Bekommen

[834] Bekommen, verb. irreg. neutr. (S. Kommen,) welches auf gedoppelte Art gebraucht wird.

I. Mit dem Hülfsworte haben, da es denn alle leidentliche Veränderungen eines Dinges bezeichnen kann, welche vermittelst eines Substantives ausgedruckt werden, ob es gleich nicht in allen Fällen üblich ist. Man gebraucht es, 1) eigentlich von solchen Sachen, die einem Dinge von außen widerfahren. Geld, Briefe bekommen. Er hat Befehl bekommen, abzureisen. Zeit, Gelegenheit, Ursache bekommen. Sie haben derbe Schläge bekommen. Er hat seinen Lohn, einen Dienst bekommen. Händel mit jemanden bekommen. Das Mädchen hat einen Mann, der Mann eine Frau bekommen. Große Geschenke von jemanden bekommen. Einen zum Freunde bekommen. Ich habe einen wahren Freund an ihm bekommen. Wir haben noch keine Antwort bekommen. Ich bekam zur Antwort, es sey niemand zu Hause. Hier ist nichts zu bekommen. Das Vieh hat sein Futter bekommen. Verdruß mit jemanden bekommen. Einen Verweis bekommen. Etwas zu Gesichte bekommen, gewahr werden. Ingleichen in einigen R.A. auch mit dem Infinitiv. Kann man nichts zu essen bekommen? Ich konnte ihn nicht zu sehen bekommen. Wenn ich ihn nur zu sehen bekomme. 2) Figürlich, auch von solchen Veränderungen, welche sich aus der Natur eines Dinges selbst entwickeln, sie mögen nun durch eine Ursache von außen veranlasset werden oder nicht. Die Bäume bekommen Laub, Wurzeln, Blüthen, Früchte. Eine Krankheit bekommen. Er hat das Fieber, die Schwindsucht, das Podagra u.s.f. bekommen. Ich habe Lust bekommen, zu ihm zu reisen. Die Thiere bekommen Haare, die Vögel Federn. Die Mauer hat ein Loch, das Bret einen Riß, das Faß ein Loch bekommen.

2. Mit dem Hülfsworte seyn. 1) Zum Nutzen oder Schaden gereichen, eigentlich nur in Beziehung auf die Gesundheit des Körpers. Die frische Luft will mir nicht recht bekommen. Diese Speise ist mir übel bekommen. Die Bewegung ist mir vortrefflich bekommen. Wohl bekomme es! ein gewöhnlicher Glückwunsch, so wohl bey dem Niesen, als Trinken. Figürlich wird dieses Wort oft auch im moralischen Sinne gebraucht. Diese Verwegenheit wird dir übel bekommen. Es hätte ihnen[834] schlecht bekommen sollen, wenn sie es mir nicht gestanden hätten. 2) Fortkommen, bekleiben, von Gewächsen. Die Pflanzen sind sehr gut bekommen. Die Bäume wollen hier nicht bekommen.

Anm. Ob man gleich gegen Wachters oft zu künstliche Ableitungen mehrmahls auf seiner Huth seyn muß, so scheinet er doch Beyfall zu verdienen, wenn er bekommen in der ersten Hauptbedeutung nicht von kommen, venire, sondern von einem alten Worte kam, welches eine Hand bedeutet haben soll, herleitet; wenn nur dieses kam, welches sich zur Zeit nur noch in dem Salischen Gesetze findet, völlig erweislich wäre. Was diese Muthmaßung, wenigstens in Absicht auf ein doppeltes Stammwort für bekommen, wahrscheinlich macht, ist, daß kommen in dieser Bedeutung mit dem Hülfsworte haben verbunden wird, da es in allen übrigen Bedeutungen und Zusammensetzungen das Wort seyn zu sich nimmt. S. auch Überkommen. Wenn man indessen dieses Wort durch beykommen erkläret, so lassen sich beyde Bedeutungen ziemlich ungezwungen daraus herleiten. Begegnen würde alsdann dessen erster eigentlicher Verstand seyn, der noch bey den Schwäbischen Dichtern vorkommt.


Nu fuogt es sich so von geschicht

Das inen luite bekamen,

Fabeln der Minnesinger. S. 120.


Do bekamen in zwen ander man,

Fabeln der Minnesinger. S. 121.


Do in die luit bekamen,

Fabeln der Minnesinger. S. 121.


So fern dieses Wort schaden oder nützen bedeutet, war es ehedem von einem weit größern Umfange, und wurde nicht bloß in Rücksicht auf den Bau des menschlichen Körpers, sondern in einem jeden andern Verhältnisse gebraucht. Daher kommt biqueman bey dem Ottfried so oft für sich schicken, nützlich, ersprießlich seyn, vor. S. Bequem. Zu eben derselben Zeit bedeutete dieses Wort aber auch so viel, wie das einfache kommen, doch so daß das Vorwort be- die Stelle des Vorwortes zu vertritt; z.B. biqueme uns thinaz richi, zu uns komme dein Reich, Ottfr. B. 2, Kap. 21. In Oberdeutschland bedeutet einem bekommen noch so viel, als einem begegnen. Bekommlich für bequem, und Bekomst für Genüge, sind gleichfalls Oberdeutsch. Doch gebrauchen auch die Niedersachsen Bikumst für ein bescheidenes Theil. In der ersten Hauptbedeutung aber ist ihnen dieses Wort größten Theils unbekannt, weil sie dafür ihr kriegen haben.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 834-835.
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