt ist man von den ärgerlichsten Verzögerungen bedroht, wenn es gilt, die Stromschnellen[118] der White Horses zu überwinden. Ich bin dort, stromaufwärts vom Labargesee, gelegentlich schon eine ganze Woche aufgehalten worden.

– Doch der See, fragte Ben Raddle, ist der wenigstens bequem zu befahren?

– Auf allen seinen dreizehn Lieues vollkommen bequem.

– Alles in allem, ließ sich jetzt Ben Raddle vernehmen, wird unser Fahrzeug uns, von wenigen kleinen Landstrecken abgesehen, bis nach Dawson City bringen.

– Unmittelbar bis dahin, Herr Raddle, bestätigte Bill Stell, und obendrein ist die Fahrt auf dem Wasser immer die leichteste und angenehmste.

– Und wie lang ist, fragte Ben Raddle, sowohl längs des Lewis als auch des Yukon die Strecke, die den Labargesee noch von Klondike trennt?

– Mit Einrechnung der Bogen der Wasserläufe etwa hundertfünfzig Lieues (585 km).

– Na, eins sehe ich, sagte Summy Skim, angekommen sind wir noch nicht.

– Gewiß nicht, bestätigte der Scout. Wenn der Lewis am Nordende des Labargesees erreicht ist, haben wir erst die Hälfte des Weges hinter uns.

– In Anbetracht der so langen Reise, schlug Summy Skim vor, wollen wir doch einen Vorrat an Kräften sammeln, und da sich hier an der Haltestelle am Lindemansee Gelegenheit bietet, eine Nacht tüchtig auszuschlafen, wollen wir bald zu Bette gehen!«

In der Tat verbrachten die beiden Vettern hier eine der besten Nächte seit der Abreise aus Vancouver. In dem gut geschützten und geschlossenen Hause sorgten die wohlversorgten Öfen für eine mollige Wärme.

Die neunte Morgenstunde des 1. Mai war herangekommen, als die Gesellschaft sich wieder in Bewegung setzte. Die Mehrzahl der Männer, die den Scout von Skagway aus begleitet hatten, sollten ihm auch bis Klondike folgen.

Ihrer Hilfe bedurfte man zur Beförderung des zum Schlitten verwandelten Bootes, da zu erwarten war, daß man später auf den Seen und auf dem Lewis und dem Yukon hinschiffen könnte.

Die vorhandenen Hunde gehörten zu der verbreiteten Rasse des Landes. Die völlig akklimatisierten Tiere haben stark behaarte Pfoten, infolgedessen sie, ohne die Gefahr, tiefer einzusinken, besser über den Schnee laufen können. Daraus aber, daß sie akklimatisiert waren, durfte man nicht schließen, daß sie nicht[119] recht wild geblieben wären. Wirklich gaben sie in dieser Hinsicht Wölfen oder Füchsen nicht viel nach. Ihren Führern gelang es auch nur durch Liebkosungen und Leckerbissen, sie einigermaßen gehorsam zu er halten.

Unter der Mannschaft des Scout befand sich jetzt einer als Lotse, der für die Führung des Bootes auf den verschiedenen Gewässern bestimmt war. Es war ein Indianer aus Klondike, Neluto mit Namen, der schon seit neun Jahren im Dienste des Scouts stand. In seinem Fache sehr erfahren sowie mit den Schwierigkeiten jeder Art, die sich bei der Fahrt auf den Seen, über die Stromschnellen und auf den Flüssen bieten, gründlich bekannt, konnte man sich dem Manne sorglos anvertrauen. Vor seinem Eintritt in das Personal des Scouts war Neluto bei der Hudsonbai-Gesellschaft angestellt gewesen, wo er die Pelzjäger lange Zeit durch weite Landstrecken geführt hatte. Er kannte gründlich die von ihm in jeder Richtung durchstreiften Gebiete und selbst die Gegend oberhalb von Dawson City bis an den Polarkreis.

Neluto war des Englischen genügend mächtig, verstanden zu werden und sich verständlich zu machen. Soweit es nicht seinen Beruf betraf, sprach er überhaupt nur sehr wenig, so daß man ihm, wie man zu sagen pflegt, die Worte einzeln aus dem Munde locken mußte. Immerhin konnte der an das Klima Klondikes vollkommen gewöhnte Mann nach dem und jenem mit Nutzen befragt werden. So glaubte auch Ben Raddle an ihn die Anfrage richten zu sollen, was er von der bevorstehenden Witterung hielte und ob er glaubte, daß das Eis der Seen bald aufbrechen würde.

Neluto erklärte, daß die Schneeschmelze und der Eisgang seiner Ansicht nach vor Verlauf von vierzehn Tagen nicht zu erwarten seien, wenn im Zustand der Atmosphäre kein schroffer Umschlag einträte.


Die Stromschnellen zwischen dem Lindeman- und Bennettsee. - Die Schlucht im Chilkootpaß.
Die Stromschnellen zwischen dem Lindeman- und Bennettsee. - Die Schlucht im Chilkootpaß.

Ben Raddle erschien diese Prognose freilich recht unbestimmt, er mußte jedoch darauf verzichten, aus einem Mann, der es entschieden vermeiden wollte, sich zu kompromittieren, eine andere herauszuholen.

Während die nächste Zukunft also unsicher blieb, konnte man wenigstens über die Gegenwart nicht im Zweifel sein. Über den Lindemansee sollte man nicht im schaukelnden Boot fahren, sondern, so gut es ging, hinwandern. Jane und Edith konnten immerhin in dem Fahrzeuge Platz nehmen, das, nach der Seite geneigt, über das Eis gezogen wurde und dem die Männer zu Fuße folgen sollten.

Das Wetter war ziemlich ruhig, der gestrige schneidende Wind war abgeflaut und verriet die Neigung, nach Süden zurückzugehen. Dennoch herrschte eine recht tüchtige Kälte – bei gut zwölf Grad unter Null – ein im ganzen günstiger und vorteilhafter Umstand für den Marsch, der durch Schneegestöber den Wandrern sonst recht beschwerlich werden kann.

Nachdem der Lindemansee gegen elf Uhr überschritten war, genügte eine Stunde, die zwei Kilometer, die ihn vom Bennettsee trennten, zurückzulegen, und als die Mittagsstunde schlug, hielt der Scout mit seiner Karawane an der Station, die am Südende dieses Sees entstanden ist.

Hier herrschte ein ebenso arges Gedränge wie am Sheep-Camp des Chilkoot-Passes: mehrere tausend Auswanderer warteten nur darauf, ihre Fahrt fortsetzen zu können. Überall standen Zelte, die gewiß bald durch Hütten und Häuser ersetzt werden sollten, wenn der Zuzug nach Klondike noch einige Jahre in gleicher Stärke anhielt.

Schon fand man in diesem Dorfembryo, der später ohne Zweifel zum Flecken und dann zur Stadt anwuchs, einige Herbergen – später Hotels – und am Ufer des Sees Schiffswerften und Sägewerke verstreut, ohne von einem Polizeiposten zu reden, dessen Aufgabe mitten unter den von überallher zusammengeschneiten Abenteurern sicherlich oft genug eine recht gefährliche war.

Der Indianer Neluto hatte sehr recht daran getan, seine Witterungsvorhersage in normännischer Weise zu verklausulieren: kurz nach Mittag trat plötzlich ein starker Witterungsumschlag ein.

Der Wind wehte ziemlich steif aus Süden und das Thermometer stieg auf Null Grad.

Das waren Vorzeichen, über die sich niemand täuschen konnte. Jetzt ließ sich annehmen, daß der Winter wirklich zu Ende gehen und daß das Tauwetter die Oberfläche der Seen und Wasserläufe bald vom Eise befreien würde.

Schon war der Bennettsee von diesem nicht mehr im ganzen Umfange bedeckt. Zwischen den Icefields oder Eisfeldern hatten sich Spalten gebildet, die ein Boot, wenn es deren Windungen folgte, recht wohl passieren konnte.

Gegen Ende des Tages stieg die Temperatur noch weiter. Der Eisaufbruch nahm zu und schon fingen einzelne Schollen an, sich vom Ufer zu lösen und nach Norden abzuschwimmen. Trat nun in der nächsten Nacht kein sehr strenger Frost ein, so konnte man das nördliche Ende des Sees gewiß ohne größere Schwierigkeit erreichen.

Das Thermometer fiel in der Nacht nicht und mit Tagesanbruch am 2. Mai konnte Bill Stell erkennen, daß die Schiffahrt schon unter recht günstigen[123] Verhältnissen erfolgen könne. Der von Süden herwehende Wind gestattete, wenn er anhielt, überdies die Benützung eines Segels.

Als der Scout mit dem Morgengrauen das Gepäck und die Nahrungsmittelvorräte einladen lassen wollte, bemerkte er mit Erstaunen, daß das bereits geschehen war. Jane und Edith hatten sich schon am Abend vorher dieser Arbeit unterzogen. Unter ihrer Leitung war alles in so zweckmäßiger Ordnung untergebracht, wie es der Scout selbst schwerlich erreicht hätte. Der kleinste Winkel war da ausgenützt und alle Kolli, die großen wie die kleinen, waren so überraschend gut verstaut, daß es ein Vergnügen war, es zu sehen, und eine Kleinigkeit, das eine oder das andre davon hervorzuholen.

Als die beiden Vettern dann bei ihrem Führer am Ufer standen, teilte er diesen mit, welches Erstaunen er eben empfunden habe.

»Ja ja, antwortete Ben Raddle, es sind außerordentliche Wesen... alle beide. Der Tätigkeitsdrang und die nie versiegende gute Laune der Miß Jane und die milde, doch unbesiegliche Festigkeit der Miß Edith haben entschieden etwas Überraschendes und ich fange an zu glauben, daß ich ein gutes Geschäft gemacht habe.

– Ein Geschäft?... Welches Geschäft? fragte der Scout verwundert.

– Das ist eine Sache, die Sie nicht ganz verstehen würden. Doch sagen Sie mir, Freund Stell, was halten Sie von der Witterung? Wird der Winter zu Ende sein?

– Darüber möchte ich mich nicht ohne Vorbehalt aussprechen. Es scheint ja so, daß die Seen und Flüsse bald eisfrei sein werden. Wenn wir übrigens den offnen Spalten folgen, selbst daraufhin, daß das den Weg natürlich verlängerte, würde unser Boot...

– Sein ihm zustehendes Element nicht zu verlassen brauchen, schloß Summy Skim den Satz. Das wäre ja das Beste für alle.

– Was denkt denn Neluto darüber? fragte Ben Raddle.

– Neluto, erklärte der Indianer pathetisch, denkt, man brauche keine Unterbrechung des Eisgangs zu befürchten, wenn das Thermometer nicht fällt.

– Vortrefflich! rief Ben Raddle lachend. Sie hüten sich ja weislich vor etwaiger Blamage, guter Freund. Können die hinuntertreibenden Eisschollen aber nicht auch gefährlich werden?

– O, das Boot ist fest und hält schon einen Anprall aus, versicherte Bill Stell. Das hat sich schon oft bewährt, wenn es mitten im Eisgange dahinglitt.«[124]

Ben wandte sich wieder dem Indianer zu.

»Neluto, redete er ihn an, wollen Sie mir denn Ihre Ansicht nicht etwas bestimmter sagen?

– Nun, schon seit zwei Tagen hat sich das erste Eis in Bewegung gesetzt, das ist ein Beweis, daß der See draußen davon frei sein wird.

– Aha, sagte Ben mit Befriedigung, das ist doch endlich ein Wort, das sich hören läßt. Und was denken Sie über die Windverhältnisse, Lotse?

– Zwei Stunden vor Tage hat sich Wind erhoben, der uns günstig ist.

– Ja, das ist eine Tatsache; doch wird sich der Wind auch halten?«

Neluto drehte sich um und musterte den im Süden vom Bergstock des Chilkoot abgeschlossenen Horizont. An der Berglehne sanken nur leichte Dunstmassen herab. Da streckte der Lotse die Hand nach dieser Richtung aus und sagte:

»Ich glaube, die Brise wird bis zum Abend aushalten, Herr...

All right!

– Wenn sie bis dahin nicht umschlägt, setzte Neluto ganz ernsthaft hinzu.

– Ich danke euch, Lotse, erwiderte Ben etwas ärgerlich, nun weiß ich ja, woran ich bin.«

Das Boot des Scouts war eine Art Schaluppe oder richtiger eine fünfunddreißig Fuß lange Barke. Auf dem Hinterteil trug es eine Überdachung, worunter bei Tag und bei Nacht zwei bis drei Personen gegen Schneetreiben oder Regenschauer Schutz finden konnten. Das Boot hatte einen flachen Boden und deshalb also einen geringen Tiefgang; seine Breite betrug sechs Fuß, was ihm gestattete, eine ziemlich große Segelfläche zu tragen. Das Segel, in der Form des auf Fischerschaluppen üblichen Focksegels, war am Vorderteile angeseilt und reichte bis zur Spitze eines fünfzehn Fuß hohen Mastes – mehr einer Spiere – hinauf. Beim Eintreten schlechten Wetters war es leicht, den Mast aus seiner Spur zu heben und ihn unter den Seitenbänken zu bergen.

Scharf gegen den Wind konnte ein solches Fahrzeug freilich nicht aufkommen, mit Backstagswind machte es aber doch recht gute Fahrt. Zwangen die Windungen der Wasserstraßen den Piloten, gegen den Wind zu steuern, so wurde das Segel eingebunden und man griff zu den Riemen, die, von den kräftigen Armen der vier Kanadier gehandhabt, das Boot ziemlich schnell vorwärtstrieben.[125]

Die Flächenausdehnung des Bennettsees ist nicht bedeutend; dieser hält keinen Vergleich aus mit den großen Binnenseen Nordamerikas, die zuweilen von den gefährlichsten Stürmen aufgewühlt werden. Für die Überfahrt mußten auf jeden Fall die vom Scout mitgeführten Nahrungsmittel ausreichen, die aus Fleisch, Konserven, Zwieback, ferner aus Tee und einem Fäßchen Branntwein bestanden; dazu kam endlich noch ein reichlicher Vorrat an Kohlen. Im übrigen rechnete man auch auf den Fischfang, denn die Gewässer wimmelten hier von schmackhaften Fischen und daneben gab es viel Wild, Rebhühner und Haselhühner, die das Ufergelände des Sees belebten.

Der Lotse am Steuer hinter dem Dache, worunter Edith und Jane saßen, Summy Skim und Ben Raddle davor zur Seite Bill Stells und die vier Mann auf dem Vorderteile mit Bootshaken in der Hand, um damit herandrängende Schollen abzuhalten: so stieß das Fahrzeug um acht Uhr früh vom Ufer.

Etwas belästigt wurde die Fahrt durch die große Zahl Boote, die sich gleichzeitig durch die eisfreien Spalten hinwanden. Um sich das Tauwetter und den günstigen Wind zunutze zu machen, hatten sofort mehrere hundert, meist kleine Fahrzeuge die Station am Bennettsee verlassen. Inmitten dieser Flottille war es oft schwierig, Zusammenstöße zu vermeiden. Dann gab es wüstes Geschrei, hagelte es Flüche und Drohungen von allen Seiten, wenn es nicht gar zum Austeilen von Schlägen kam.

Am Nachmittage kreuzte unser Fahrzeug ein Polizeiboot, dessen Besatzung es nicht an Gelegenheit fehlte, da und dort mit fester Hand einzugreifen.

Der Führer des Polizistentrupps kannte den Scout und rief ihn beim Vorüberfahren an.

»He, Scout... Scout! Immer noch Auswandrer auf dem Wege von Skagway nach Klondike...?

– Freilich, freilich, antwortete der Kanadier, mehr als nötig...

– Und mehr, als davon einst heimkehren werden.

– Ja, gewiß. Und auf wie viele schätzt man die, die schon über den Bennettsee gekommen sind?

– Etwa auf fünfzehntausend.

– Und noch ist des Zuzugs kein Ende?

– Keineswegs.

– Weiß man, ob der Eisgang stromabwärts schon vorüber ist?[126]

– Man sagt's wenigstens. Ihr werdet den Yukon also zu Schiff erreichen können.

– Jawohl, wenn keine neue Kälteperiode kommt.

– Das wollen wir hoffen.

– Ja. Danke!

– Glückliche Reise!«

Das Wetter war meist still, was man an der Fahrt des Bootes unliebsam bemerkte. Zwei Nächte mußte man beilegen und erst am Nachmittage des 4. Mai kam die Gesellschaft am Ende des Bennettsees an.

An dieser Stelle geht von dem See der kleine Fluß oder mehr Kanal Caribon aus, der kaum eine halbe Lieue weiter oben in den Tagishsee mündet.

Da die Weiterfahrt erst am folgenden Tage erfolgen sollte, nachdem man die Nacht über ausgeruht hatte, wollte Summy Skim die letzten Tagesstunden benützen, auf den Ebenen der Umgebung einiges Wild zu erlegen. Kaum hatte er diese Absicht verlauten lassen, als Jane Edgerton zu seiner großen Verwunderung und noch größern Befriedigung erklärte, daß sie ihn begleiten werde.

Das ganze Vorhaben des jungen Mädchens mußte ihren Reisegenossen von Tag zu Tag überhaupt minder töricht erscheinen: sie war sozusagen für das Leben gewappnet. So wie Summy Skim ein vortrefflicher Schütze war, erwies auch sie sich nicht minder geschickt und bald brachten beide die Ausbeute der gemeinschaftlichen Jagd heim: drei Paar Wiesenrebhühner und vier Haselhühner mit blaßgrünem Gefieder, die recht willkommen geheißen wurden. Edith hatte inzwischen am Ufer ein Feuer aus dürrem Holz entzündet und das über den flackernden Flammen geröstete Wild fand bei allen den ungeteiltesten Beifall.

Der siebeneinhalb Lieues lange Tagishsee ist mit dem Marshsee durch einen schmalen Einschnitt verbunden, den der Eisgang, als die Karawane am 6. Mai dahin kam, in der vorhergegangenen Nacht verstopft hatte. Dadurch wurde es nötig, das Boot auf die Strecke einer halben Lieue über Land zu schleppen, was mit Hilfe gemieteter Maultiere ausgeführt wurde. Die Schiffsreise konnte dann am Morgen des 7. Mai wieder fortgesetzt werden.

Achtundvierzig Stunden sollten notwendig werden, den Marshsee in seiner ganzen Länge, die übrigens nur sieben bis acht Lieues (27 bis 30 km) beträgt, zu durchmessen. Der Wind war nach Norden umgeschlagen und bei der ausschließlichen[127] Benützung der Riemen war an ein schnelles Fortkommen nicht zu denken. Zum Glück war die übrige Bootsflottille nicht mehr so zahlreich wie auf dem Bennettsee, da eine nicht geringe Zahl Fahrzeuge allmählich zurückgeblieben waren, und noch vor Sonnenuntergang konnte am 8. Mai am Ende des Sees bequem Halt gemacht werden.

»Wenn ich mich nicht irre, Scout, begann Ben Raddle nach dem Abendessen, so haben wir nur noch einen See, den letzten dieser Gegend, zu durchschiffen?

– Jawohl, Herr Raddle, lautete Bill Stells Antwort, und zwar den Labargesee. Vorher müssen wir aber den Lewisfluß hinabfahren und diese Reisestrecke bietet die meisten Unbequemlichkeiten. Da sind auch die White Horses-Fälle zu überschreiten, die schon manches Boot mit Mann und Maus verschlungen haben.«

Diese Stromschnellen bilden tatsächlich die ernsteste Gefahr für die Schifffahrt zwischen Skagway und Dawson City. Sie erstrecken sich über dreiundeinhalb Kilometer von den fünfundneunzig, die den Marshsee vom Labargesee trennen. Auf diese kurze Entfernung beträgt der Unterschied des Wasserniveaus nicht weniger als zweiunddreißig Fuß (etwa zehn Meter) und obendrein liegen im Flußbette Felsstücke zerstreut, an denen die Fahrzeuge leicht in Trümmer gehen können.

»Kann man da keinen Weg längs der Ufer einschlagen? fragte Summy Skim.

– Nein, die sind ungangbar, erklärte der Scout. Man baut aber eben eine Art Straßenbahn, auf der die Boote bis unterhalb der Fälle befördert werden sollen.

– Wenn man die Straßenbahn baut, fuhr Summy Skim fort, so bedeutet das doch wohl, daß sie noch nicht fertig ist?

– Ganz recht, Herr Raddle, obwohl hunderte von Arbeitern daran tätig sind.

– Dann geht uns die Sache also weiter nichts an. Sie werden schon sehen, lieber Stell, daß die Bahn auch bei unsrer Rückkehr noch nicht vollendet ist.

– Wenigstens wenn Sie sich in Klondike nicht länger, als jetzt beabsichtigt, aufhalten, antwortete Bill Stell. Man weiß ja stets, wann man nach einem Orte geht, doch eigentlich niemals, wann man von da zurückkehrt...


Neluto hatte ein scharfes Auge, eine sichre Hand und unerschütterliche Kaltblütigkeit. (S. 131.)
Neluto hatte ein scharfes Auge, eine sichre Hand und unerschütterliche Kaltblütigkeit. (S. 131.)

– Oder ob man überhaupt davon zurückkehrt!« setzte Summy Skim nachdenklich hinzu.

Am Nachmittage des folgenden Tages, des 9. Mai, war es, wo das Boot bei seiner Talfahrt auf dem Flusse die White Horses-Fälle erreichte. Hier sollte es die gefährliche Strecke auch nicht allein durchfahren. Andre Boote folgten ihm, doch wieviele von denen, die man jetzt oberhalb der Fälle sah, sollte man unterhalb dieser nicht wiederfinden!

Leichterklärlicherweise verlangen die Lotsen, die den Dienst an den White Horses-Fällen versehen, für ihre Arbeit einen ziemlich hohen Preis: für die drei Kilometer lange Fahrt rechnen sie gewöhnlich hundertfünfzig Francs Lohn und so fällt es ihnen auch gar nicht ein, ihr einträgliches Gewerbe mit der rein von Zufälligkeiten abhängigen Arbeit eines Prospektors zu vertauschen.

An dieser Stelle erreicht die Geschwindigkeit der Strömung fünf Lieues (191/2, km) in der Stunde. Es bedurfte also nur sehr kurzer Zeit, die drei Kilometer langen Stromschnellen zu passieren, wenn man wegen der zwischen den beiden Ufern regellos verstreuten Basaltblöcke zu vielen Umwegen gezwungen wäre und ebenso auch zur Vermeidung herabtreibender Eisschollen – schwimmender Klippen, könnte man sagen – deren Anprall auch das festestgefügte Boot zertrümmern würde. Durch diese Nebenumstände wird die Fahrtdauer aber wesentlich verlängert.

Wiederholt mußte das Boot, das jetzt durch die Riemen etwas gehalten wurde, fast gänzlich beidrehen, um dem drohenden Zusammenstoße mit einer Scholle oder einem andern Fahrzeuge auszuweichen; die Geschicklichkeit Nelutos hielt es aber immer auf dem gewünschten Wege. Der letzte Absatz der Stromschnellen ist der gefährlichste, hier ereignen sich auch die meisten Unglücksfälle. Bei der tollen Fahrt über diese Strecke muß man sich fest anhalten, um nicht gelegentlich über Bord geschleudert zu werden.

Neluto hatte jedoch ein scharfes Auge, eine sichre Hand und unerschütterliche Kaltblütigkeit und wenn er es auch nicht verhindern konnte, daß mehrmals eine kleine Menge Wasser über den Bootrand schlug – das übrigens bald wieder ausgeschöpft wurde – so wurde die etwas grauenvolle Fahrt doch ohne Schaden vollendet.

»Jetzt aber, rief Summy Skim, ist doch das Schlimmste überstanden?

– Jetzt... ohne Zweifel: ja! sagte Ben Raddle.[131]

– Sie haben recht, meine Herren, bestätigte der Scout. Nun haben wir nur noch über den Labargesee zu fahren und dem Lewis ungefähr auf einer Strecke von hundertsechzig Lieues (etwa 623 km) zu folgen.

– Hundertsechzig Lieues! rief Summy Skim lachend. Das hört sich ja bald an, als ob wir schon am Ziele angekommen wären!«

Bill Stell entschied sich, in Übereinstimmung mit Neluto, zu einer vierundzwanzigstündigen Rast an der Station des Labargesees, die man am Abend des 10. Mai erreichte. Von Norden her wehte eben ein recht steifer Wind. Nur mit Mühe hätte das Boot unter dem Drucke der Ruder weiter hinausfahren können und der Lotse hielt es für um so weniger geraten, unter diesen Umständen die Überfahrt zu wagen, als ein schnelles Sinken der Luftwärme eine erneute Eisbildung oder -festsetzung befürchten ließ, wodurch die Reisegesellschaft auf dem festgewordnen See vielleicht eingeschlossen werden konnte.

Die Station hier, die im allgemeinen nach demselben Vorbild und zu demselben Zwecke wie die andern am Lindeman- und am Bennettsee eingerichtet war, enthielt jedoch schon gegen hundert Häuser und Hütten. In einem der Häuser, das mit dem Namen eines Hotels prahlte, hatten die Reisenden das Glück, unbesetzte Zimmer zu finden.

Der ungefähr fünfzig Kilometer lange Labargesee besteht aus zwei Teilen, die an der Ursprungsstelle des Lewis knieförmig aneinanderstoßen.

Das am Morgen des 12. Mai abgefahrene Boot brauchte sechsunddreißig Stunden, über den ersten Teil des Sees hinwegzukommen. Erst am Nachmittag des 13. Mai gegen fünf Uhr erreichten also der Scout und seine Begleiter, die oft von stürmischen Winden belästigt worden waren, den Lauf des Lewis, der sich nach Nordwesten, dem Fort Selkirk zu, wendet. Am nächsten Tage glitt das Boot mitten unter treibenden Schollen hin.

Gegen fünf Uhr ließ der Scout am rechten Ufer anlegen, wo die Nacht verbracht werden sollte. Jane und Summy gingen sofort ans Land. Bald hörte man von dort den Knall der Gewehre und einige Paare Wildenten und Haselhühner machten es möglich, an dem vorhandenen Proviant zu sparen.

Die nächtlichen Aufenthalte, auf denen Bill Stell bestand, machten die andern Boote, die den Lewis hinabfuhren, übrigens auch und so flammten mit Dunkelwerden viele Lagerfeuer längs der Ufer auf.


Errichtung eines Lagers am Ufer des Lewis River.
Errichtung eines Lagers am Ufer des Lewis River.

Von diesem Tage an hielt nun entschiednes Tauwetter an. Bei südlichem Winde stieg das Thermometer bis fünf oder sechs Grad über Null; eine nochmalige Eisbildung auf dem Flusse war also nicht zu befürchten.

An einen nächtlichen Überfall durch Raubtiere war auch nicht zu denken. Bären sollte es in der Nachbarschaft des Lewis überhaupt nicht geben... vielleicht zum großen Leidwesen Summy Skims, der einen solchen Plattsüßter gern einmal zur Strecke gebracht hätte. Dagegen mußte man sich gegen entsetzliche Schwärme von Mücken verteidigen und kaum gelang es, ihren schmerzhaften und reizenden Stichen dadurch zu entgehen, daß man bis zum Morgen ein lebhaftes Feuer unterhielt.

Nach einer fünfzig Kilometer langen Fahrt auf dem Lewis sahen der Scout und seine Gefährten am Nachmittage des 15. Mai die Mündungsstelle des Rio Hootalinqua und am nächsten Tage die des Big Salmon, zweier Nebenflüsse des Lewis. Auffällig war es dabei, zu beobachten, wie sich die blaue Farbe des Hauptflusses nach der Aufnahme dieser Zuflüsse veränderte. Am nächsten Tage kam das Boot an der Mündung des jetzt von den Goldsuchern schon verlassenen Rio Valsh vorüber, weiterhin am Cassiar mit seiner bei Niedrigwasser trockenliegenden Sandbank, auf der früher einige Prospektoren in einem Monate für dreißigtausend Francs Gold gewonnen hatten.

Die Weiterreise verlief nun abwechselnd bei gutem und bei schlechtem Wetter. Das Boot schwamm, einmal von den Riemen und dann wieder vom Segel getrieben, dahin und wurde in einzelnen Fällen durch sehr gewundene Stellen vom Lande aus mittels Zugleine geschleppt.

Am 25. Mai war der größte Teil des Lewis, der nun bald zum Yukon werden sollte, unter günstigen Verhältnissen durchschifft, als der Scout am Turennelager Halt machte, das an einem mit den ersten Blumen, mit Anemonen, Crokus und duftendem Wacholder besäten steilen Ufer lag. Viele Auswandrer hatten hier schon ihre Zelte aufgeschlagen.

Da das Boot einiger Reparaturen bedurfte, rastete man wieder vierundzwanzig Stunden und Summy Skim konnte seinem Lieblingszeitvertreib nachgehen.

An den beiden folgenden Tagen kam das Boot, dank einer recht schnellen Strömung, ein gutes Stück den Fluß hinunter und am 28. Mai legte es am Nachmittage, nachdem es am Labyrinth der Myersallinseln vorübergekommen war, sich am linken Stromufer haltend, am Fuße des Forts Selkirk an.[135]

Das im Jahre 1848 für die Zwecke der Agenten der Hudsonsbai-Gesellschaft erbaute Fort, das 1852 von Indianern zerstört wurde, ist gegenwärtig nichts weiter als ein reichlich mit Waren versorgter Basar. Von Hütten und Zelten von Auswandrern eingerahmt, beherrscht es den mächtigen Wasserlauf, der von hier an den Namen Yukon führt und von den Fluten des Pelly, seines Hauptzuflusses am rechten Ufer, noch weiter vergrößert wird.

Leider nur zu hohen Preisen fand der Scout im Fort Selkirk alles, was er brauchte oder wünschte, und nach einem Aufenthalt von vierundzwanzig Stunden stieß das Boot am Morgen des 30. Mai wieder vom Ufer ab. Es kam nun, ohne anzuhalten, an der Mündung des Stewart vorüber, der jetzt anfing, die Aufmerksamkeit der Goldsucher auf sich zu lenken. Längs seines dreihundert Kilometer langen Bettes werden schon zahlreiche Claims bearbeitet. Weiterhin legte das Boot für einen halben Tag bei Ogilvie, am rechten Ufer des Yukon, an.

Stromabwärts verbreiterte sich der Yukon nun mehr und mehr und die Boote konnten sich leicht zwischen den zahlreichen, in der Richtung nach Norden abtreibenden Eisschollen hindurchwinden.

Nachdem sie noch die Mündungen des Indian River und des Sixty Miles Creek, die achtundvierzig Kilometer von Dawson City einander gegenüberliegen, hinter sich gelassen hatten, betraten der Scout und seine Gefährten am Nachmittage des 3. Juni endlich den Boden der Hauptstadt von Klondike.

Kaum waren die Reisenden ans Land gestiegen, da näherte sich Jane schon Ben Raddle und hielt ihm ein aus ihrem Notizbuch gerissenes Blatt hin, das sie gleich im Gehen mit einigen Worten beschrieben hatte.

»Erlauben Sie mir, Herr Raddle, sagte sie, Ihnen einen Empfangsschein einzuhändigen.«

Ben nahm das Blatt und las:

»Von Herrn Ben Raddle eine angenehme und bequeme Reise von Skagway nach Dawson City, entsprechend dem Inhalte unsres Vertrages, erhalten zu haben, bescheinigt...«

(Folgt die Unterschrift.)

»Das ist ja recht geschäftsmäßig und ganz in Ordnung, sagte Ben phlegmatisch, während er das Papier mit der ernsthaftesten Miene der Welt in die Tasche steckte.


Fort Selkirk.
Fort Selkirk.

– Gestatten Sie mir auch, meine Herren, fuhr Jane, sich jetzt an beide Vettern wendend, fort, dieser Quittung Ediths und meinen herzlichen Dankfür die sorgliche Teilnahme anzufügen, die Sie uns erwiesen haben und die ich noch nach Gebühr vergelten zu können hoffe.«

Ohne ein weiteres Wort drückte Jane Ben Raddle die Hand. Doch als sie sich ebenso an Summy Skim wandte, hielt dieser, ohne seine innere Erregung zu verbergen, die ihm dargebotene kleine Hand in der seinigen fest.

»Aber ich bitte Sie... Fräulein Jane, stammelte er etwas verwirrt, Sie wollen uns wirklich auf der Stelle verlassen?

– Haben Sie etwas andres erwartet? erwiderte Jane erstaunt. War das nicht von Anfang an zwischen uns so ausgemacht?

– Ja... ja freilich... gab Summy Skim kleinlaut zu. Doch... wir... wir werden einander wohl einmal wiedersehen?

– Das hoffe ich, Herr Skim, es hängt aber nicht allein von mir ab. Dabei sprechen doch die Zufälligkeiten meines Vorhabens ein gewichtiges Wort.

– Die der Goldgräberei! rief Summy erschrocken. Ich bitte Sie, Fräulein Jane, haben Sie denn diesen... nun ja, diesen törichten Gedanken noch immer nicht aufgegeben?«

Mit einer raschen Bewegung befreite Jane ihre bis jetzt festgehaltne Hand.

»Ich begreife nicht, was an meinem Vorhaben Törichtes sein soll, Herr Skim, sagte sie etwas spitzen Tones. Sie müssen doch glauben, ich wäre hierher nach Dawson City nur gekommen, um meine Absichten zu verändern, so wie der Wetterhahn sich nach jedem Winde dreht. Nein, um so weniger, als ich jetzt Verbindlichkeiten eingegangen bin, denen ich gerecht zu werden denke,« und damit wendete sie sich wieder Ben Raddle zu.

War nun Summy Skim von Natur vielleicht besonders empfindsam angelegt? Jedenfalls empfand er in dieser Minute einen lebhaften und tiefen Kummer, über dessen Art und letzte Ursache er vorläufig nicht weiter nachdachte.

»Ja, ja... natürlich... ganz recht!« stotterte er noch ohne Überzeugung hervor, während sich die beiden Cousinen schon schnellen Schrittes nach dem Krankenhause von Dawson City zu entfernten.[139]

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 115-121,123-129,131-133,135-137,139-140.
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