Dringen

[1553] Dringen, verb. irreg. Ich dringe, du dringest, er dringet; Imperf. ich drang oder drung; Conj. ich dränge oder drünge; Mittelwort gedrungen; Imperat. dringe. Es ist in doppelter Gattung üblich.

[1553] I. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert, durch Drücken von der Seite einen Raum einzunehmen suchen. 1. Eigentlich. Das Volk drang in den Saal. Alles dringet herzu. Obgleich diese und andere R.A. nichts Tadelhaftes an sich haben, so ist doch in dieser eigentlichen Bedeutung das Reciprocum sich drängen im Hochdeutschen beynahe üblicher. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung, mit Überwindung eines Widerstandes an und in einen Ort gelangen. Die Feinde sind haufenweise in die Stadt gedrungen. Er drang mit gewaffneter Hand durch das Volk. Das Wasser dringt durch das Dach. Die Fluth dringt in die Gassen.


Wohin kann nicht ein goldner Regen dringen?

Wiel.


Das Gift drang ihm stark an das Herz. Seine Klagen drungen in das Herz. Gell. Es dringt mir durch Mark und Bein, verursacht mir sehr lebhafte Empfindungen.


Der Arzt, dem dieses Wort durch Mark und Beine dringet,

Can.


Der Frevler, sollt er wohl in mein Geheimniß dringen.

Weiße.


II. Als ein Activum, welches folglich das Hülfswort haben erfordert. 1. In der weitesten Bedeutung, für drücken, in einen engern Raum bringen. In dieser Bedeutung sagt man nur im gemeinen Leben, gedrungen voll, für gedrängt, gepfropft voll. 2. In engerer Bedeutung, von der Seite drücken, von lebendigen Geschöpfen, wie drängen. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen nicht, wohl aber im Oberdeutschen üblich. Thrank in, drängte ihn, Ottfr. Thih thringit man, dich dränget jemand, ebend.


Zwar er drang mich auf dem Wege,

Daß ich fast kein Glied mehr rege,

Opitz Ps. 102.


Der Sturm gedrungner Wellen,

Hall.


für gedrängter. 3. Figürlich. 1) Etwas mit einer Art von Gewalt zu erhalten suchen, als ein Reciprocum. Sich in ein Amt dringen. Er dringt sich überall zu. Wo doch im Hochdeutschen sich drängen beynahe üblicher ist. 2) Durch moralische Bewegungsgründe zu etwas antreiben. So wohl absolute. Die Zeit dringet mich. Die Liebe Christi dringet uns also, 2 Cor. 5, 14. Da aber Silas – kamen, drang Paulum der Geist, Apostelg. 18, 5. Als auch mit Benennung des Gegenstandes. Die Noth hat mich dazu gedrungen. Daher, eine dringende Noth, welche keinen Aufschub leidet. Das würde ich auch in der dringendsten Noth nicht thun. Und die Egypter drungen das Volk, daß sie es eilend aus dem Lande trieben, 2 Mos. 12, 33. In jemanden dringen, ihn durch Worte und Bewegungsgründe in Verlegenheit bringen. Dringen sie nicht so in mich. Sie dringt in ihren Vater, daß er die Verlobung beschleunigen soll, Gell. Auf etwas dringen, es durch Bewegungsgründe, auch wohl befehlsweise, zu erhalten suchen. Der Gegentheil drang auf den Beweis. Darauf drang er am meisten. Er dringt darauf, daß du gehorchen sollst.

Anm. Dringen lautet im Niedersächsischen gleichfalls dringen, bey dem Ottfried thringan. Freylich wäre es bequem, wenn drängen und dringen so unterschieden wären, wie tränken und trinken, senken und sinken u.s.f. das ist, wenn jenes das Activum, dieses aber bloß das Neutrum wäre. Allein aus den oben angeführten Beyspielen erhellet schon, daß dringen eben so oft active gebraucht wird als drängen. Der ganze Unterschied scheint daher in den Mundarten zu liegen. Im Hochdeutschen findet noch der Unterschied Statt, daß dringen, wenn es ein Activum ist, mehr figürlich, drängen aber mehr eigentlich gebraucht wird. Was die Conjugation betrifft, so sagt man im Imperf. eben so oft drung als drang; indessen scheinet doch die letztere Form[1554] bey den Neuern die Oberhand zu bekommen. S. Drücken, welches von diesem Worte das Intensivum ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1553-1555.
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