Annehmen

[342] Annêhmen, verb. irreg. act. (S. Nehmen,) welches nach Maßgebung des einfachen Verbi nehmen, verschiedene, theils eigentliche, theils figürliche Bedeutungen hat. Es bedeutet aber:

1. Von einem andern in Empfang nehmen, an sich nehmen, so wohl in der eigentlichsten Bedeutung. Geld von einem annehmen. Geschenke annehmen. Eine Bittschrift annehmen. Als auch in weiterer, für übernehmen. Einen Dienst, ein Amt, eine Ehrenstelle annehmen. Einen Antrag, einen Auftrag annehmen, ihn zu besorgen. Der Advocat hat die Sache angenommen. Der Arzt will den Patienten, der Handwerksmann[342] die Arbeit nicht annehmen. Ferner, eines Entschuldigung annehmen, damit zufrieden seyn. Eines Besuch, eines Einladung annehmen, darein willigen. Was sie da sagen, werde ich niemahls für Wahrheit, oder als Wahrheit annehmen. Der Herr nimmt mein Gebeth an, erhöret dasselbe, ist eine bloß biblische Redensart.

In noch weiterer Bedeutung gebraucht man annehmen in diesem Verstande auch von unvernünftigen und leblosen Dingen. So sagen z.B. die Jäger: die Feldhühner nehmen den Schild an, wenn sie dessen gewohnt werden, und sich nicht mehr davor fürchten. Der Hund nimmt die Fährte an, wenn er fleißig auf derselben fortsuchet. Der Magen nimmt die Speise nicht an, wenn er sie aus Schwäche wieder von sich gibt. Bey den Färbern nimmt das Zeug eine Farbe nicht an, wenn diese nicht auf dasselbe haften will, und manche Steine nehmen keine Politur an, wenn sie derselben nicht fähig sind.

2. Mit Einfluß auf den Willen annehmen, für das erkennen, wofür es ausgegeben wird, und es so gebrauchen. Guten Rath annehmen, denselben billigen und ihm folgen. Eines Lehren, Warnung nicht annehmen wollen. Er will keinen Trost von mir annehmen. Gottes Wort annehmen, demselben gehorchen. Auch diesen Befehl nehme ich an, so sauer er mir auch wird, Gell.

3. Sorge für etwas tragen, als ein Reciprocum und mit der zweyten Endung der Sache. Sich einer Sache annehmen. Potiphar nahm sich keines Dinges an. Er will sich keiner Sache annehmen, sich keine Sache angelegen seyn lassen. Was dir Gott befohlen hat, deß nimm dich stets an, Sir. 3, 23. Ingleichen in engerer Bedeutung, thätigen Antheil an jemandes Bedürfnissen nehmen, ihm Hülfe leisten. Ich habe mich seiner treulich angenommen. Niemand will sich meiner annehmen.

4. In Verbindung mit sich nehmen. Ein armes Kind annehmen, an Kindes Statt, oder doch es zu unterhalten. Einen zum Schwiegersohne annehmen. Einen ungetreuen Bedienten wieder annehmen. Einen zu Gnaden annehmen. Besonders, in seine Dienste nehmen. Einen Bedienten annehmen. Sich einen Haushofmeister annehmen. Ingleichen, sich eines Dienste auf gewisse Zeit anvertrauen. Einen Advocaten, einen Arzt, einen Beichtvater, einen Sprachmeister u.s.f. annehmen.

5. Sich eigen machen. Eines Meinung annehmen. Er hat alle Irrthümer seines Lehrers angenommen. Eine andere Religion annehmen. Besonders von Sitten und Gewohnheiten, so wohl auf kurze Zeit. Christus nahm Knechtsgestalt an. Sie können eine fremde Person vortrefflich annehmen, Gell. Einen ernsthaften Blick gegen jemanden annehmen. Als auch auf immer, sich angewöhnen. Eines Sitten annehmen. Er hat ein mürrisches Wesen angenommen. Ohne Liebe nimmt das menschliche Herz leicht einen Hang zur Traurigkeit und zum Eigenwillen an, Gell. Auf ähnliche Art heißt bey den Jägern, ein angenommener Stand des Wildpretes, derjenige, wo sich das Wildpret gewöhnlicher Weise aufzuhalten pfleget, im Gegensatze des falschen Standes, den es nur auf kurze Zeit beziehet. In dieser Bedeutung wird auch das Particip. Pass. zuweilen für verstellt gebraucht. Sie hat eine angenommene Nachlässigkeit an sich. Eine angenommene, oder verstellte Leutseligkeit.


Die Ziege hört des Hasen Klagen

Mit angenommner Traurigkeit,

Haged.


6. Mit dem Verstande annehmen, zugeben, einräumen. Ich nehme diesen Satz nicht an, kann ihn nicht einräumen. Das werde ich nimmermehr annehmen, zugeben. Die Heiden nehmen[343] mehr als ein göttliches Wesen an, sie behaupten es. Die protestantische Kirche nimmt nur zwey Sacramente an.

7. Aufnehmen, auslegen. Sie werden das doch nicht für Ernst annehmen? Man nahm es für Scherz an. Ich will es als geschehen annehmen.

8. Auf sich deuten. Das haben sie sich anzunehmen. Was du da sagst, kann ich mir gleichfalls annehmen. Das werden sich mehrere annehmen können.

Anm. Viele dieser Bedeutungen sind bloß buchstäbliche Übersetzungen des Lateinischen accipere und assumere, durch welches Mittel die Deutsche Sprache in den ältern und mittlern Zeiten mit so vielen figürlichen Bedeutungen und Ausdrücken bereichert worden. Es mit einem annehmen, z.B. Wohlan, so nimms an mit meinem Herrn, Es. 36, 8. für aufnehmen, ist im Hochdeutschen nicht gewöhnlich. Dieses Wort wurde ehedem in mehrern Fällen mit der zweyten Endung der Sache verbunden, als heutiges Tages im Hochdeutschen geschiehet. Sich einer Rede annehmen, sie auf sich deuten; sich großer Heiligkeit annehmen, dieselbe vorgeben u.s.f. waren ehedem gebräuchliche Wortfügungen, und in Oberdeutschland sind sie es zum Theile noch. Sich eines Rechtes annehmen, bedeutete ehedem, sich dessen anmaßen, S. Haltaus h. v. und, sich einer Sache annehmen, hieß auch so viel, als sich darüber vergleichen; S. Fabeln aus den Zeiten der Minnes. Fab. 84. Das Hauptwort die Annehmung kann für die Handlung des Annehmens in allen Bedeutungen gebraucht werden, nur in der dritten und achten nicht, wo das Verbum ein Reciprocum ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 342-344.
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