Acht und zwanzigster Brief.

An den Herrn Commerzienrath Müller in Hamburg. Eilig!

[214] Berlin den 29sten Junius 1771.


Bester Vater!


Beyliegender Brief des Herrn von Hohenau an den Freyherrn von Leidthal,1 erzählt Begebenheiten, welche bey Ihnen gewiß zugleich Erstaunen und Rührung erwecken werden.[214]

Da ich indessen nicht weiß, ob derselbe den Herrn Baron jetzt in Hamburg findet, und Sie, theuerster Herr Vater! doch gern werden wissen wollen, was der Inhalt dieses so interessanten Briefes ist; so will ich Ihnen mit wenig Worten Nachricht von der sonderbaren Wendung geben, welche das Schicksal des Herrn von Hohenau und seiner Geliebten genommen hat.

Ich bin selbst Augenzeuge bey einer Scene gewesen, die, von einem geschickten Maler dargestellt, jedem, der Gefühl für die Leiden und Freuden der Menschheit hat, höchst willkommen seyn müßte – Doch, zu meiner Erzählung!

Als Hohenau in Donnergrund, voll Verzweiflung seine Charlotte nicht zu finden, sich dem Niederträchtigsten unter allen Franzosen, der in demselben Wirthshause mit ihm war, anvertrauete, machte dieser Elende (der ein falscher Spieler, Seelenverkäufer,[215] Kuppler, kurz! alles ist, wozu ihn ein Reicher nur nützen will,) Gebrauch von des jungen Mannes Offenherzigkeit. Er redete es mit der Frau von Donnergrund ab, verkaufte den Herrn von Hohenau an preussische Werber, und ließ ihn des Nachts, da Herr Meyer, der ihn aufsuchte, in dem Zimmer über ihm schlief, fortführen; er selbst aber lockte dem Jünglinge einen Brief an seine Freundinn ab, unter dem Vorwande, sie ihm nach Baruth zu bringen, wo er auf ihn warten sollte.

Mit diesem Briefe ausgerüstet, gieng er fort, suchte das Fräulein auf, und erhielt, nach Vorweisung dessen, daß sie sich ihm in die Hände lieferte; seine Absicht aber war, dieselbe, wenn sie sich ohne Hülfe sehen würde, einem reichen Grafen in Berlin als Maitresse zuzuführen.[216]

Er zog das unglückliche Kind, ein paar Monate hindurch, unter allerley Vorwande von einem Orte zum andern. Sie erkrankte vor Kummer, bis er sie endlich, mit der Hofnung ihren Carl in Berlin anzutreffen, auch dahin lockte.

Sein Schrecken war nicht gering, da er den Herrn von Hohenau, den er als Recrute in irgend einer entlegenen Provinz glaubte, hier als Officier fand. Nun war doppelte Vorsicht nöthig, eine ohngefehre Zusammenkunft zu verhindern. Das Fräulein wurde also – denken Sie an, bester Vater! – in ein Bordel geführt, und daselbst in einem Hinterstübchen einer liederlichen Weibsperson, welche ehemals die Buhlerinn eines Obristen gewesen war, (die man ihr aber als eine Dame von Stande vorstellte) anvertrauet.[217]

Jetzt ahndete das arme Mädgen wohl, daß sie hintergangen würde, doch hoffte sie noch immer auf Antwort von ihren Eltern, weil sie zu ihrem Glücke nicht wußte, daß man alle ihre Briefe auffieng; und dieser kleine Hofnungsstrahl erhielt sie in ihrer schweren Gemüths- und Leibeskrankheit, an welcher sie noch darniederliegt, bey einigen Kräften.

Unterdessen hatte sich Hohenau, aus Verzweiflung über die vermeintliche (durch falsche Briefe des Franzosen ihm angezeigte) Untreue seiner Geliebten, allerley Ausschweifungen ergeben; der Herr von Hundefeld aber suchte noch immer seine Schwester, kam nach Berlin, wurde durch eine Cabale des französischen Bösewichts wieder aus der Stadt geschafft, kehrte aber gestern wieder hierher zurück, und trat in der Stadt Paris ab.[218]

Hohenau begegnete mir des Morgens auf der Gasse, sagte mir, er erwarte heute seinen academischen Freund, und bath mich, sobald ich dessen Ankunft vernehmen sollte, ihn bey dem Herrn Lieutenant von B ..., woselbst er den Abend zubringen würde, abzurufen. Dieser B ... ist ein wackerer junger Mann, der vor ein paar Jahren im Reiche auf Werbung war, aber itzt leider! auch ein bisgen liederlich wird.

Abends um acht Uhr kam Hundefeld an. Ich hatte ihn erwartet, und bewillkommte ihn im Gasthofe. Wir giengen zusammen nach dem Hause des Lieutenants von B ..., allein der Bediente sagte uns, sein Herr und der andere Officier seyen zu der Frau Schufit, in der Töpfergasse, ohnweit dem Comödienhause, gegangen.

Es fiel uns nicht ein, daß dies ein berüchtigtes Haus seyn könnte; wie hätte ich den Herrn von Hohenau fähig halten mögen,[219] öffentlich dahin zu gehn, und den Laquaien von diesem Schritte zu unterrichten? Auch muß ich zu seiner Rechtfertigung sagen, daß dies das erstemal gewesen, daß er einen Fuß hierher gesetzt, und daß ihn der Herr von B ... dazu verleitet hatte – Gewiß hegte die Vorsehung die Absicht, ihn durch das, was er hier sehen würde, auf den Weg der Tugend zurück zu führen.

Wir giengen sorglos dem Hause zu, traten hinein, fanden aber eine solche Verwirrung, einen solchen Aufruhr in demselben, daß wir wie versteinert da standen.

O! hören Sie, theuerster Vater! Leichtsinn und Ausschweifungsgeist hatten den Herrn von Hohenau in dies Haus geführt. Er war mit seinem verderbten Freunde kaum hineingetreten, als er, ohne weitere Anfrage, in das Hinterstübchen gehen wollte, welches vermuthlich dem Herrn von B ... von alten Zeiten her, bekannt war. Er[220] öfnete die Thür, und – Welch ein Anblick? – Hier seine Charlotte, im Bette liegend, krank, blaß, mit allen Zeichen des tiefsten Schmerzes, die Augen zum Himmel gerichtet, anzutreffen! –

Was für eine Scene das war; wie wir darauf ohnerwartet herzukamen; wie doppelt feyerlich und wehmüthig die Ankunft des Bruders dies Gemälde machte; was darauf vorfiel; welche Erläuterungen nun erfolgten; wie der arme Hohenau gegen sich selbst, gegen das Haus, gegen die Menschen, welche ihn getäuscht und irregeführt hatten, tobte; was die wahrscheinlichen Folgen davon seyn werden – das alles, liebster Vater! werden Sie besser aus beyliegendem Briefe und aus meinem nächsten Schreiben sehen.

Noch bin ich zu verwirrt, um Ihnen etwas Zusammenhängendes darüber sagen[221] zu können. Sobald ich aber ruhiger seyn werde, erwarten Sie eine weitläuftigere Nachricht, von


Ihrem

gehorsamsten Sohne,

Ludwig Müller.


Ende des dritten Theils.

Fußnoten

1 Der aber, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, erst zu Anfang des vierten Theils erscheinen wird, oder vielleicht gar nicht, da man doch schon aus gegenwärtigem auf den Inhalt desselben schliessen kann.



Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783.
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