Besonnenheit, die

[916] Die Besonnenheit, plur. inus. von dem Participio besonnen, des irregulären Verbi besinnen, und zwar in dessen fünften Bedeutung. 1) Das Vermögen, sich seiner und anderer Dinge deutlich bewußt zu seyn; die Reflexion. Nicht jede Handlung der Seele ist unmittelbar eine Folge der Besinnung, jede aber ist eine Folge der Besonnenheit, Herder. 2) In engerer Bedeutung, das Vermögen, sich alle in einem gegenwärtigen Falle nothwendige Vorstellungen schnell zu erwecken, welches auch die Gegenwart des Geistes genannt wird.

Anm. Das Participium besonnen, von welchem dieses abgeleitet ist, ist als ein eigenes Adjectiv im Hochdeutschen ungewöhnlich, aber im Oberdeutschen ist es für verständig, vorsichtig, dem Geiste nach gegenwärtig, noch völlig gangbar. Nur ist es wider die Natur der Participien der vergangenen Zeit, wenn es bey einigen neuern Schriftstellern mit Besinnungskraft, mit Reflexion begabt, bedeuten soll: Der Mensch ist ein besonnenes Geschöpf, Herd. weil es, so wie der Gegensatz unbesonnen, sich nur auf einzelne Fälle beziehen kann. Das Substantiv die Besonnenheit aber, ist nicht allein alt, sondern auch völlig analogisch. Die Besunnenheit was der Genieß des Helden, Theuerd. Kap. 30; war des Helden Glück. Nur scheint es darum ein wenig unbequem, weil die eingeschränkte Bedeutung der entgegen gesetzten Unbesonnenheit sich gern mit einschleicht, daher der Ausdruck Besinnungskraft bequemer ist. Sulzer gebrauchte dafür Besinnlichkeit, welches aber um deß willen tadelhaft ist, weil besinnlich völlig ungewöhnlich ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 916.
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