Sechs und zwanzigster Brief.

An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen.

[245] Nürnberg den 18ten November 1771.


Nun, mein lieber Etatsrath! Wie geht es Ihnen denn? Nicht wahr, Sie mögten gern einmal wieder so etwas von meiner Prosa lesen? Wohlan! Kommen Sie her! Hier ist die Erzählung unserer großen Reise von Frankfurt nach Nürnberg, wie solche beschrieben steht in unserm Reise-Journale, daselbst auf der 181sten Seite, wie folget. Uebrigens ist mein herzlicher Wunsch, diese Zeilen mögen meinen Herrn Etatsrath bey gutem Wohlseyn und wahrer ächter dänischer Gemüthsruhe antreffen – Zur Sache![245]

Als wir eben den 13ten von Frankfurt abreisen wollten, kam der liebe Herr von Greb mit dem Professor Blumenhof hier an, und überbrachte uns einen Empfehlungsbrief von unserm theuren Freunde, dem Pfarrer Pockenthal. Es that mir weh, daß wir dieser guten Männer Umgang nicht länger geniessen konnten, und wir klagten eben darüber, als diese herrlichen Leute sich kurz entschlossen, uns bis Nürnberg zu begleiten. Wenn ich je einen jungen Mann gesehen habe, der wahre Festigkeit und Würde im Character mit Feinheit, Sanftmuth, Gefühl und liebevollem Aeusserlichen verbindet; so ist es der gute Jüngling, unser Greb. Wir haben in seiner und des vortreflichen Blumenhofs Gesellschaft gar selige Stunden hingebracht. In zwey Wagen vertheilt, fuhren wir des Morgens aus Frankfurt ab, nachdem wir vorher einen kurzen aber genußreichen Besuch bey dem Doctor Tenjed abgestattet hatten, einem Manne, der voll Feuer, Geist und Wärme für alles Gute ist, und keinen andern[246] Fehler haben mag, als daß er in dem Orte, wo er wohnt, mit seiner Würksamkeit völlig allein steht. Auch lebt er, umringt von so viel inconsequenten Menschen, gänzlich einsam und verschlossen.

Wir kamen gegen Mittag nach Seligenstadt, wo eine Benedictinerabtey ist, liessen uns bey dem Prälaten melden, und wurden von ihm zur Mittagstafel eingeladen. Sie haben guten Wein, diese Leute, und man sieht, daß sie bey ihrer Andacht und Seelenanstrengung, doch die materielle Hülle nicht vergessen – Ja! lieber Himmel! Was soll man auch machen? Gott läßt den schönen Wein wachsen, und giebt dann auch Stärke, daß man ihn vertragen, und überhaupt das beschwerliche Klosterleben ausstehen lernt.

Es speisete ein Domherr mit uns, der auch auf Reisen war, und zwar mit seiner Maitresse, die jedoch so lange im Wirthshause blieb. Er war ein Mann voll Firniß,[247] angenehm, lustig – Aber so leer, so leer! – Wenn ich oft sehe, wie die mehrsten dieser Menschen erzogen werden, wenn ich Briefe von ihnen lese; Wenn ich bedenke, welche unnütze Glieder des Staats sie sind, wie wenig sie auch nur einmal die Bestimmung erfüllen, zu welcher man sie fett macht – Aber zum Henker! dafür werden sie auch im Fegefeuer pfeifen, und keinen Vicarius darauf halten dürfen.

Bey dem Fegefeuer, an welches nicht jeder glaubt, fällt mir ein Geschichtgen ein. In Hessen war ein Dorfpfarrer, dem gemeldet wurde, es gäbe in seiner Gemeine Leute, welche die Aufersteigung der Todten leugneten. Der Lerm der orthodoxen Gegenparthey wurde so laut, daß der arme Geistliche endlich das Ding ins Reine bringen mußte. Er versammlete also seine Gemeine, rief alle die, welche die Auferstehung glaubten, hervor, und stellte sie auf eine Seite, den Ungläubigen gegenüber, und nun rief er aus: »Ihr[248] Verstockten! Ihr zur Linken! Ihr glaubt also nicht die Auferstehung der Todten?« Sie zuckten die Achseln – »Wohl also!« fuhr er fort »Ihr bleibt in der Erde liegen. Ihr Hunde! und alle jene wackren Männer werden mit Haut und Haar auferstehen – Das ist nun Eure Schuld!« – und damit gieng er fort.

Hinter Seligenstadt gesellte sich ein Pudel zu uns, und verließ uns auch seit dieser Zeit bis itzt nicht. Der empfindsame Herr von Hohenau glaubt, der Hund habe vorzüglich zu ihm Zuneigung, weil er ein guter Mann sey, an den sich gern jeder Unmündige wende. »Bey mir« ruft er pathetisch aus »sucht der Unglückliche Trost, und der Verlassene Zuflucht; Es giebt ein Gefühl von Sympathie, welches jedes schutzbedürftige Geschöpf, jeden Leidenden, jedes Kind und jedes Thier zu dem hinzieht, der gern hilft, und theilnehmend fühlen kann.«[249]

Wir kamen den Abend nach Aschaffenburg, wo wir die Nacht blieben. Ich wäre gern weitergefahren, denn die besten Betten waren schon für eine andre Gesellschaft in Beschlag genommen. Es war ein gewisser kaiserlicher Major von M ..., den ich vor etwa acht Jahren in Leipzig gesehen habe, nebst seiner Frau. Er hatte damals eben diese Frau ihrem Vater, einem reichen Geheimerath in B ..., entführt. Nachdem er verschiedenemal vergeblich um sie angehalten, befand er sich eines Abends mit seiner Geliebten und deren Eltern in einer Gesellschaft. Es war neun Uhr, und man wollte auseinander gehn. Der Major führt das Fräulein die Treppe hinunter, und statt sie in ihrer Eltern Kutsche zu heben, steht schon ein Wagen mit vier Postpferden vor der Thür, in welchen die beyden Täubchen geschwind hüpfen, und von dannen fliegen. Der Vater ruft: »Was soll denn das heissen?« aber man hatte Musicanten auf die Gasse gestellt, die eine lermende Melodie blasen mußten, bey welcher[250] es nicht möglich war, die Stimme des alten Geheimenraths zu hören, der nicht wußte wie ihm geschahe, indeß sein Töchterlein schon aus dem Thore war. Der Vater tobte, wurde aber nach und nach besänftigt, und willigte ein, da das Uebel nicht mehr zu ändern war. Jetzt leben die Leute recht vergnügt, und haben einen einzigen Sohn, der nebst seinem Hofmeister bey ihnen war. Dieser Hofmeister gefiel mir aber nicht. Es war ein steifer Candidatus Theologiae, hatte eine schwarze sammetne Weste mit Knöpfen von geschliffenen Steinkohlen an, eine Hose von gewürfeltem wollenen Zeuge, und einen braunen Rock mit halb steifen Schößen, und kleinen mit Kameelgarn übersponnenen Knöpfen.

Wir fuhren den 14ten früh Morgens fort. Der Weg geht über einen Berg, welcher der Spesser heißt, auf dessen Höhe es schon recht grimmig kalt war. Das Volk in diesen Gegenden ist gut, treu, wohlgebildet, höflich,[251] aber arm. Wir hielten bey einem Wirthshause, ganz oben auf dem ehrwürdigen Berge still, und stiegen einen Augenblick aus, ein Frühstück zu nehmen. Ein alter Greis, mit ganz weissen Haaren, saß in dem Circul von eilf Personen seiner Familie, Kinder und Enkel. Man sahe, daß diese Leute nicht viel Bequemlichkeit des Lebens schmeckten; aber doch waren sie heiter; Eintracht herrschte in dieser Hütte der Dürftigen, und der alte Mann, bey welchem mir der Greis auf dem Berge Atlas einfiel, spielte mit seinen Kindeskindern, die seine Knie umfaßten, und auf welche er sanft und fröhlig herabsah. Jeder von uns gab jedem Kinde ein Kreuzerchen, und wir fuhren weiter.

In Esselbach begegneten uns zwey andre Kutschen, und da unsre Postillons Lust hatten mit jenen zu wechseln; so stiegen wir sämtlich aus, und machten oder erneuerten vielmehr Bekanntschaft mit den Fremden, denn ich sah bald, daß es Personen waren,[252] die ich irgendwo gesehen hatte. Der ganze Zug sah ziemlich aus, wie Emigranten, die nach Astrakan gehen, und in einer Kutsche saßen sieben Personen: Entrés toujours, Commère, nous ne sommes qu'a sept. Es war unter andern eine Art von Cammerjungfer unter ihnen, mit einer schwarzen Haube, und dabey lang, hager, gelb, gestaltet wie der Lieutenant Lismahago. Die Herrschaft aber bestand aus einem gewissen Obristen von Verden, der einst in russischen und sodann in französischen Diensten war. Derselbe hielt einmal um ein reiches Fräulein in Stuttgard an. Man erfuhr aber indessen, daß er schon in Rußland verheyrathet sey. Als man ihn nun darüber zur Rede stellte, und er hörte, daß seine erste Frau gegen ihn geklagt hatte, fragte er: »Welche Frau ist denn das?« Denn Sie müssen wissen, daß es sich nachher entwickelte, er habe nicht nur in Moscau, sondern auch in Straßburg eine theure Ehehälfte zurückgelassen, und beyder Vermögen durchgebracht.[253] Der Bruder dieses Mannes war in der andern Kutsche mit seiner Familie. Er ist Forstmeister im Sächsischen, ein Mann von unerhörtem Phlegma, dazu geizig und äusserst langweilig.

Man kömmt nachher durch verschiedener kleinen Grafen Länder. Ein Franzose sagte einst zu einem von diesen Potentaten. »J'ai traversé ce matin Votre Monarchie.« Derselbe Graf, zu welchem er dies sagte (er wohnt aber nicht in diesen Gegenden) gieng einmal auf dem Felde spazieren, und traf einen Bauern an, der hinter einer Hecke gewisse Bedürfnisse der Natur befriedigen wollte. Der Graf fand dadurch die ihm schuldige Ehrerbiethung beleidigt: »Kerl!« rief er »Weißt du, daß sich das nicht schickt?« »Ei nun!« erwiederte der Bauer ganz gelassen »so gehe ich denn über die Grenze.« Er behielt die Beinkleider in der Hand und ging zwanzig Schritte von da in eines andern Herrn Länder.[254]

Es war schon spät als wir nach Würzburg kamen, und da wir glaubten, es sey der Mühe werth, sich einige Stunden hier aufzuhalten; so bestellten wir erst die Pferde auf den folgenden Mittag. Wir speiseten indessen des Abends in Gesellschaft eines guten alten biedern Officiers, der von unten auf gedient, und sich seine Bildung gänzlich selbst zu danken hatte. Er hatte eine bey solcher Art Menschen ungewöhnliche Milde im Character, und wir wurden bald recht vertraulich mit ihm.

Unser Gasthof lag am Mayn. Die Aussicht nach einer Art von Wasserfall, die Brücke, sodann oben auf dem Berge die Festung; das alles macht einen hübschen Anblick. Wir besahen diese Festung, so weit es, der strengen militairischen Einrichtung nach, erlaubt ist, und als wir herabkamen, giengen wir dem Schlosse zu. Es ist eines der schönsten in Teutschland, nur vielleicht zu sehr mit Zierrathen überladen, für einen[255] geistlichen Pallast. Wie würden sich die lieben Apostel wundern, wenn sie sehen sollten, daß ihr College ein so babylonisches Schloß dahingesetzt, und Statuen aus der heidnischen Mythologie davor aufgepflanzt hat! Auch macht es einen bösen Eindruck, daß gegenüber so schlechte Häuser stehn. Wir wohnten noch im Dom den Exsequien für einen kürzlich verblichenen Domherrn bey, der an einer Indigestion und also in seinem Beruf gestorben war, und darauf fuhren wir den 15ten Mittags von dort ab.

Diese Gegend von Franken ist öde und wüst, doch findet man Weinbau daselbst. Wenig Dörfer sieht man, aber freundliche höfliche Leute, elende Postanstalten und scheußliche Wege. Wir fuhren die Nacht durch, weil die Gegend doch nicht verdiente bey Tage gesehen zu werden.

So oft ich von bösen Wegen höre, fällt mir die Geschichte vom regierenden Grafen[256] von S ... ein, der einen quasi Finanzdirector hatte, welcher sich freylich zu dem Posten gar nicht schickte, denn er war ein schöner Geist, übrigens aber nie mit Geschäften umgegangen. Es begab sich aber, daß durch ein gewisses Dorf im Lande eine Chaussee sollte gemacht werden, wogegen sich aber der gräfliche Minister aus der Fülle seiner Lunge setzte, und zwar aus der Ursache, weil dadurch Schmiede und andre Handwerksleute lahmgelegt werden würden. Denn da in diesem Dorfe die Fremden fast immer etwas an ihrem Fuhrwerk zerbrächen, welches hier ausgebessert werden müßte; so dürfte man zum bessern Aufkommen des Dorfs die Wege ja nicht bessern. Diese Vorstellung leuchtete dem Grafen ein, und die Straße blieb, wie sie war. Aber daß auch im Anspachischen so höllische Wege sind, daß ist nicht erlaubt – Wir verlohren alle Geduld. Doch kamen wir endlich nach Nürnberg, der berühmten Reichsstadt, die wir indessen morgen wieder verlassen, und[257] uns von unsern lieben Begleitern trennen werden.

Das bewußte Geschäft haben wir glücklich beendigt; Meyer hat darüber an den Baron geschrieben; Vielleicht schickt er Ihnen den Brief. Wir haben die Bekanntschaft eines sehr redlichen Mannes und Freymaurers, des Herrn von ... gemacht. Er führte uns in die Loge, wo wir einige sehr wackre Männer, und von nicht alltäglichen Kenntnissen, sprachen. Der Herr von ... hat uns überhaupt mit wahrhaftig brüderlicher und gastfreundlicher Güte behandelt. Aber er und sein kleiner Circul von sichern Freunden sind auch die Wahrheit zu gestehen die einzigen Männer, von denen die ich dort kennen lernte, die mir gefallen haben. Alle übrigen kamen mir steif und verschroben vor. Die Leute haben so possierliche Nahmen, welche sich mehrentheils auf lein endigen, kleiden sich so wunderlich und geschmacklos; die Patrizier glauben sich so weit über[258] die andern Bürger erhaben; Ueberhaupt ist man in mancherley Kenntnissen noch so weit zurück, so voll Vorurtheile, und dünkt sich doch so aufgeklärt, daß ich hier nicht wohnen mögte.1

Unser Freund führte uns in eine große Gesellschaft. Es war ein sehr mittelmäßiges Concert, worinn aber so viel geplaudert wurde, daß man von der Musik nichts hören konnte. Darauf folgte ein Suppee und hintennach ein Ball. Gott bewahre! Es war viel auf einmal. Ich liebe sehr, daß man mit den Freuden dieses Lebens hauszuhalten verstehe.

Uebrigens kann ich nicht sagen, daß wir daselbst eine einzige interessante Bekanntschaft gemacht, oder auch nur an irgend einem von den Anwesenden einige Lust wahrgenommen hätten, den Fremden eine gute Aufnahme zeigen.[259]

Wir besahen auch die alte kaiserliche Burg auf dem Berge, die würklich etwas sehr Ehrwürdiges hat.

Sonderbar kömmt es einem Fremden vor, daß in Nürnberg noch nach der alten römischen Uhr die Zeit gerechnet wird. Wenn die Sonne aufgeht, so schlägt es Ein Uhr, und hat der Tag z.B. sechzehn Stunden; so schlägt die Glocke, bey Untergang der Sonne sechzehnmal, und so auch die Nacht.

Ich habe noch allerley kleine Ausrichtungen in der Stadt zu machen, und die Post geht ab; Ich will also schliessen – Leben Sie wohl, bester Freund! von uns allen geliebt, vorzüglich aber von


Ihrem

treuesten

Weckel.

Fußnoten

1 im Jahr 1771 versteht sich.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 261.
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