Denken

[1446] Dênken, verb. irreg. act. et neutr. im letzten Falle mit haben. Imperf. ich dáchte; Conj. dchte; Mittelwort gedácht. 1. Eigentlich, Vorstellungen mit Bewußtseyn haben, und zwar, 1) absolute, in der weitesten Bedeutung. Ich bin oder existire, weil ich denke. Leblose Körper denken nicht, haben keine mit Bewußtseyn verknüpfte Vorstellungen. Ingleichen, in engerer Bedeutung, die Art und Weise des Denkens auszudrucken, wo dieses Zeitwort oft auch die Mittheilung seiner Gedanken an andere mit einschließet. Er denkt fein, gründlich, gelehrt, tief, seicht u.s.f. 2) In Rücksicht auf einen besondern Gegenstand. So wohl mit dem Vorworte an. Woran denken sie? Ich dachte eben an meinen Bruder. In welcher Wortfügung doch dieses Zeitwort am häufigsten die folgende Bedeutung des Erinnerns hat. Als auch mit der vierten Endung der Sache. Das läßt sich nicht denken, kann nicht gedacht werden, davon kann man sich keine[1446] Vorstellung machen. Was denken sie? Denke dir meinen Kummer, Dusch, stelle dir ihn vor. Herr, denke meinen Schmerz, Schleg. Was sollen wir uns bey diesem Worte denken? Less. Er konnte sich noch immer eine Ursache davon denken, wie sie seiner Eitelkeit am wenigsten auffiel. Als er sich das Heil der Erlöseten dachte, Klopst.


Auf einer Trommel saß der Held,

Und dachte seine Schlacht,

Gleim.


Und denk ich mich an deiner Seite,

Weiße.


Ingleichen mit einem ganzen Satze. Sie können leicht denken, daß mir alle Gelassenheit verging. Ich dachte bey mir selbst, daß u.s.f. ein sehr gewöhnlicher Pleonasmus. Die Wortfügung mit der zweyten Endung der Sache, ist im Hochdeutschen selten, im Oberdeutschen aber desto häufiger. Denke der Glückseligkeit, die wir genießen werden. Ist der Gegenstand, den man denkt, ein Ort, so bekommt derselbe auch wohl das Vorwort nach. Ich dachte eben nach Hause. Ich denke nach Berlin. In den gemeinen und vertraulichen Sprecharten gebraucht man dieses Zeitwort auch als ein Hülfsmittel, die Aufmerksamkeit zu erregen. Denken sie einmahl den verwünschten Streich, der mir begegnet ist! Können sie denken! Ingleichen, eine mit Hohn verbundene Verneinung, eine Verwunderung u.s.f. auszudrucken. Ich dachte, was es wäre! Ich dachte Wunder, wo sie wäre!


Ich deinen Schöps gesehn? Ich dachte, was dir fehlte!

Rost.


Wie, ließ er ihn ins Zuchthaus bringen? –

Ich dachte gar!

Gell.


2. Figürlich wird dieses Wort noch mit verschiedenen Nebenbegriffen gebraucht, welche die jetzt gedachte eigentliche Bedeutung theils enger einschränken, theils noch mehr erweitern.

1) Von dem Bewußtseyn mit einem Urtheile. (a) Für glauben, dafür halten. Du wirst denken, ich erzählete dir ein Mährchen. Ich kann es leicht denken. Ich werde aber nicht gedacht haben, daß eine so schöne Person nicht reden kann, Gell. So? Dächten sie nicht, daß er sterben sollte? Wollte der Himmel, sie dächten wahr! ebend. Hätte ich doch nicht gedacht, daß du so verliebt wärest! ebend. Ich dächte nicht, daß ich eben so schön wäre, ebend. Was denkt man von der Sache?


Ich denk, ich bracht ihn gar zu Thränen,

Wiel.


(b) Für vermuthen. Ich habe es bald gedacht, daß es so kommen würde. Da es denn im gemeinen Leben, besonders im Oberdeutschen, sehr häufig als ein Reciprocum gebraucht wird. Ich dachte mirs bald, habe mirs bald gedacht, daß es so kommen würde. (c) Urtheilen. Was denken die Leute von mir? Was wird man davon denken? Lernen sie künftig besser von mir denken. Man denkt nichts Gutes von der Sache. (d) Für dienlich, für rathsam halten. Ich dächte, ich machte kein Geheimniß mehr aus der Sache. Dächten sie nicht auch, daß es zu theuer ist? Gut, wie sie denken.

2)Von der Vorstellung einer vergangenen oder abwesenden Sache, für erinnern. Er kann sehr lange denken. Große Herren denken lange. Wird die Sache ausgedruckt, so bekommt dieselbe das Vorwort an. Denken sie fleißig an mich. Mit Vergnügen denke ich an die vergangenen Zeiten. An die vorigen Zeiten zurück denken. Daran will ich denken. Ich wollte wünschen, daß sie an die Fabel von dem Knaben dächten, Gell. Er wird es läugnen, denken sie an mich, erinnern sie sich, daß ich es ihnen gesagt habe. In vielen Fällen schleicht sich hier der Nebenbegriff der thätigen Erweisung des Andenkens mit ein. Herr, denke an mich, wenn du in dein[1447] Reich kommst, beweise dich mir gütig, wohlthätig. Denke an die Ermahnungen, die ich dir gegeben habe, befolge sie. Die Wortfügung mit der zweyten Person ist im Hochdeutschen auch hier größten Theils veraltet. Im Oberdeutschen ist sie desto häufiger. Ich denke noch der vorigen Zeiten. Denke meiner im Besten.


Was sind wir, daß du unser denkst!

Cron.


3) In das Andenken bringen, erwähnen, mit dem Vorworte an. Denke mir doch nicht mehr an den Menschen, sprich nicht mehr von ihm. O warum denkst du mehr an ihn! Gell. Weil er es versehen, und wider sein Versprechen an die Liebe gedacht hatte, ebend. S. Gedenken, welches in dieser Bedeutung gleichfalls gebraucht wird.

4) Nachdenken, überlegen. (a) Eine Vorstellung durch Nachsinnen zu erwecken suchen, mit dem Vorworte auf. Wir müssen auf Mittel denken, den Widerwärtigkeiten des Schicksals Trotz zu biethen. Er denkt auf einen neuen Streich von seiner Art. Wirst du niemahls darauf denken, mich glücklich zu machen? Jetzt muß ich nur darauf denken, daß ich mich recht schön anputze, Weiße.


Die Antwort fiel mir schwer,

Ich dachte hin und her,

Less.


Ingleichen in engerer Bedeutung, auf seinen Nutzen, auf seinen Vortheil denken. Er denkt bloß auf sich. (b) Sich die Folgen einer Sache als gegenwärtig vorstellen. Ein Unbesonnener sieht nur das Gegenwärtige an, aber ein Kluger denkt weiter. Man sollte schwören, sie dächte nicht weiter, als sie spricht. (c) Den Grund der Dinge untersuchen, absolute. Ein denkender Kopf, der über alles nachdenkt. Er denkt sehr tief, sehr gründlich.

5) Sich eine künftige Sache als wahrscheinlich vorstellen, für hoffen. Ich denke, mit ihm sehr vergnügt zu leben. Ich denke, es soll so weit nicht kommen. Ich dachte, die Sache begreiflicher zu machen, wenn ich u.s.f.

6) Sich eine Absicht vorstellen, Willens seyn, im gemeinen und vertraulichen Umgange. Ich denke, zu dir zu kommen. Wo denken sie hin? wo wollen sie hin? ingleichen figürlich, in was für eine Verlegenheit, in was für ein Unglück stürzen sie sich! Wo denkst du hinaus? was bist du Willens? Er denkt noch hoch hinaus, er hat stolze Entwürfe in seinem Kopfe. Endlich wird dieses Wort,

7) Auch absolute, mit Verschiedenen Nebenwörtern von dem ganzen Umfange nicht nur der Art zu denken, sondern auch zu handeln gebraucht. Er denkt edel, groß, schlecht, gut, niederträchtig u.s.f. So edel denkt mein Freund.


Der edler denkt als mancher Fürst gedacht,

Haged.


Ingleichen, von dem Beweise dieser Art zu denken und zu handeln in einzelnen Fällen. Das war sehr schlecht gedacht, sagt man von einer einzelnen schlechten Handlung, so fern sie ein Merkmahl eines schlechten Herzens ist.

Anm. Denken, Nieders. gleichfalls denken; bey dem Kero denchen, bey dem Ottfried thenken, bey dem Ulphilas thagkjan, im Angels. thencan, dincan, im Engl. to think, im Schwed. taenka, hat sein Imperfectum und Particip. Passiv. von einem andern aber doch verwandten Verbo entlehnet, welches dachen, oder dachten hieß, und noch bey dem Ottfried vorkommt: bigonda thahton, er fing an zu denken, B. 3, Kap. 14, V. 31. Um deßwillen ist es allerdings ein irreguläres Verbum, weil es aus zwey, der Form nach verschiedenen Zeitwörtern zusammen gesetzt ist. Denn daß es im Participio gedacht und nicht gedachen hat, beweiset weiter nichts, als daß dachten ein reguläres Verbum war. Im Oberdeutschen, wenigstens in einigen Provinzen,[1448] gehet denken wirklich regulär, Imperf. ich denkte, Participium gedenkt. Die Oberdeutsche Wortfügung, ich denke mir, d.i. ich denke bey mir, ist schon alt; er thahta imo, er dachte bey sich, Ottfr. imo to thas thenkentemo, da er das bey sich dachte, Tatian. Eigentlich ist dieses Verbum ein wirkliches Activum, ob es gleich in der ersten und zweyten Person gar nicht, in der dritten aber nur selten passive gebraucht wird. Daß es, wenn es absolute stehet, die Gestalt eines Neutrius hat, das hat es mit allen Verbis gemein.

Da alle Benennungen solcher Dinge, welche nicht unmittelbar in die Sinne fallen, eine Figur enthalten, und von körperlichen Dingen entlehnet sind, so gilt dieses auch von dem Worte denken. Aber was hier für eine Figur verborgen lieget, hat, so viel ich weiß, noch niemand untersucht; und doch ist es wichtig, den Gang des menschlichen Verstandes auch in diesem Stücke in den Jahren seiner Kindheit wissen. Die Schweden haben noch ein Wort, welches danka heißt, und herum schweifen, herum irren bedeutet, welches Ihre für das Frequentativum von dem Griech. δονειν, δινειν, hin und her bewegen, hält. Wenigstens gibt dieses Wort ein Bild für die Kraft zu denken, welches der Denkungsart der frühen einfältigen Zeiten völlig angemessen ist. Denken und dachen oder dachten sind bloß der mehr oder weniger nieselnden Mundart nach verschieden. Das erste scheinet wegen der Endsylbe ken das Frequentativum oder Intensivum des letztern zu seyn. Ottfried gebraucht Thahti noch für einen Gedanken. S. Däuchten, Dichten, Dünken, ingleichen Gedanke, Gedenken.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1446-1449.
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