[1352] 2. -Ig. iger, igste, eine Ableitungssylbe, welche im Deutschen von einem überaus großen Nutzen ist, von sehr vielen Wörtern Bey- und Nebenwörter zu bilden. Die Wörter, welche auf solche Art genutzet werden können, sind,
1. Hauptwörter, aus welchen auf diese Art Bey- und Nebenwörter werden, welche den Besitz, das Haben, die Gegenwart derjenige Eigenschaft bezeichnen, welche das Hauptwort ausdruckt; wo denn das ig an den letzten Mitlauter des Hauptwortes angehänget, und wenn sich dasselbe auf ein e endiget, dasselbe weggeworfen wird. Gütig, Güte habend, besitzend, muthig, Muth habend, schmutzig, Schmutz habend, gräthig, Gräthen habend. So auch aderig, bergig, buckelig, buschig, dornig, faserig, farbig, felsig, federig, haarig, hastig, hitzig, kitzelig. kiesig, kothig, morastig, runzelig, eckig, kupferig, schuppig, schwammig, eiferig, anmuthig, freudig, hungerig, durstig, listig, lustig, willig, muthwillig, saftig, schartig, spitzig, stündig, wichtig, garstig, schattig, wenig (von Wahn, Mangel,) selig, hügelig adeling, ewig, unschuldig, zornig, und tausend andere mehr.
In einigen wird der Vocal der letzten Sylbe verändert, wie in andächtig, aussätzig, bräuchig, brünstig, bündig, günstig, fällig, flüchtig, wollüstig, gläubig, gnädig, mächtig, häufig, jährig, mäßig, mündig, lässig, dürftig, pfündig, prächtig, süchtig, thätig, trächtig, verständig. unstäthig, züchtig, zünftig, schwülstig, nöthig, eigennützig u.s.f. Einige wenige leiden noch andere Veränderungen. So ist für grobfädenig grobfädig üblicher, für fährtig fertig.
Der erste und eigentliche Begriff ist in diesen und allen ähnlichen Beywörtern der Begriff des Besitzes, des Daseyns; da denn, wenn der Plural des Hauptwortes verstandes werden muß,[1352] sich auch der Begriff der Vielheit mit einschleicht. Ein steiniger Acker, welcher viele Steine hat, ein gräthiger Fisch, welcher viele Gräthen hat, ein gesprächiger Mann, welcher gern und viel spricht. Nach einer sehr gewöhnlichen Figur bedeuten diese Wörter auch etwas, das in der Eigenschaft, welche das Hauptwort ausdruckt, gegründet ist, und nach einer noch weitern Figur auch wohl etwas, das derselben nur ähnlich ist. Ein andächtiger Mensch, welcher Andacht besitzet, ein andächtiges Gebeth, welches in der Andacht gegründet ist, aus derselben herfließet; eine andächtige Miene, welche Andacht vertathen soll. Ein gütiger Mann, ein gütiges Versprechen. Zuweilen drängen sich auch noch andere Begriffe mit ein. Wollüstige Bilder, welche zur Wollust reitzen. Besonders, wenn die mit ig gebildeten Beywörter in machen Fällen einen mehr passiven Sinn annehmen. Einem gehässig seyn, thätig, ihn hassen, aber ein gehässiger Mann, passive, der gehasset wird. So auch heilig, welches eigentlich Heil, d.i. Gesundheit, Wohlfahrt habend und gewährend, bedeutet, aber auch im passiven Verstande für unverletzlich üblich ist, und andere mehr. In einigen scheinet es bloß ein Seyn, einen Zustand zu bedeuten, vorräthig, verlustig, künftig, von Vorrath, Verlust, Kunst, welche Bedeutung dieses ig vornehmlich auch in den folgenden Fällen hat.
Sehr häufig werden in den Zusammensetzungen vermittelst dieser Sylbe auch von solchen Hauptwörtern Beywörter gebildet, welche dasselbe allein nicht gern annehmen. Dergleichen sind Kopf, Hand, Fuß, Bein, Stiel, Seite, Spalte, Form, Herz, Mahl, Tag, Auge, Zunge und hundert andere. Dickköpfig, großköpfig, dreyhändig, vierfüßig, dreybeinig, kleinstielig, dreyspaltig, unförmig, barmherzig, großherzig, dreymahlig, dreytägig, vieläugig, zweyzüngig u.s.f. einen dicken Kopf, einen großen Kopf, drey Hände, vier Füße u.s.f. habend. So auch die auf -faltig, -leibig, -blütig, -haltig, -deutig u.s.f.
2. Beywörter, deren Anzahl aber in Vergleichung mit dem vorigen Falle nur geringe ist. Dergleichen sind völlig, niedrig, einig, fernig, und vielleicht noch andere mehr, von voll, nieder ein und fern. Im Oberdeutschen, wo man die langen Wörter so gern den kürzern vorziehet, hänget man das ig sehr vielen Beywörtern ohne Noth an, indem ihre Bedeutung dadurch auf keine Weise verändert wird, z.B. gestrengig für gestrenge, heiserig für heiser u.s.f. Die Ableitungssylbe scheinet hier bloß ein Seyn, einen Zustand zu bezeichnen.
Von ähnlicher Art scheinet es da zu seyn, wenn es aus den possessiven Fürwörtern mein, sein, ihr, unser, euer, ihr, Abstracta bildet, welche aber die Gestalt der Beywörter verlieren, zu Hauptwörtern werden, und daher auch den bestimmten Artikel annehmen; der Deinige, dein seyend, die Meinige, das Unserige u.s.f.
3. Zeitwörter, und zwar, 1) deren Infinitiv, mit Wegwerfung des en. Beliebig, erbiethig, stutzig, anheischig, beißig, gehörig, genügig, vorläufig, willfährig, u.s.f. welche theils die Bedeutung der Mittelwörter auf -end haben, irrig für irrend, Gebiethiger für Gebiethender, stinkig für stinkend, beliebig für beliebend, genügig für genügend; theils eine Fertigkeit, oder auch nur einen Zustand bedeuten, wie abwendig, stößig, gern stoßend, beißig, Fertigkeit im Beißen besitzend; theils eine passive Bedeutung annehmen, gelehrig, der sich leicht lehren lässet, faserig, was sich leicht fasern, blätterig, was sich leicht blättern lässet. So auch schieferig, zweydeutig u.a.m. 2) Das Imperfectum, in den vorigen Bedeutungen. Hausfässig,[1353] wofür auch haussitzend gefunden wird, beyständig, beystehend, inständig, vollständig, erböthig für erbiethig.
4. Partikeln, besonders Nebenwörter, um vermittelst dieser Sylbe Beywörter aus denselben zu bilden. Dergleichen sind dasig und hiesig, von dar und hier, mit Verwandelung des r in ein s, bisherig, damahlig, vormahlig, ehemahlig, nachmahlig, nochmahlig, oftmahlig, nunmehrig, heutig, gestrig, nichtig, vorig, widrig, heurig, baldig, obig, dortig, jetzig, von bisher, damahls, vormahls, ehemahls, nachmahls, nochmahls, oftmahls, nunmehr, heute, gestern, nicht, vor, wider, heuer, bald, oben, dort und jetzt, anderer nur in den gemeinen Mundarten, besonders Oberdeutschlandes, üblicher zu geschweigen. Da diese aus Nebenwörtern gebildet worden, so sind sie auch in der Adverbial-Form nicht üblich, so wie sie auch der Natur der Sache nach keiner Comparation fähig sind. S. ein Mehreres von dieser Art der Bildung mein Magazin für die Deutsche Sprache, Th. 1, St. 3, S. 78 f.
Anm. 1. Alle diese Beywörter leiden, wo der Verstand es nicht verhindert, die Comparation. Von den meisten können auch vermittelst der Sylbe keit, Abstracta gebildet werden, die Fertigkeit, den Besitz, die Eigenschaft auszudrücken. Die Gütigkeit, Anmuthigkeit, Freudigkeit, Lustigkeit, Willigkeit, Wichtigkeit, Wenigkeit, Seligkeit, Ewigkeit, Bündigkeit, Flüchtigkeit, Mäßigkeit, Mündigkeit, Dürftigkeit, Thätigkeit, Unfläthigkeit, Heiligkeit, Barmherzigkeit, Vollblütigkeit, Niedrigkeit, Einigkeit, Ehrerbiethigkeit, Willfährigkeit, Gelehrigkeit u.s.f. Wenn aber das einfache Hauptwort diese Bedeutung schon leidet, sollte es auch nur vermittelst einer Figur seyn, so ziehet man es im Hochdeutschen dem zusammen gesetztern lieber vor, es müßten denn die Umstände eine strenge philosophische Bestimmung nothwendig machen. So sagt man lieber Muth, Andacht, Allmacht, Hitze, Kitzel, Eifer, Spitze, Schatten, Adel, Unschuld, Zorn, Gunst, Gnade u.s.f. als Andächtigkeit, Allmächtigkeit, Muthigkeit, Hitzigkeit, Kitzeligkeit, Eiferigkeit, Spitzigkeit u.s.f. Bey andern ist bloß der unterlassene Gebrauch Schuld, daß ihre Abstracta auf keit nicht üblich sind, welches besonders von solchen gilt, welche eine körperliche Eigenschaft bezeichnen. So sagt man lieber die bergige, gräthige, schmutzige aderige, buckelige, dornige Beschaffenheit, als die Bergigkeit, Gräthigkeit, Schmutzigkeit u.s.f. ob man es gleich einem Philosophen nicht verdenken würde, wenn er im Falle der Noth Haarigkeit, Runzeligkeit u.s.f. wagte. S. -Keit.
Anm. 2. Viele Beywörter, welche dieses ig nicht ursprünglich haben, nehmen es an, wenn Hauptwörter auf keit daraus gebildet werden sollen, besonders solche, welche einen weichen End-Consonanten haben; Blödigkeit von blöde, Geschwindigkeit von geschwinde, Süßigkeit von süß, Sprödigkeit von spröde. Besonders die auf los, Gottlosigkeit, Herrenlosigkeit u.s.f. Doch thun solches auch andere nach, wo die Zusammenkunft unangenehmer Mitlauter einen Mißklang verursachen würde. Fäuligkeit, Opitz, von faul, Härtigkeit von hart, Gerechtigkeit von gerecht, Festigkeit von fest, Reinigkeit von rein, wohin auch alle Beywörter auf -haft gehören. Wahrhaftigkeit, Spaßhaftigkeit u.s.f. S. -Keit, ein Mehrers aber mein Magazin an dem oben angeführten Orte.
Anm. 3. Die Oberdeutsche Mundart, welche die Wörter nie zu lang bekommen kann, hängt den Beywörtern auf -ig in der Adverbial-Form noch gern ein müßiges -lich an. Gnädiglich, fleißiglich, brünstiglich, seliglich, ewiglich u.s.f. welche man aber im Hochdeutschen billig veralten lassen, so häufig sie auch noch in Luthers Deutschen Bibel vorkommen.[1354]
Anm. 4. Diese alte Ableitungssylbe lautet bey dem Ulphilas eig, ags, im Angels. ig, in den nördlichen Sprachen ugr. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß sie von dem alten Zeitworte aigan, haben, im Angels. agan, im Isländ. eiga, im Griech. εχειν, abstammet, und eigentlich das Mittelwort von demselben ist. S. Eigen. Duruftigot stehet bey dem Kero für dürftig. Die gemeinen so wohl Ober- als Niederdeutschen Mundarten gebrauchen dafür nur -ed oder et, langnäsed, kurzstielet, vierecket, welche Form auch in Luthers Bibel nicht selten, und vermuthlich aus ig, und in den härtern Mundarten igt, verderbt ist, wo es nicht vielmehr das Mittelwort der vergangenen Zeit ist, oder doch nach demselben gebildet worden; langstielet für lang gestielet, großnaset für groß genaset. In den gemeinen Mundarten wird diese Sylbe häufig mit einem angehängten t ausgesprochen. Sprenkligt, stinkigt, stößigt, beißigt, eckigt, köpfigt, löcherigt, stacheligt, flammigt u.s.f. Manche Sprachlehrer, welche sich darein nicht finden konnten, hielten das igt in diesen falschen Sprecharten für die Sylbe icht, und legten daher derselben allerley Bedeutungen bey, welche sie nie gehabt hat, und welche die Beywörter auf -ig und -icht unaufhörlich mit einander verwirren. Wenn ig die einfache Bedeutung des Seyns hat, wie in den Fällen, wo es Zeitwörtern und Partikeln angehänget wird, so stammet es, Wachtern zu Folge, von dem alten augan, scheinen, gegenwärtig werden oder seyn, her. Allein, da sich dieses schwerlich wahrscheinlich machen lässet, so siehet man diese Bedeutung füglicher als eine Figur von der Bedeutung des Habens, Besitzens an.
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro