Aussehen

[643] Aussehen, verb. irreg. (S. Sehen,) welches in doppelter Gattung üblich ist.

I. Als ein Activum. 1) Bis zu Ende einer Sache sehen, im gemeinen Leben, und zwar so wohl dem Orte, als der Zeit nach. Eine Allee, die nicht auszusehen ist. Lange, nicht auszusehende Wege, Klopst. Ich konnte die Komödie nicht aussehen. 2) Durch Besehen auslesen. Sich etwas aussehen. Einen zu etwas aussehen, erwählen, bestimmen; in welcher Bedeutung doch ausersehen üblicher ist. 3) Sich fast die Augen über etwas aussehen, mit unverrückter Anstrengung darauf sehen, im gemeinen Leben.

II. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben. 1) Hinaus sehen, welches doch in dieser Bedeutung weit üblicher ist, obgleich die Oberdeutschen ihr ausschauen, und die Niedersachsen ihr utkiken in derselben häufiger gebrauchen. Michal, die Tochter Saul, sahe zum Fenster aus, 1. Chron. 16, 29. Ingleichen, obgleich auch nur selten, in das Freye sehen. Von hier kann man weit aussehen. Nach etwas aussehen, sich darnach umsehen, im gemeinen Leben. Figürlich sagt man wohl im gemeinen Leben, die Sache hat noch ein weites Aussehen, sieht noch weitläuftig aus, ingleichen, ein weit aussehender, d.i. weitläufiger und daher ungewisser, Handel. Allein der Augenschein lehret schon, daß dieser Gebrauch nicht einmahl grammatisch richtig ist, weil hier das Activum anstatt des Passivi gesetzet wird, indem es doch wohl so viel heißen soll, als eine Sache, die noch in einer weiten Ferne gesehen wird. Sollte hier aber die folgende Bedeutung der äußern Gestalt Statt finden, so müßte es wenigstens heißen, ein weitläuftiges Aussehen, ein weitläuftig[643] aussehender Handel. 2) Eine gewisse bestimmte äußere Gestalt haben. (a) Eigentlich. Schwarz, gelb, roth, weiß aussehen. Wohl, übel, häßlich, alt, jung, blaß aussehen. Du siehst recht sauer aus. Er sieht so verhungert aus, wie ein Goldmacher. Er sieht so fürchterlich nicht aus, als das Gerücht ihn macht. Es sieht nicht gar zu ordentlich in seinem Zimmer aus. Sauer sollte die Traube seyn? Sie sieht mir doch nicht darnach aus. Die Obersachsen, besonders Meißner, gebrauchen in dieser Bedeutung häufig das einfache sehen; sie sehen ja ganz verdrießlich, Gell. S. Sehen. (b) Figürlich, beschaffen seyn. Wie sahe es damahls in der Stadt aus? Da sieht es noch sehr windig aus, Less. Besonders mit den Präpositionen um und mit. Es siehet schlimm, gefährlich um ihn, oder mit ihm aus, welches sich so wohl auf den physischen, als bürgerlichen Zustand eines Menschen beziehen kann. Aber wie sieht es um die Ehre aus? Nur mit den Folgen sieht es sehr unsicher aus. Wie wird es nach unserm Tode mit dem Nachruhme aussehen? Gell. Auf gleiche Art wird auch der Infinitiv das Aussehen, substantive für die äußere Gestalt und Beschaffenheit gebraucht. Die Sache muß bald ein anderes Aussehen gewinnen. S. auch Aussicht.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 643-644.
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