17. Ode

[79] Die Spielsucht.


Nein, nein, es bleibet doch dabey,

So stark ihr mir auch wiederstreitet,

Daß keine Neigung ärger sey,

Als die, so uns zum Spiel verleitet.

Ist nicht die Spielsucht eine Pest,

Die sich nicht wieder dämpfen läßt,

Wofern sie einmal Platz genommen?

Hier ist ein solches Labyrinth,

Darinn man keinen Ausgang findt,

Ist man einmal darein gekommen.
[79]

Die Seuche reißt entsetzlich ein,

Es will das halbe Rund der Erden

Der eitlen Lust gewidmet seyn;

Zu einem grossen Spielhaus werden:

Was nur die Finger regen kann,

Das sieht die stummen Götzen an,

Die bunt gemahlt auf Blättern stehen.

Dies ist das Buch, das alle Welt,

Vor so beliebt und edel hält,

Dies muß oft über alles gehen.


So mancher Ballen von Papier

Die noch kein Rechner hat summiret,

Wird aus den Mühlen dort und hier

Dem Drucker täglich zugeführet.

Die Pressen schwitzen Tag und Nacht;

Der Schwengel wird ganz lahm gemacht,

Dieweil itzt jedermann durch Schriften

Sich bey der Welt, wenn sein Gebein

Muß Grab und Würmern zinsbar seyn,

Will einen grossen Namen stiften.


Jedoch so viel sich Bogen auch

Von Schriften angefüllet zeigen,

Wird doch der häufige Gebrauch

Der Karten jenen übersteigen;

Was für Papier wird angeschafft,

Das nur der Spielgott zu sich rafft!

Welch Buch, und schrieben es Sybillen,

Wird wohl so öfters aufgelegt?

Der Meister der die Bilder prägt,

Kann kaum der Käufer Hände füllen.
[80]

Zieht, bitt ich, jenen Vorhang weg,

Wer sind die, die beysammen sitzen?

Was thun sie da? was ist ihr Zweck?

Seht, wie sie vor Begierde schwitzen;

Wie ehrerbiethig sind sie nicht?

Hier ist ein Altar aufgericht,

Den diese fromme Schaar umringet;

Schaut, wie ein jedes reichlich giebt,

Und mehr auf selbigen hinschiebt,

Als man sonst in den Tempel bringet.


Ist dieses nicht des Götzen Hayn,

Dem man hier täglich räuchern siehet,

Den alle Welt sucht anzuschreyn,

Und sich um seine Gunst bemühet?

Ja, ja, er ists, den jedermann,

So weit und breit man blicken kann,

Zu seinem Hausgott sich erwehlet;

Der auf der Erden weitem Kreis

Mehr Unterthanen kennt und weis,

Als mancher Fürst im Lande zehlet.


Ihr, die ihr ein gekleistert Blat

Vor eurer Seelen Nahrung schätzet,

Das Spiel so euch gefesselt hat,

Zum fünften Elemente setzet;

Mit todten Bildern Wollust treibt,

Und selbigen euch ganz verschreibet,

Sagt, wißt ihr euch nicht satt zu spielen?

Ich dächt, ihr säßet euch fast krumm,

Denn auch ein halbes Seculum

Reicht nicht, die Spielsucht abzukühlen.
[81]

Ich schelte je das Spielen nicht,

Wenn mancher es auch will verfluchen.

Der Mensch muß, wie ein Weiser spricht,

In etwas sein Ergetzen suchen.

Dergleichen Fluch wär allzuscharf.

Kein mürrischer Verächter darf

Die Unschuldsvolle Lust verdammen.

Der Misbrauch wird hier bloß berührt,

Der, wie man leider oft verspührt,

Pflegt von der Spielsucht herzustammen.


Der Tag ist euch wohl recht verhaßt,

An dem ihr nicht die Karten mischet;

Wie lauret ihr auf einen Gast,

Wie zielt ihr, bis ihr ihn erwischet?

Ihr seyd vor Sehnsucht sterbens krank,

Wenn dieses Buch in eurem Schrank,

Soll eine Stunde müßig liegen.

O haltet euch doch ja nicht auf,

Beflügelt euren schnellen Lauf;

Das Glücke wird euch nicht betrügen.


Ists möglich, daß der Spielgeist euch

So schändlich kann zu Sclaven machen?

Ihr greift nach solchen Blättern gleich,

So bald ihr nur pflegt aufzuwachen;

Dies ist das Buch, so euch vergnügt,

Wenn Cubach in dem Staube liegt;

Da sieht man euch so lange blättern,

Bis euch der Schlaf und Schlummer droht,

Und doch könnt ihr mit Müh und Noth

Vom Spiel kaum in die Federn klettern.
[82]

Schämt euch, daß ihr so Tag als Nacht

Vier stummen Königen müßt fröhnen,

Die euch ohn allen Zwang und Macht

Zur Unterthänigkeit gewöhnen!

Die Welt belacht den schnöden Eyd,

Dadurch ihr denen dienstbar seyd.

Die auf papiernen Thrönen sitzen,

Und wenn sie nicht mehr brauchbar sind,

Dem, der am Toback Labsal findt,

Zuletzt noch kaum im Brennen nützen.


Wie seyd ihr nicht darauf erpicht,

Wenn ihr den Spieltisch eingenommen?

Ihr hört und seht im Spielen nicht;

So weit ist der Verfall gekommen.

Wenn euch ein Freund sein Herze schenkt;

Wer ist, der da an ihn gedenkt?

Ihr liebet nur gemahlte Herzen,

Ein kleiner Blick, den ihr bemüht

Den lieben Blättern nur entzieht,

Setzt euch in tausendfache Schmerzen.


O schöner Anblick, der euch ziert!

Wiewohl ihr alles dies nicht achtet,

Weil ihr von Geiz und Lust verführt,

Vernunft und Wohlstand nicht betrachtet.

Spielt euch, erhitzte Seelen, satt!

So lang ihr noch ein Kartenblat

Könnt zwischen eure Finger fassen.

Und wenns der Tod euch nicht mehr gönnt,

So soll man euch ein Monument

Von Kartenblättern bauen lassen.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 79-83.
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