-Er (4)

[1848] 4. -Er, eine Endsylbe der Deutschen Nennwörter, welche theils zu ihrer Bildung, theils zu ihrer Beugung dienet.

I. Was die Bildung betrifft, so ist sie eine derjenigen Endsylben, durch welche die Deutsche Sprache mit einer Menge neuer Wörter bereichert worden, und zum Theil noch bereichert werden kann.

1. Die meisten Wörter dieser Art sind Hauptwörter, doch scheinet die Endsylbe in denselben nicht überall von einerley Ursprung und Bedeutung zu seyn.

1) In einigen ist sie sehr deutlich das alte Hauptwort Er, ein Mann, und alsdann wird sie dem weiblichen oder vielmehr dem gemeinschaftlichen Geschlechte verschiedener Thiere angehänget, das männliche zu bezeichnen. Der Anter, von Änte oder Ant, der Er, oder Mann der Änte. Der Ganser, von Gans. Der Täuber, von Taube. Der Kater, von Katze, Nieders. Kat. Einige Mundarten hängeten dem er noch ihren Hauchlaut an, und da ward aus Anter, Ganser, Täuber u.s.f. Änterich, Gänserich, Täuberich.

2) In vielen andern bedeutet sie eine Person männlichen Geschlechtes, die etwas thut, oder ihr Geschäft aus derjenigen Verrichtung macht, die das Wort, dem sie angehänget wird, bezeichnet. Die Wörter dieser Art sind, (a) aus Zeitwörtern gebildet, indem die Endsylbe en des Infinitives weggeworfen, und dafür die Sylbe er angehänget worden. Bader, von baden, Bäcker von backen, Bettler, Bauer, der das Feld bauet, Färber, Henker, Jäger, Lügner, Mahler, Richter, Schneider, Träger, Diener, Läufer, Vater, Lehrer, und tausend andere. Oder (b) aus Nennwörtern, wie Einsiedler, von Einsiedel, Gärtner von Garten, Gesellschafter, Hüter, der Hüte verfertiget, von Hut, Sattler, Riemer, Seiler, Sporer, Thäter, Bothschafter, der Bothschaft bringet, Barfüßer, der barfuß gehet, Schäfer, der die Schafe hüthet, Bürger u.s.f. Ingleichen die Oberdeutschen Eyerer, Hühnerer, Häringer,[1848] Schmälzler u.s.f. der Eyer, Hühner, Häringe, Schmalz verkauft. In vielen nimmt die Sylbe er noch das n voran; wie in Schuldner, Bündner, der im Bunde stehet, Büttner, von Butte, Glöckner, Kellner, Zöllner, Mautner, Meßner, Pförtner u.s.f. In einigen schleichet sich auch der vorhin schon gedachte Hauchlaut mit ein, Wütherich, für Wüther, der da wüthet.

Aus allen Wörtern dieser Art kann ein Fämininum durch Anhängung der Sylbe inn gebildet werden. Baderinn, Bäkerinn, Bettlerinn, Lügnerinn u.s.f. Daß die Sylbe er in diesen Wörtern kein anderes Wort ist, als das schon gedachte alte Er, Mann, erhellet unter andern auch daher, daß diesen Wörtern statt der Sylbe er oft auch die Sylbe mann angehänget wird, ohne ihre Bedeutung zu ändern. Bürger und Burgmann, Schuldner und Schuldmann, Reiter ehedem auch Reitmann, Bauer ehedem auch Baumann, Bettler und Bettelmann, Käufer und Kaufmann, Schiffer und Schiffmann, Arbeiter und Arbeitsmann u.s.f. Hierher gehören auch viele Lateinische Wörter auf -er, besonders aber die Verbalia auf -or, wie adulator,apparitor, adorator, amator u.s.f.

3) Eben dieselbe Bedeutung hat diese Sylbe auch, wenn sie den Nahmen der Länder und Städte angehänget wird, die Herkunft einer Person, zuweilen auch eines Thieres und leblosen Dinges anzudeuten. Ein Römer, der aus Rom gebürtig; so auch ein Frankfurter, Hamburger, Holsteiner, Berliner, Leipziger, Österreicher, Schweizer, Engländer, Holländer, Märker, Pfälzer u.s.f. Die sich auf e, en, und n, endigen, werfen solches von dieser Zusammensetzung gemeiniglich weg, wie Lothringer von Lothringen, Spanier, Thüringer; nur Meißen behält solches, ein Meißener oder Meißner. Andere nehmen ein n eigenmächtig an, wie Gothaner, von Gotha, anderer Veränderungen nicht zu gedenken. Indessen darf diese Zusammensetzung nicht willkührlich versucht werden, weil viele Gentilia in andern Formen hergebracht sind; z.B. ein Böhm, Kroat, Däne, Preuße, Pommer, Franke, Franzose, Pohle, Sachse, Schwede, Tartar, Deutscher, nicht Deutschländer, Ungar, Westphale, Indianer, Italiäner, Jenenser, Hallenser u.s.f. Übrigens lassen sich von allen diesen Gentilibus auf -er auch Fäminina auf -inn bilden. Römerinn, Frankfurterinn, Schweizerinn, Tirolerinn u.s.f. Oft werden die Gentilia auf -er wie Beywörter gebraucht; Schweizer Käse, Nürnberger Witz, Straßburger Geschütz, Hamburger Rindfleisch, Leipziger Lerchen, Braunschweiger Würste, Berliner Blau, die Wiener Landwehre. Allein diese Art des Ausdruckes macht die gedachten Wörter gewiß nicht zu wahren Beywörtern. Sie stehen vielmehr nach Art der Lateiner in der unbestimmten zweyten Endung des Plurals, gleichsam Käse der Schweizer, so wie man auch in andern Fällen sagt, wer Menschen Blut vergießt, Weiber Zorn ist heftig, Gottes Güte, Herren Dienst geht vor u.s.f. Daher man sie allenfalls auch mit dem Verbindungszeichen schreiben könnte. Meißner-Porzellän, Berliner-Blau, Berger-Thran, Berger-Fische.

4) Nach sehr gewöhnlichen Figuren bedeutet die jetzt gedachte Endsylbe er, besonders so fern sie eigentlich jemanden ausdruckt, der etwas thut, auch, (a) das Werkzeug, womit etwas gethan wird. Kiefer, maxilla, Bohrer, Schnitzer, Hammer, Klammer, Leuchter, Folter, Halster, Zünder, Klapper, Leyer u.s.f. Daß dieses er in manchen Wörtern in el übergehet, ist schon bey dieser Ableitungssylbe angemerket worden. (b) Dasjenige, was gethan oder hervor gebracht wird. Der Donner,[1849] Fehler, Seufzer, Ableger, Absenker, Ausputzer u.s.f. (c) Der Gegenstand, dem etwas gethan wird. Der Ächter, der geächtet wird, Tagelöhner, der Tagelohn empfängt u.s.f. (d) Den Schalt, das Alter u.s.f. besonders bey Zahlwörtern. Ein Zweyer, eine Münze, welche zwey Pfennige hält, ein Dreyer, ein Sechser, ein Siebener, eine Münze von sieben Kreuzern, ein Funfzehner, ein Siebzehner, eine Münze von funfzehen, von siebzehen Kreuzern, ein Achter, von acht Pfennigen; ein Einer oder Einser, die Zahlfigur eins; ein Achtziger, ein Mann von achtzig Jahren; ein Zentner, ein Gewicht von hundert Pfunden u.s.f. Dahin gehören auch die Wörter, ein Achter, ein Vierer, ein Sechziger u.s.f. ein Mitglied einer Gesellschaft von acht, vier, sechzig Personen anzudeuten, wofür an andern Orten Achtmann, Viermann u.s.f. üblich ist. (e) Ein Abstractum. Die Feyer, die Dauer, die Heuer, Miethe u.s.f. (f) In machen Wörtern ist die Bedeutung dieser Sylbe freylich noch dunkel, wenigstens ungewiß, zu welchem der vorhin gedachten Fälle sie zu rechnen ist; wie in das Wetter, der Jammer, der Sommer, das Ufer, das Wasser, die Ader, die Natter, der Hafer, der Schlummer, das Alter u.a.m. gehören. Doch bey einer genauern Untersuchung wird vielleicht noch vieles von der vorgegebenen Dunkelheit verschieden.

5) In einiger Wörtern ist sie aus Aar, ein großer Vogel, entstanden, wie in den Nahmen Adler, Sperber, Reiher, Geyer, für Adelaar, Sperbaar u.s.f. In andern ist sie das verkürzte Herr, wie in Junker, für junger Herr, Pfarrer, für Pfarrherr, Kastener, für Kastenherr. In noch andern ist sie bloß aus der Endung -ern mancher Zeitwörter, mit Wegwerfung des n gebildet worden. Das Geklapper, von klappern, das Geklimper, von klimpern. Endlich gibt es auch viele Wörter, wo sie fremden Ursprunges ist. Dergleichen sind Kaiser von Caesar, Kerker von carcer, Körper von corpus, Priester von Presbyter, Fenster von fenestra, Zepter von sceptrum, Fieber von febris, Pflaster von emplastrum, Pulver von pulvis, Letter von littera u.s.f.

Die meisten Hauptwörter auf er bleiben im Hochdeutschen in der ersten Endung des Plurals unverändert, der Bürger, die Bürger, der Adler, die Adler, außer daß einige den vorher gehenden Selbstlaut verändern, der Bruder, die Brüder, der Vater, die Väter. Einige nehmen im Plural ein n an. Der Vetter, die Vettern, die Schwester, die Schwestern. Im Oberdeutschen hängt man den erstern noch ein e an, vermuthlich um den Plural desto sicherer von dem Singular zu unterscheiden. Die Bürgere, die Bürgermeistere, die Besitzere. Und dieß auch wohl bey solchen Wörtern und in solchen Endungen, wo keine Verwechselung zu befürchten ist. Den Töchteren, die Brüdere. Einige Hochdeutsche Kanzelleyen ahmen solches gleichfalls nach; allein alle Mahl zu einem großen Ärgernisse feinerer Ohren.

2. Es gibt aber auch Beywörter, die sich in der ersten Staffel mit dieser Sylbe endigen, wie bitter, finster, sauer, sauber, u.s.f. wo aber der eigentliche Sinn derselben nicht so leicht mit Gewißheit zu bestimmen seyn möchte.

3. Hier muß auch des Oberdeutschen Gebrauches gedacht werden, wo man sich dieser Sylbe bedienet, Nebenwörter aus Bey- und Mittelwörtern zu bilden. Er ist so kranker fortgereiset, für krank. Er hat mich unbekleideter angetroffen. Sie wurde todter hinaus getragen. Wir haben ihm die Nothdurft wiederhohlter zu erkennen gegeben. Die Hochdeutschen kennen dergleichen Nebenwörter nicht. S. -en, wo einer ähnlichen Bildung der Nebenwörter gedacht worden.

II. In Ansehung der Beugung ist diese Endung bey den Nennwörtern von einem großen Gebrauche.[1850]

1. Die Beywörter nehmen sie an, wenn sie ohne den bestimmten Artikel stehen, und zwar das männliche Geschlecht in der ersten Endung des Singulars, großer Mann, weißer Zucker, ein junger Mensch, das weibliche aber in der zweyten und dritten des Singulars, meiner Seele, eitler Ehre Tand, zu großer Ehre. Alle drey Geschlechter aber bekommen sie in der zweyten Endung des Plurals, wenn selbige keinen Artikel vor sich hat, grüner Gärten Pracht, voller Fluren Reitz, frommer Kinder Wohlergehen. Es ist wohl gewiß, daß er hier der alte Articulus postpositivus er ist, der statt des präpositivi der in den nordischen Sprachen noch merklicher ist, bey und aber nur noch einige wenige Spuren zurück gelassen hat. S. 1 Der 4. und 2 Er. 2. Ist diese Endung ein allgemeiner Comparativ aller Adverbien, welche dieselbe dem Positivo anhängen, und dadurch den Comparativ bilden; klein, kleiner, arm, ärmer, groß, größer. In der Declination bekommt dieses er allerley Zusätze. Der größere Mann, dein ärmerer Bruder, ein feinerer Leib, eine bessere Gestalt. Bey den Griechen lautet diese vergleichende Endung ερος, bey den Lateinern or, und bey den Angelsachsen er, era, or. Woher dieses er abstamme, und was es eigentlich bedeute, will ich hier nicht untersuchen; sie scheinet das alte Nebenwort er, eher, zu seyn, S. Ehe.

3. Wenigstens eben so wichtig ist das Amt dieser Endung, wenn sie bey vielen Hauptwörtern den Plural bilden hilft. Bad, Bäder, Glied, Glieder, Bild, Bilder, Kind, Kinder, Loch, Löcher, Reis, Reiser. Dieser Plural stammet ohne Zweifel zunächst aus den nördlichen Gegenden her, indem er die gewöhnliche Endung des Plurals im Dänischen und Schwedischen ist. Unter den Deutschen Mundarten ist er in der Sächsischen und ihren Töchtern am häufigsten, und aus derselben auch in die Hochdeutsche gekommen. Daher rühret es denn, daß viele Wörter, die im Hochdeutschen Plural ein -er bekommen, bey den ältern und mittlern Oberdeutschen ein bloßes -e haben. Die Manne, die Wibe oder Weibe, die Pfande, die Wälde, die Würme, die Zelte, die Fasse, die Rinde, die Leibe, die Orte u.s.f. welches e auch wohl weggeworfen wurde, die Thal, die Gemüth, die Geist, die Licht u.s.f.

Die Hochdeutschen haben diesen verkürzten Plural in vielen Wörtern beybehalten, welche ein Maß, Gewicht, Zahl u.s.f. bedeuten. Sechs Faß Wein, für Fässer. Hundert Mann, für Männer. Zwanzig Pfund, für Pfunde. Dreyßig Ahm Wein u.s.f.

Viele Wörter sind im Hochdeutschen mit einem doppelten Plural üblich. Bande und Bänder, Lande und Länder, Lichte und Lichter, Mahle und Mähler, Worte und Wörter, Orte und Örter, Dornen und Dörner, Sträuche und Sträucher. Der ganze Unterschied bestehet zunächst in der Mundart, obgleich nunmehr bey manchen Wörtern jede Art des Plurals durch den Gebrauch genau bestimmt ist. Ein Mehreres ist bey jedem dieser Wörter besonders gesagt worden.

Ob nun gleich der Plural auf -er in den ältesten Oberdeutschen, besonders Alemannischen Schriften sehr sparsam vorkommt, so ist er ihnen doch nicht ganz fremd; vermuthlich weil die Deutschen Mundarten schon in den ältesten Zeiten manches von einander entlehnet haben. In den mittlern Zeiten kommt er öfter vor; ja man findet bey neuern Oberdeutschen Schriftstellern diesen Plural bey Wörtern, die ihn nicht einmahl im Hochdeutschen haben. Bether, Betten, Gesänger, Gesänge, Bluntschli. Schon in dem Salischen Gesetze findet man Spuren dieses Plurals; aber bey dem Ottfried und andern Schriftstellern, zu deren Zeit die Fränkische Mundart schon fast ganz Oberdeutsch geworden war, ist er seltener. Die Longobarden, ein Niederdeutsches Volk, brachte[1851] diesen Plural mit nach Italien, und hängte ihn sogar vielen Lateinischen Wörtern an; pratora, gradora, fundora, arcora, campora, censora u.s.f. für prata, gradus, fundi, arcus, campi, census.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1848-1852.
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