Die Frau

[49] gibt den Ton an, der in dem Hause herrscht, sie hat vor allem zu sorgen, daß alles wohl sich zieme, was geschieht. Und o, welche Macht ist ihr damit verliehen! Sie kann dies Haus zu einem Tempel erheben, sie kann es zu einer Stätte des Elends hinabziehen. Gewiß, ein heftiger, mürrischer oder roher Mann ist ein Fluch für seine Angehörigen; auch die häufige Abwesenheit des sonst guten Familienvaters wird als eine Entbehrung empfunden werden; aber eine gewissenlose Frau, die ihre Pflichten als Gattin, als Hausfrau und Mutter vernachlässigt, zerstört, vernichtet das Glück des Hauses, verdirbt den Mann, vergiftet die Kinder.

»Les hommes sont, ce que les femmes en font,« sagen unsere Nachbarn; und wenn es auch wahr ist, daß man das Wort ebensogut umdrehen kann, so ist doch nicht zu leugnen, daß der größere sittliche Einfluß von der Frau ausgeht. Die moralisch höher stehende Frau wird leichter den Gatten zu sich emporziehen, die leichtsinnige ihn leichter mit sich hinabreißen, als, im umgekehrten Fall, der Mann auf die Frau wirken wird. Deshalb hat sie aber auch doppelt die Pflicht, über sich zu wachen, an sich zu arbeiten, sich zu vervollkommnen, um dieser Verantwortung gewachsen zu sein.

Wie eine reine, gesunde Luft, wie gute, kräftige Nahrung auf das physische Wohl, so wirkt auf das sittliche Gedeihen der Familie eine edle, liebevolle, pflichttreue Frau. Der Mann muß schon sehr roh, sehr verhärtet sein, der diesem Einflusse ganz unzugänglich wäre, der nicht durch[49] Sanftmut und Geduld von manchem Fehler sich heilen, von manchem falschen Schritt sich zurückhalten ließe. Ja, und auch zu Hause halten läßt sich der Mann durch die Frau, wenn sie nicht nur sanft und geduldig, sondern dabei auch klug und liebenswürdig ist. Wer kann es dem Mann verdenken, daß er abends, nach des Tages Arbeit und Last, Ruhe und angenehme Unterhaltung wünscht? Wenn er daheim aber Kinderlärm findet, wenn seine Gattin ihm nichts anderes mitzuteilen weiß, als die neuesten Vergehen ihrer Köchin oder den Klatsch, den sie im Laufe des Tages gehört, dann darf sie sich nicht wundern, daß er seine freie Zeit so selten bei ihr verbringt. Nein, sie mache das Heim ihm behaglich, sie nehme teil an seinen Interessen, frage ihn nach seinen Erlebnissen, halte vielleicht neben ihrer Handarbeit ein hübsches Buch bereit, sich daraus vorlesen zu lassen oder ihm vorzulesen – und er wird Vergnügen finden an den gemütlichen Abenden daheim und sie nicht ohne Not aufgeben.

Aber freilich, die Frau muß dann auch oft auf ihre Kränzchen, ihre Damenthees und- kaffees verzichten. Denn wenn der heimkehrende Gatte hört, die Mama ist in Gesellschaft, so dreht er erst recht wieder um und geht in seinen Klub, wo dann vielleicht eine Zusammenkunft für den folgenden Abend geplant wird. So beeinflußt also die eine den anderen, und es ist schwer zu entscheiden, ob unsere Damengesellschaften die Folge der Herrenklubs, oder umgekehrt diese durch jene entstanden sind.

Wir sagten, die Frau gebe den Ton an, der in dem Hause herrscht. Der Ausdruck, »Ton« kann hier wörtlich genommen werden, denn schon der Klang ihrer Stimme, ihre Art, mit den Kindern, den Dienstboten zu reden, wird von diesen nachgeahmt werden. Wo uns aus einer Wohnung lautes Sprechen oder gar Keifen entgegentönt, da dürfen[50] wir annehmen, daß die Frau keine gute Vertreterin ihres Geschlechtes ist. Die Heftigkeit des Mannes äußert sich mehr gewitterhaft, in einzelnem Donnern und Stürmen und hat meist die Wirkung, die übrigen Familienglieder still und ängstlich zu machen; das andauernde Schelten der Frau aber erregt Trotz und teilt sich mehr oder weniger der übrigen Familie mit.

Die Frau auch hat das Beispiel in der Wahrung schöner Formen zu geben. Wie sie lautes, hartes Sprechen, heftige Bewegungen, Thürenschlagen und dergleichen zu vermeiden hat, so sollte sie auch in ihrer äußeren Erscheinung als Vorbild dienen. Zu welcher Zeit des Tages man auch zu ihr komme, ihre Toilette muß stets so beschaffen sein, daß sie sich darin zeigen kann. Warum so viele unserer Damen den ganzen oder doch halben Morgen über mit unfrisierten, unter einem Häubchen verborgenen Haaren herumgehen, ist uns nie erfindlich gewesen. Hat sie Zimmer zu reinigen und will sich vor dem Staub wahren, nun, das Häubchen würde auch bei dem frisierten Haar diesen Zweck erfüllen. Ist es Küchenarbeit, die ihr obliegt, für diese passen die wirren, ungemachten Haare, die sich so leicht nach Orten verirren, wohin sie nicht gehören, erst recht nicht! Schließlich bleibt nur noch die Ausrede, daß der Friseur nicht früher kommt. Da ist denn freilich nichts zu machen, doch gestehe ich, daß dies Gebundensein an die Mußezeit des Herrn Friseurs mir unerträglich erscheinen und ich vorziehen würde, die gar nicht schwere Kunst selbst zu erlernen oder mich, etwas weniger elegant, von meinem Mädchen frisieren zu lassen.

Beim Mittagessen sollte die Frau immer vollständig angekleidet erscheinen. Tadelten wir schon den Schlafrock und die Pantoffeln des Mannes, so ist das nur halbreine Morgenkleid und Morgenhäubchen der Frau noch weit mehr[51] zu tadeln. Denn, wie schon gesagt, sie gibt das Beispiel, und weder die nachlässige Toilette des Mannes, noch die Tintenfinger und schmutzigen Schürzchen der Kinder werden auf die Dauer bestehen vor einer stets nett und sauber gekleideten Hausfrau. Man mokiert sich über die Sitte der Engländer, stets, auch wenn die Familie unter sich ist, in Gesellschaftstoilette zu Tische zu gehen; aber wir meinen, das Zuviel sei in dieser Hinsicht weniger schädlich als das Zuwenig. Und abends? ... Ach, wenn die liebe, kleine Frau nur wüßte, wie unangenehm es den heimkehrenden Gatten berührt, sie in einem so nachlässigen Negligo zu finden! Für eine Gesellschaft ist ihr nichts elegant genug, denkt er, und für ihn? ... Gewiß, es gehört mit zu den Dingen, durch welche die Frau den Mann daheim fesselt, daß sie ihn stets in netter Toilette empfängt; das Aeußere übt nun einmal, solange der Geist an einen Körper gebunden ist, einen großen Einfluß aus, und wir halten diese kleine Koketterie der Frau ihrem Mann gegenüber für sehr berechtigt.

Freilich, die Aufmerksamkeit der Frau gegen ihren Gatten kann auch zu weit gehen; gerade in Deutschland ist die allzu zärtliche Frau keine seltene Erscheinung. Höchst peinlich berührt es dann den Fremden, zu sehen, wie das Verhältnis sich umgekehrt hat, wie die Frau dem Manne den Hof macht! Statt durch die bestehende Hausordnung oder doch sonst im stillen für seine Bedürfnisse zu sorgen, kommt sie seinen Wünschen mit einer gewissen Ostentation zuvor; sie holt ihm das vergessene Buch aus seinem Zimmer, sorgt bei Ausflügen, daß er den besten Platz im Waggon bekomme, breitet im Walde das Plaid für ihn auf dem Boden aus, trägt es unterwegs wohl gar für ihn! Er läßt sich das alles mit der Miene eines Paschas von drei Roßschweifen gefallen und glaubt sie genügend mit einem gelegentlichen Kuß zu belohnen.[52]

Das ist die verkehrte Welt, ist ein Verkennen der Verhältnisse, das sich an beiden Teilen rächt. Die Frau steigt von der Gefährtin des Mannes zu seiner Sklavin herab und büßt einen guten Teil seiner Achtung ein, während er dadurch das ritterliche Wesen verliert, jene Beflissenheit des Stärkeren, die Frau, als die Schwächere, mit seiner überlegenen Kraft zu stützen, welche jeden Mann so wohl kleidet. Wenn es sich nicht leugnen läßt, daß der Deutsche weniger von dieser Ritterlichkeit und Dienstfertigkeit besitzt als die Männer anderer Nationen, besonders als die Engländer und Amerikaner, so ist ein Teil der Schuld den Frauen selbst zuzumessen, die den Männern mit ihrer Fürsorge zuvorkommen. Zumal die kinderlosen Frauen sind es, bei denen dieser Zug oft zu beobachten ist. Ihr Bedürfnis, zu hegen und zu pflegen, dem das natürliche Objekt fehlt, äußert sich in der beschriebenen Weise gegen den Mann; und gesellt sich dazu noch Sorge um seine Gesundheit – ob begründet oder unbegründet –, läßt sie ihn nicht ausgehen ohne Ermahnungen, sich in acht zu nehmen, den Ueberzieher nicht zu vergessen; erlaubt sie ihm nicht, in Gesellschaft einen Platz einzunehmen, ehe sie sich überzeugt hat, daß ihn dort von keiner Seite ein Zugwind treffen kann; bewacht sie sorgfältig seinen Teller, ob er auch nichts ißt, was ihm ihrer Ansicht nach schaden könnte – dann wird ihre Liebe ihm zur Last und beeinträchtigt, ja tötet zuweilen die seinige!

Schlimmer aber als diese Species ist die entgegengesetzte: die herrschsüchtige Frau. Sehen wir den Mann ungern als »Pascha« figurieren, so ist uns der »Pantoffelheld« noch unsympathischer. Die Frau, welche diese zierliche Fußbekleidung unsichtbar als Zeichen ihrer Macht schwingt, die den Mann als ihren Trabanten mit sich herumführt, ihm mit einem gebieterischen Blick Schweigen auferlegt, wenn[53] er schüchtern seine Meinung zu äußern wagt, ihn wohl gar den Kindern, den Dienstboten gegenüber herabsetzt – diese Frau entkleidet sich ihres schönsten Schmuckes, der weiblichen Demut, welche fast immer mit der Anmut gepaart ist, und indem sie den Gatten herabsetzt, erniedrigt sie, die Gefährtin, sich selbst mit. Gewiß liegt in solchen Fällen die Schuld großenteils auf seiner Seite; allein die liebende und kluge Gattin wird dem Manne helfen, seine Stellung als Haupt der Familie zu wahren; sie wird bei kleinen Meinungsverschiedenheiten gern ihm nachgeben, bei Streitfragen, selbst wenn sie innerlich nicht überzeugt ist, ihm das letzte Wort lassen, wird auch, wenn ihre Ansicht sich später als die richtige herausstellt, ihren Triumph nicht in verletzender Weise zeigen; die Klugheit rät solche kleine Opfer an und die Liebe macht sie leicht.

Als Leiterin des Haushalts ist die Frau bekanntlich der erhaltende, wie der Mann der erwerbende Teil. Von ihrer Umsicht und Sorgfalt hängt es ab, ob das Hauswesen in gutem Stande, ob das Heim behaglich sei. Und gar viel hängt davon ab! Die geistreichste, ja die zärtlichste Gattin kann dem Mann sein Haus verleiden, wenn sie es nicht zu regieren, zu ordnen versteht. Eine unordentliche, unpraktische Frau – welches Kreuz! Da ist nichts am rechten Platze, keine Mahlzeit zur rechten Zeit fertig; will der Mann sich rasch ankleiden, so liegt nichts dafür bereit, oder es fehlen doch die berüchtigten Hemdknöpfchen (die jetzt glücklicherweise durch einschiebbare Knöpfe ersetzt sind!); die schönste Wohnung wird unbehaglich und der Haushalt kostet das Doppelte, ohne nur die wirklichen Bedürfnisse der Familie zu befriedigen. Da wird denn der Mann ein seltener Gast in seinem eigenen Hause, die Kinder verwildern und die Dienstboten wechseln mit jedem Monat!

Aber auch das andere Extrem, die übereifrige[54] Wirtschafterin, bringt das gleiche traurige Resultat hervor, das Haus ungemütlich zu machen. Man nennt sie scherzend wohl auch die Putzsüchtige, weil sie des Putzens und Waschens nicht genug bekommen kann. Da steht sie in der Mitte ihres Reiches, die breite Lederschürze vorgebunden, mit Besen und Wischtuch bewaffnet, einen Geruch von Seife und warmem Wasser ausströmend, und treibt nicht nur Spinnen und Motten und jedes Stäubchen aus dem Hause, sondern auch die Menschen, ja den geplagten Mann selbst aus seinem letzten Zufluchtsort, seinem Tuskulum. Ob seine Arbeit, ja ob selbst seine und der Kinder Gesundheit unter dem permanenten Lüften und den nassen Dünsten leide, danach fragt sie nicht; sie hat nun einmal die Manie des Scheuerns!

Wie überall, so liegt natürlich auch hier das Richtige in der Mitte. Die gute Hausfrau wird ihre Pflichten als solche erfüllen, ohne die höheren als Gattin und Mutter darüber zu versäumen; sie wird Ordnung und Pünktlichkeit, diese Hauptpfeiler des Hauswesens, in ihrem Reiche herrschen lassen, ohne deshalb pedantisch oder kleinlich zu werden. Unter ihrer Leitung wird der Haushalt einem gut regulierten Uhrwerke gleichen, das sie zwar täglich aufzieht, welches dann aber von selbst weiter geht.

Denn die Frau, welche unserer Zeit, dem jetzigen Leben Rechnung tragen will, darf sich nicht auf das Haus allein beschränken. Ist dieses Haus gleich ihr Reich, so bildet dies kleine Reich doch einen Teil des größeren: des Staates, und des größten; der menschlichen Gesellschaft; es kann also nicht gedeihen, wenn es nur seine eigenen kleinen Interessen verfolgt und alle allgemeinen ausschließt. Wie soll die Frau die wahre Gefährtin des Mannes sein, der mitten im Leben der Welt steht, wie ihre Söhne zu guten Bürgern, ihre Töchter zu gebildeten, praktischen Frauen erziehen, wenn[55] ihr Blick nicht über die Schwelle des Hauses hinausreicht? Nein, nicht auf diese Weise wird sie ihrem Berufe gerecht. Der Vergleich ist nicht neu, aber er ist deshalb nicht weniger treffend: die Frau soll nicht der Schnecke gleichen, die sich engherzig in ihr Haus einschließt, sondern dem Vogel, der sein Nest warm und traulich für die Seinen macht, aber es offen hält für Luft und Sonne und auch ausfliegt, um neue Nahrung und neue Lieder heimzubringen.

Noch einen Frauentypus müssen wir uns betrachten, es ist die putz- und vergnügungssüchtige Frau.

Wir nannten das Strebertum einen der Hauptschäden der jetzigen Gesellschaft. Es zeigt sich bei dem Manne in dem Streben nach Rang, Reichtum, Genuß; bei der Frau meist als Putz- und Vergnügungssucht. Sie hat als junges Mädchen ein so geselliges Leben geführt, ist auf Bällen, in Soiréen so gesucht, gefeiert gewesen. Nun soll sie daheimbleiben, soll den Tag über arbeiten, einrichten, rechnen, und abends – ach wie oft! – allein sitzen. Das ist zu viel verlangt, das kann, das will sie nicht! Das Beispiel der Freundinnen kommt hinzu, und so muß der Mann gegen seine bessere Ueberzeugung sie auf diesen Ball, auf jene Maskerade führen, kann sich auch, da er sich dazu verstanden, nicht weigern, die Rechnungen für die dazu nötigen Toiletten zu bezahlen. Und ein Fest führt das andere herbei, die ewig wechselnde Mode fordert immer neue Opfer, und die junge Frau schmückt sich und tanzt und scherzt, bis eines Tages das allzu leichte Gebäude ihres Glückes zusammenbricht und alles in den Ruin versinkt, den sie selbst heraufbeschworen.

Ist das Bild zu grell gezeichnet? Wir glauben es nicht, noch möchten wir die Frau rückhaltlos verdammen. Ausgeschlossen von der ernsten Arbeit des Mannes, wird sie nur zu oft als Spielzeug betrachtet, als hübsche Blume, die man schmückt, um wiederum das Haus, respektive den[56] Salon zu schmücken. Den Ernst des Lebens hält man ihr fern; von Geschäften, denkt der Mann, versteht sie nichts; so erhält er sie in gänzlicher Unwissenheit über seine Verhältnisse und läßt sie ahnungslos den blumigen Weg verfolgen, der unabwendbar zu dem Abgrund führt.

In der Ehe, wie sie sein soll, ist die Stellung der Frau eine andere; nicht als Spielzeug, nicht als Blume betrachtet sie der Mann – Spielzeuge und Blumen sind doch gar zu vergänglich! – sondern als seine Freundin, die alles, Freud' und Leid mit ihm teilt, als seine Vertraute, in deren verschwiegene und mitfühlende Brust er auch seine Sorgen niederlegt, ja als seine Ratgeberin, die, den Konflikten ferner stehend, oft einen richtigeren Blick dafür hat, als der davon erregte Mann. Nimmt sie diesen Platz an der Seite des Gatten ein, so besitzt sie damit den schönsten, der ihr werden kann. Töricht sind diejenigen, welche von einem erstrebten Verdrängen des Mannes durch die Frau reden. Das ist ein Unding, welches auch von den wahren Vertretern der heutigen Frauenbewegung niemals als wünschenswert oder möglich betrachtet worden ist. Die Natur, indem sie Mann und Frau verschiedene Kräfte und Gaben verlieh, hat die beiden zur gegenseitigen Ergänzung, zur gemeinschaftlichen Arbeit an dem großen Kulturwerke bestimmt. Der Mann soll die Frau aus ihrer engeren Sphäre zu allgemeinen Interessen hinführen, ihren Blick erweitern, ihr die Erscheinungen des Lebens draußen vermitteln; die Frau wiederum soll den Mann liebevoll aus dem Allgemeinen ins Einzelne führen, soll seinem Herzen, das im Getriebe der Welt seine Rechnung nicht findet, Befriedigung gewähren, soll dem Realismus, dem Materialismus gegenüber, welchen der Kampf ums Dasein ihm nur zu leicht aufprägt, die Vertreterin des Ideellen sein, soll ihn von der Erde zum Himmel weisen![57]

Haben wir so die Frau in ihren verschiedenen Typen als Gattin und Hausfrau beobachtet, so werfen wir schließlich noch einen kurzen Blick auf sie in ihrer Eigenschaft als Mutter.

Mutter – schönstes und süßestes Wort unserer Sprache! Glücklich, wer es noch aussprechen kann, glücklicher, wer es als stolzen Titel trägt! Ja, voll sich ausleben, ihr Wesen ganz entfalten kann die Frau nur, wenn die Familie in ihrer vollständigen Entwickelung sie umgibt, wenn neben dem Gatten Kinder ihr erblühen. Der Mann wird in den meisten Fällen den Mangel derselben leichter ertragen als sie, die von der Natur zur Mutterschaft bestimmt ist, deren Herz von selbst jedem Kinderherzen entgegenschlägt.

Unfaßlich ist es deshalb, wenn Mütter ihre Pflichten als solche vernachlässigen, und doch geschieht es nur zu oft. Die Vergnügungssüchtige überläßt es der Wärterin, den Kindern das Abendbrot zu geben, sie zu entkleiden, sie in ihr Bettchen zu bringen, um zu ihren Festen zu eilen, und beraubt sich dadurch einer der reinsten Freuden, die ihr geboten werden können; die unordentliche Frau vernachlässigt ihre Kinder wie den Haushalt, und die übereifrige, unpraktische setzt sie gegen jenen zurück. Gerade in Deutschland, wo die Frau sich weit mehr als in anderen Ländern mit den Details des Hauswesens beschäftigt, ist dieser letztere Fehler nicht selten. Ich traf einmal eine Dame, die gut situierte Gattin eines Professors, in der Küche mit dem Waschen seiner Wäsche beschäftigt. Sie erklärte mir, das Mädchen zerreiße die Kragen und Manschetten in der Wäsche so arg, sie müsse sie deshalb selbst waschen. Als sie mich dann in das Wohnzimmer führte, fanden wir dort ihre drei kleinen Kinder auf der Erde herum spielen, in einem Schmutz und einer Unordnung, die mich mit Entsetzen erfüllten. Die Kleinen verkamen, aber die Kragen und Manschetten wurden geschont![58]

Das ist ein trauriges Verkennen ihrer Pflichten. Nach oder neben dem Gatten sind


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 49-59.
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