Viertes Kapitel.
Das Complott.

[275] Zwölf Tage vor diesem traurigen Ereignisse, das wir des Zusammenhangs wegen schon jetzt unsern Lesern mitzutheilen für schicklich hielten, und einen Tag später, als Adrian an seinen Bruder Adalbert schrieb, flog ein einzelner Schlitten durch die öde, erstarrte Haide. Der Lenker, ein stattlicher Mann mit blassem Gesicht und dünnem braunen Haar, trug starke Fuchshandschuhe und war in einen kostbaren mit feinem Zobel verbrämten Bärenpelz gehüllt. Hinter ihm auf der Pritsche, die Füße in Pelzstiefeln steckend und ebenfalls hinlänglich gegen die Kälte verwahrt, saß der Kutscher oder Bediente oder was der Mann sonst etwa noch vorstellen mochte.[276]

Der einsame Schlitten glitt bisweilen über kleine Lichtungen, auf welchen Stangen mit Tafeln standen, an denen man das Wort »Schonung« las. Diese Tafeln waren numerirt.

»Darauf gib Acht, Jean!« sagte der Mann im Schlitten, auf die Stange mit der Tafel zeigend. »Schreib Dir die Nummer auf, damit Du Dich später nicht verirrst!«

Jean nickte mit dem Kopfe, zog ein Taschenbuch hervor und notirte sich die Nummerzahl des Pfahles mit der Tafel.

»Wenn Du Dich genau nach diesen Nummern richtest, kannst Du nie fehlen, welche Kreuz- und Querwege Du auch wider Willen einschlagen magst.«

Ein abermaliges Kopfnicken gab dem Leiter des Schlittens die Zustimmung seines Dieners zu erkennen, und in raschem Galopp jagte das feurige polnische Gespann, dessen brillantes Geschirr mit purpurnen Troddeln und Fransen reich aufgeschmückt und mit silbernen melodisch gestimmten Schellen behangen war, in die windige Haide hinein.

Der geneigte Leser hat in diesen einsamen Reisenden bereits den Grafen Adrian mit seinem[277] stummen Kammerdiener erkannt. Aber was sucht der kaum genesene reiche Mann in dieser frostigen Wildniß, die kaum im Sommer von wandernden Köhlerbuben betreten wird? Was sollen die Winke bedeuten, die er seinem stummen Vertrauten kalt und ernst gibt? Um auf diese Fragen Antwort geben zu können, verlassen wir den im rauschenden Tannicht verschwindenden Schlitten und wenden uns einer schon früher betretenen Gegend jetzt wieder zu.

In hohen Schneewehen mehr als zur Hälfte begraben, ragen vier schwarze rissige starke Mauern mit zerborstenen Fenstern hinter breitem Erdwall in die Luft. Die schräg liegenden Balken eines niedrigen Wetterdaches geben dem wüsten Gemäuer einigermaßen ein gastliches Ansehen und eine Breterhütte auf der Südseite, von ziemlich hoher Planke umgeben und mit über einander geschichteten Ästen und jungen Stämmen, wie die Windbrüche des Herbstes sie niederwerfen in dichten Wäldern, geschützt, zeigen an, daß dieser entlegene Ort trotz seiner schauerlichen Einsamkeit doch bewohnt ist. Ein breiter und tiefer Fluß, jetzt mit dickem Eis und Schnee bedeckt, krümmt sich in weitem Halbkreis um[278] Hütte und Mauertrümmer. Auf dem hohen Uferrande desselben am Anfang der Waldwiese, die sich gegen Norden ausbreitete, sieht man abermals eine der erwähnten Stangen mit beschriebener Tafel.

Wir befinden uns in der Nähe des »Raubhauses,« jener verfallenen alten Burg, welche ehedem dem »Fürsten der Haide,« Herta's Vater, zum Schlupfwinkel diente. Die größere Cultur der Forste und die vermehrten Kohlenbrennereien und Theerhütten, die neuerdings unter Adrians Herrschaft entstanden waren, hatten auch diesen versteckten und geflohenen Winkel der Haide bekannter und besuchter gemacht, und im Schutz der Mauertrümmer ein Schenkhaus für Köhler, Kien-, Span- und Rußhändler entstehen lassen, dessen genügsamer Wirth sich leidlich nährte. Seit Jahresfrist gehörte Raubhaus und damit verbundene Köhlerkneipe zu den Besitzungen Adrians.

Der Wirth dieser traurigen Waldschenke hatte in den früheren Jahren als Reitknecht in Adrians Diensten gestanden, durch einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde aber beide Hände gebrochen und war dadurch unbrauchbar zu jedem[279] Geschäft geworden. Der Graf ließ ihn heilen, gab ihm ein geringes Jahrgeld und setzte ihn als Schenkhalter endlich in diese Haidekneipe. Für diese gräfliche Huld war der nunmehr Versorgte seinem großmüthigen Gebieter sehr dankbar. Adrian konnte ihm blindlings vertrauen und Jussuff – so hatte ihn der Graf seines gewaltigen Bartes wegen, den er nach türkischem Schnitt zu tragen pflegte, getauft – Jussuff freute sich, dem gnädigen Herrn gefällig sein zu können.

Vor drei Tagen hatte Jussuff in einem mehrere Stunden entfernt gelegenen Kretscham, wie Adrian ihm brieflich gemeldet, einen fremden Mann gefunden, dessen Signalement ihn nicht täuschen konnte. Nur sein widerlicher Begleiter machte ihn anfangs stutzig; da ihn jedoch der Fremde für seinen alten treuen Knecht ausgab, ließ er ihn unbedenklich den mitgebrachten Bauerschlitten besteigen und brachte beide nichts weniger als freundlich aussehende Männer in seine abgelegene betretene Behausung. Als dies geschehen war, that er Adrian vorschriftsmäßig Meldung und ließ es den Fremden an nichts fehlen.

»Nun, was hab' ich gesagt, alte Hyäne!«[280] rief Klütken-Hannes seinem scheußlichen Gefährten zu, als Jussuff auf sein Geheiß vier Kannen glühenden mit Zucker und Gewürz stark vermischten Branntwein den Unersättlichen ohne Widerrede in ihre wohl verwahrte Bretterkammer trug. »Heißt das nicht leben, wie im Feenmährchen? Immer Tischlein deck Dich, Krüglein füll' Dich und nichts zu thun! Das ist prächtig! Aber weißt Du was, Blutrüssel, ich glaube doch, es ist der Teufel, der uns so kannibalisch füttert! Wie?«

»Er wird Dich mästen wollen zum sechstausendsten Geburtstage seiner Großmutter, um Dich ihr als sündengespicktes Spanferkel zum Frühstück vorzusetzen,« grinste der ehemalige Räuber. »Aber was thut das! Friß nur immer zu und sauf', so lange der Magen vor Brandlöchern nicht in Stücke zerfällt. Der Teufel soll leben!«

»Und wer's mit ihm hält hier und dort!«

Beide thaten einen tüchtigen Zug aus den dampfenden Krügen und schnalzten vor Wohlbehagen mit den Zungen.

»Bin doch neugierig, wie lange das Satansfest dauern wird,« sagte Klütken-Hannes.[281] »Verflucht wär's, wo wir hier in dieser Bude, in Schnee und Eis vergraben, sitzen bleiben müßten und Niemand als unser lahmer Wirth sich um uns kümmerte.«

»Du hast ja noch Geld.«

»Noch dreihundert Mark.«

»Dann scher' ich mich um Niemand. Ich bin hier bekannt, Hannes, denn ich sitze hier auf meiner hohen Schule, und läßt man uns im Stiche, so krieche ich in die alten Gewölbe hier unter uns, suche eine alte Laterne und ein paar Dolche zusammen und schlage mich mit Dir durch Dick und Dünn bis an einen Ort, wo's uns gefällt.«

»Morgen früh hat mir Jussuff vornehmen Besuch angekündigt,« sagte Klütken-Hannes etwas nachdenklich. »Was würdest Du thun, wenn's nun wirklich so ein Stück vom Teufel wäre?«

»Fluchen und lästern.«

»Warum?«

»Das machte ihn guter Laune, denn 's ist ja sein Geschäft.«

»Schade, daß es kein Mädel hier gibt!«

»Ha Dein Töchterchen!« rief Blutrüssel[282] zähnefletschend. »Ich sage Dir, Hundesohn, es war dumm von Dir, das blanke Ding mit dem jungen Laffen fortziehen zu lassen! Das wäre hier eine Taube für ein Teufelsgericht. Wir selbst rupften ihr die Federn aus, was?«

»Mir Alles gleich!« hohnlachte der verwilderte Klütken-Hannes. »Mädel ist Mädel, und wenn mir der Teufel immer genug Geld, satt Branntwein und fette Bissen zuwirft, so viel ich verlange, thu' ich ihm einen Gefallen, beim brennenden Höllenpfuhl! Es kann doch weiter nichts kosten, als die Seele! Die Seele aber ist Luft, blauer Dunst, siehst Du, alte Hyäne, und das hat kein Gefühl, das! Also mag es schmoren, meinetwegen zehn tausend Millionen Jahre!«

»Auf's Wohlergehen Deines Schmorbratens!« wieherte Blutrüssel, stieß an mit Klütken-Hannes und beide tranken den Höllensoff, bis ihnen die stieren Augen übergingen.

»Noch eine Kanne, Jussuff!« brüllte der Mörder Johannes', sein Herr und Meister fiel ihm aber ins Wort und sagte:

»Halt, Nimmersatt! Das Befehlen ist gegen die Abrede, weißt Du! Ich bin Gebieter,[283] Du bist Knecht, und wenn ich will, legst Du Dich vor die Thür und bellst oder heulst auf mein Commando! Verstanden, Zähnefletscher? –«

Blutrüssel rollte seine vorstehenden Augen wie Feuerräder, ballte die Faust gegen seinen Herrn, schwieg aber doch.

»Ich will mir nicht den Verstand versaufen,« fuhr Klütken-Hannes fort, »damit ich frisch bin, wenn mein großmüthiger Freund und Gönner mich besucht. Ein vernünftiger Herr aber kann kein unvernünftiges Vieh zum Diener brauchen, siehst Du! Also couche und verschnarche den Höllenbräu, den Du angegeben hast. Mich brennen die Eingeweide, als hätt' ich glühendes Blei hinuntergeschüttet, Gott verdamm mich!«

So fluchend warf sich Elwirens unwürdiger Vater auf die Streu, zog die Kotze von Pferdehaaren über sich und fiel bald in dumpfen Schlaf.

Blutrüssel blieb noch geraume Zeit am Zechtisch sitzen und stierte bald in den sprützelnden Docht der Thranlampe, bald warf er gehässige, wilde Blicke auf den schlafenden Hannes. Endlich schob er den Schemel zurück und stand auf. Scheußlich rollten die großen weißgelben Augäpfel[284] unter seiner niedrigen Stirn, die spitzen Wolfszähne klappten ein paar Mal heftig auf einander, als seien sie begierig nach Fraß. Dann fuhr er jäh in die Seitentasche seiner Jacke, ein langer spitzer Stahl funkelte in der hochgeschwungenen Rechten und mit lautlosem Sprunge am Lager des dumpf und fest schlafenden Klütken-Hannes niederkauernd, streifte die scharfe Klinge schon den starken geschwollenen, von dicken blauen Adern durchzogenen Hals des Sorglosen. Doch eben so schnell zog er die Mordwaffe wieder zurück und ließ die Hand sinken.

»Noch nicht!« murmelte er finster und seine abschreckenden Züge überschauerte ein herzloses Hohnlächeln. »Ich will warten bis morgen und horchen, was man verlangt, was man bietet. Erst Geld, dann Blut! – So hielt ich's mit seinem Vater, dem fanatischen Tugendhelden, als er geizig und hochmüthig ward; so will ich's auch mit dem verlorenen Söhnchen halten, das in meiner Schule ein allerliebstes Mutterfrüchtchen geworden ist! – Ha, ha, ha, ha,« lachte der Mörder leise durch die Zähne, »welche Freude würde die Alte haben, die in ihren guten Tagen, weiß Gott, ein wahres Grafenessen war, träte[285] ihr das wohlgerathene Söhnlein im schönsten Aufputz der triumphirenden Hölle unter die Augen! 's wär' mir ein Labsal, bei allen Todsünden, und wüßt' ich's dahin zu bringen, so spielt' ich noch Trumpf aus mit Satan um das nächste Schaltjahr!«

Während der Verworfene dieses Selbstgespräch hielt, hatte er den Stahl wieder sorgfältig verborgen und sich in kaum fußbreiter Entfernung von dem sorglos schlafenden Klütken-Hannes ebenfalls auf die Streu niedergestreckt. Der heiße Branntweindunst und die Gewohnheit, sich an den verruchtesten Phantasiebildern zu laben, wiegten auch diesen Sohn der Hölle in festen, traumlosen Schlummer. –

Die Betäubten schliefen noch, als Adrians Schlitten am andern Tage ziemlich zeitig an der Köhlerschenke hielt.

»Alles in Ordnung?« fragte er Jussuff, nur die geröthete Nasenspitze aus seinem Pelz hervorsteckend.

»Zu Ew. Gnaden Befehl! Aber –«

»Aber?«

»Ich hab' ihrer zwei gefunden, Ew. Gnaden!«[286]

»Sind sie munter?«

»Wie ein paar Teufel! Von früh bis in die Nacht nichts wie Lärmen, Fluchen, Saufen mit Ew. Gnaden Erlaubniß!«

»Schon gut! Du hast es ihnen doch an nichts fehlen lassen?«

»Im Gegentheil! Sie empfingen Speis' und Trank im Überfluß. Sechs Menschen könnten bequem vier Tage von dem leben, was diese beiden Haifische in einem Tage vertilgen. Sie sehen aus, verzeih' mir's Gott, wie entsprungene Galeerensclaven!«

»Desto besser! Wo hast Du sie untergebracht?«

»Sie schlafen noch, gnädigster Herr. Der Branntweinpunsch von gestern Abend wird ihnen zu Kopfe gestiegen sein.«

»Wecke sie, ich werde warten. Und ist derjenige, welcher sich Klütken-Hannes nennt, nicht vollkommen nüchtern, so begieße ihn so lange mit frischem Wasser, bis er seinen Verstand vollkommen beisammen hat. Wer ist sein Begleiter?«

»Ein grauhaariger Schelm, Ew. Gnaden, mit blutrother langer Nase und Krokodilsaugen![287] Ew. Gnaden Empfohlener heißt ihn seinen Diener, sie dutzen sich aber, wenn sie allein sind, wie Holzhauer.«

Adrian gab Jussuff durch einen Wink zu erkennen, daß er genug wisse, und befahl nochmals, den fremden wüsten Gast zu wecken.

Nach einiger Zeit vernahm er ein heiseres Husten und rauhes Flüstern. Jussuff kam zurück und zeigte seinem Gebieter an, daß der Fremde ganz fest auf den Beinen stehe und sehr begierig auf den Besuch des Herrn sei.

»Den angeblichen Bedienten hab ich abtreten lassen,« fügte er hinzu.

»Ich lobe Dich, mein Getreuer,« sagte Adrian, und folgte dem Wirthe in die abgelegne Kammer.

Klütken-Hannes saß, sein aufgedunsenes Gesicht in die linke Hand gestützt, am Tische, dessen Platte noch klebrig war von dem verschütten Getränk der vergangenen Nacht. Da er auf sein Äußeres nicht eitel war, hingen ihm Strohhalmen in dem borstigen, ungekämmten Haar, und Gesicht und Hände waren mit widerlichen Schmutzflecken bedeckt. Bei Adrians Eintritt, der sich durchaus als vornehmer und gebietender[288] Herr zeigte, stand der Trödler auf und versuchte seine beste Verbeugung.

»Habe ich das besondere Vergnügen, mit Herrn Johannes Klütken aus Hamburg zu sprechen?« fragte Adrian mit großer Freundlichkeit.

»Sie haben dies Vergnügen, mein sehr werther Herr,« erwiederte Klütken-Hannes, seinerseits ebenfalls eine herablassende Miene annehmend, denn er sah wohl, daß er es mit einem hochgestellten mächtigen Herrn zu thun hatte.

»Kommen Sie in Folge eines mit ›a – n.‹ unterzeichneten Briefes, dem tausend Mark in Anweisungen beigefügt waren, an diesen Ort?«

»Tausend Mark, ganz recht! – meine Schulden habe ich bezahlt auf Schilling und Grote – bin gereist, habe mir nichts abgehen lassen, und da sitze ich nun mit noch gut gespicktem Sacke!«

»Dürfte ich um jenen Brief ersuchen?«

»Herr,« sagte Klütken-Hannes, sein Gesicht zu einem bedenklichen Lächeln verziehend, »ganz werde ich das Schreiben nicht mehr zusammen bringen. Es hat sich zerrieben in der Tasche.«

Er suchte indeß und brachte nach einiger[289] Zeit einen zerknitterten Fetzen von Adrians Briefe hervor. Der Graf warf nur einen flüchtigen Blick darauf, um sich von der Identität desselben mit seinen Schriftzügen zu überzeugen. Als er diese erkannt hatte, sagte er:

»Ich danke Ihnen, mein sehr lieber Herr! Reichen Sie mir jetzt die Hand und lassen Sie uns im Vertrauen ein ernstes Wort sprechen!«

Klütken-Hannes streckte tölpisch seine ekelhafte Rechte dem Grafen entgegen, welche dieser mit einiger Scheu leis drückte. Dann setzte er sich dem Trödler gegenüber auf demselben Schemel, den Abends vorher der Räuber und Mörder eingenommen hatte.

»Können Sie schweigen, Herr Klütken, wenn man Sie gut dafür bezahlt?«

»Wie das Grab!«

»Auch wenn Sie – durch den Genuß geistiger Getränke in heitere Laune versetzt werden?«

»Dann knüpfe ich mir einen Knoten ins Gedächtniß und über den kommt kein Geheimniß und wär's ein Vatermord!«

»Sie sind gegenwärtig ohne Beschäftigung, Ihr eigener Herr?«[290]

»Mein Geschäft ist gut essen und trinken, nichts weiter!«

»Sie würden also gern und mit Eifer ein Geschäft für mich ausführen, immer vorausgesetzt, daß man Sie reich dafür bezahlt?«

»Bin nicht heikel, mein sehr verehrter Herr. Was es auch sei, für Geld thu' ich Alles.«

»Demnach würden Sie auch Verrath üben für Geld?«

»Verrath? Vielleicht, wenn man mich königlich belohnte.«

Bei dieser Wendung des seltsamen Gesprächs zeigten sich die Augen Blutrüssels, den Jussuff in einen Verschlag neben der Kammer geführt hatte, an einem zersprungenen Kieferbrett. Stier und blutgierig funkelnd hafteten sie auf der vornehmen Gestalt des Grafen.

»Sie haben dies nicht zu befürchten, Herr Klütken,« erwiederte Adrian lächelnd auf diese Bemerkung. »Ich betrachte Sie vorläufig als in meine Dienste getreten, und da ich weder ein König noch ein Fürst bin, sondern blos ein vermögender Mann, der von zahllosen Feinden umringt ist und schmachvoll verfolgt wird, so bin ich im Begriff, Sie mit Überwachung derer, die ich Ihnen[291] als meine erbittertsten Feinde bezeichnen werde, zu beauftragen. Dünkt Ihnen dies ein Amt, das Ihre Kräfte übersteigen wird?«

»Ich halte mich dessen im Gegentheil vollkommen gewachsen.«

»Zur Bestreitung aller dabei vorkommenden nöthigen Ausgaben, etwaiger Reisen, Traktamente usw. biete ich Ihnen einen monatlichen Gehalt von zwei hundert Thalern an. Glauben Sie damit zu reichen?«

»Zwei hundert Thaler!« murmelte mit schlecht verborgener Freude, welche dem Grafen nicht entging, der überraschte Trödler. »Ich – ich will es – wenigstens damit versuchen. Geht es nicht –«

»So erhalten Sie Zuschuß, das versteht sich! Wir sind also einig?«

»Vollkommen, vollkommen!« sagte Klütken-Hannes sehr eilig. »Aber das Geschäft?«

Adrian kehrte sich um und ließ seine scharfen Blicke rund um die Bretterwände laufen. Blutrüssels glotzende Augen verschwanden an dem gespaltenen Brett. Zufrieden mit seiner Musterung wendete sich der Graf wieder zu seinem[292] angeworbenen Helfershelfer und beugte sich über den Tisch.

»Dämpfen wir unsere Stimmen etwas,« sagte er bedeutungsvoll lächelnd. »Dünne Wände pflegen Ohren zu haben, und ich möchte nicht gern, daß unser intimes Gespräch zur Kenntniß Vieler käme. – Empfangen Sie vor Allem,« fuhr er flüsternd fort, indem er ein Packet aus seinem Pelze zog, die Vorausbezahlung für den ersten Monat, und nun merken Sie wohl auf! Von morgen an haben Sie zu Fuß oder zu Schlitten, wie es Ihnen bequem ist, diese Haide zu durchwandern bis an den See von Boberstein. Sie erkennen ihn an der großen Spinnfabrik, die sich inmitten desselben auf einem Felsen erhebt. Um den See zieht sich ein Dorf, in dem es ein einziges Wirthshaus gibt. Dies Wirthshaus besuchen Sie des Abends, um die daselbst einkehrenden Gäste kennen zu lernen. Geben Sie Acht auf die Gespräche derselben und merken Sie sich diejenigen genau, welche dem Besitzer der Fabrik alles nur denkbare Böse wünschen! Vor Allem suchen Sie mit einem schwarzhaarigen großen und starken Manne bekannt zu werden, der Martell heißt und sich einbildet,[293] der eigentliche Besitzer der genannten Fabrik zu sein! Er trinkt gern, mithin –

»Soll er trinken auf meine Kosten, bis er sich den Verstand versäuft!«

»Sie besitzen einen bewunderungswürdigen Scharfsinn, mein Herr,« fuhr Adrian mit seinem gewinnendsten Lächeln fort. »Indeß ein starker, an Branntwein gewöhnter Mensch verträgt sehr viel, wie Sie wissen –«

»Teufelmäßig viel, ich weiß es!«

»Es wird daher zweckmäßig sein, daß man die Wirkung des Getränkes zu verstärken sucht durch Anwendung eines unschädlichen Mittels, das ich Ihren Händen hiermit anvertrauen will!«

Ein zweites wohl versiegeltes Packet fiel neben Klütken-Hannes auf den Tisch. Immer flüsternd fuhr Adrian fort:

»Von dem darin enthaltenen Pulver lassen Sie unvermerkt blos einige Körnchen in jedes Viertelmaß gleiten, das Martell und seine guten Freunde leeren. Die Gelegenheit werden Sie wohl abzupassen verstehen, dafür bürgt mir Ihre[294] Gewandtheit und die Liebe zum Leben! Denn wohl zu merken, schöpfte man Verdacht, so könnte man sich Ihrer bemächtigen, was unangenehme Folgen für Sie haben würde! Also Vorsicht, mein Herr, Gewandtheit und Ausdauer!«

»Stirbt man von diesem Pulver?« fragte Klütken-Hannes gelassen, indem er eifrig daran roch.

»Man stirbt davon, wenn man viel auf einmal genießt, man welkt aber blos hin, wenn man zur Delicatesse nur davon kostet. Meinen Feinden in geringen Dosen, aber häufig diesen delicaten Genuß zu verschaffen, wird also die Aufgabe Ihres jetzigen Wirkens sein! Drei bis vier Monate dürften hinreichen, Ihr Werk mit gutem Erfolg zu krönen! Sie haben mich doch verstanden?«

»Sehr genau, mein werther Herr! Und Sie haben Ihre Großmuth an keinen Unwürdigen verschwendet!«

»Dessen war ich gewiß! Aller acht Tage kehren Sie hierher zurück auf eine Nacht. Sie werden dann einen Boten von mir finden, dem Sie[295] über Ihr Wirken und die erlangten Resultate Bericht erstatten. Diese Berichte setzen Sie regelmäßig fort, bis wir uns persönlich wiedersehen. Sie haben nichts zu befürchten für Ihre Sicherheit, so lange Sie klug handeln! Ist geschehen, was ich beabsichtige, so gehen Sie wieder nach Hamburg oder verlassen doch diese Gegend! Für Anerkennung Ihrer mir geleisteten Dienste erhalten Sie jährlich eine Pension von tausend Mark, immer vorausgesetzt, daß Sie schweigen können! Sind Sie damit zufrieden?«

»In meinem Leben macht' ich kein besseres Geschäft!« rief Klütken-Hannes aus, sich vor Freude die Hände reibend. »Ich bin Ihr blind ergebener Knecht, und wenn's mich an den Galgen bringt! Hier meine Hand d'rauf, und der Teufel soll mich lebendig statt Zuckerkant auffressen, wenn ich nicht Wort halte!«

»Gut,« sagte Adrian trocken. »Wie ich höre, haben Sie einen Bedienten? Können Sie sich auf den Menschen verlassen?«

»Wie auf mich selbst!«

»Ich wünsche ihn zu sehen.«[296]

Als Adrian diesen Wunsch äußerte, verschwanden blitzschnell die glühenden Augen Blutrüssels am Spalt des Kieferbrettes, Klütken-Hannes rief nach dem Wirthe und befahl seinen Bedienten eintreten zu lassen.

Zögernd erschien die abschreckende Gestalt des Mörders an der Thür. Er blickte dem Grafen tückisch und hohnlächelnd in das bleiche, vom Pelz fast ganz wieder verdeckte Gesicht. Adrian richtete kein Wort an den Abscheulichen. Er begnügte sich, einen kalten Blick über ihn gleiten zu lassen, worauf er Klütken-Hannes höflich grüßte und eilig Kammer und Bretterhütte verließ.

Ein paar Minuten später lauteten wieder die silbernen Schellen und verklangen im Walde. Auf dem Heimwege begegnete Adrian einem seine Bahn kreuzenden Schlitten. Er erkannte Sloboda und den Maulwurffänger, die in raschem Trabe an ihm vorüberflogen. Der Wind jagte ihm von dem Schlitten der Begegnenden einen gedruckten Bogen zu, der an einer Branke des Bärenfelles, das Adrians Füße schützte, hängen blieb.

Klütken-Hannes und Blutrüssel standen[297] einander lange Zeit sprachlos gegenüber, dann fielen sie fast zugleich in ein krampfhaftes Lachen, von dem sie sich nur erholten, um die am Abend vorher abgebrochene Lebensweise sogleich wieder fortzusetzen.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 275-298.
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