Ehre (2), die

[1649] 2. Die Ehre, plur. die -n. In der weitesten Bedeutung, das vortheilhafte Urtheil anderer von dem Guten, welches wir an[1649] uns haben, und die thätige Erweisung dieses Urtheiles. Allein in dem gemeinen Sprachgebrauche findet dieser Begriff oft nur unter verschiedenen Einschränkungen und mit mancherley Nebenbegriffen Statt. Ehre bedeutet daselbst,

1. Vorzug im Äußern; ohne Plural. 1) Vorzug in Ansehung der Ordnung, welches die erste und ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes zu seyn scheinet. Man muß dem Frauenzimmer die Ehre lassen, d.i. voran zu gehen, eine Handlung zuerst zu verrichten u.s.f. Ich werde nicht voran gehen, diese Ehre gebühret ihnen. Ehre dem Ehre gebühret, im gemeinen Leben. Häbe du die Ehre vor mir, und stimme mir, 2 Mos. 8, 9. 2) Ein jeder Vorzug, so fern er von andern thätig erkannt wird. Ich halte es für die größte Ehre, in ihrer Gesellschaft zu seyn. Ich schätze es mir für eine Ehre. Ich habe die Ehre, ihnen zu sagen u.s.f. Diese Ehre kommt ihm nicht zu. Er macht mir Ehre. Ich hoffe Ehre damit einzulegen, d.i. zu erwerben, S. Einlegen. Wenn ich sie in meinem Hause haben dürfte, ich wollte Ehre an ihr erziehen, ich wollte sie so erziehen, daß ich Ehre davon haben würde, Gell. Die Ehre Gottes, dessen unendlicher Vorzug vor allen Geschöpfen. Gott die Ehre geben, diesen Vorzug erkennen, und demselben gemäß handeln, Gottes Ordnung die höchste Richtschnur seines Willens seyn lassen. Gebt unserm Gott allein die Ehre, 5 Mos. 32, 5. Allein die Ausdrücke, der Gott der Ehren, der König der Ehren, d.i. der Gott, der König, dem unendliche Ehre gebühret, sind außer der biblischen Schreibart ungewöhnlich. 3) Äußeres Ansehen. Gott gibt dem Menschen Ehre. Er lebt hier in großer Ehre. Wieder zu Ehren kommen. Er hat ein Vermögen, wovon er mit Ehren leben kann. Die Ausdrücke, zu Ehren setzen, zu Ehren machen, Ehre, Ansehen ertheilen, sind biblisch und im Hochdeutschen ungewöhnlich.

2. Diesen Vorzug, dieses Ansehen verursachend. 1) Würde, ein obrigkeitliches Amt, dessen Besitz Ehre und Ansehen gewähret, eine Ehrenstelle; in welcher Bedeutung auch zuweilen der Plural gebraucht wird. Der König hat ihn zu großen Ehren erhoben. Zu großen Ehren kommen.


Denk an den Tod, wenn Ruhm und Ehren,

Wenn deine Schätze sich vermehren,

Opitz.


Doch diese Bedeutung fängt an im Hochdeutschen zu veralten. 2) Hochachtung, Hochschätzung, und deren thätige Erweisung. Eine Person, eine Sache in Ehren halten, im gemeinen Leben. Ich habe es ihm zu Ehren gethan, aus Achtung gegen ihn, und diese Achtung zu beweisen. Einem alle Ehre anthun, einem viele Ehre erweisen. Einem göttliche Ehre erweisen. Einem die letzte Ehre erweisen, ihn zu Grabe begleiten. Ich konnte es ihm Ehren halber nicht abschlagen, ich mußte Ehren halber mit gehen, im gemeinen Leben. Ihr Wort in Ehren, in der Höflichkeit des großen Haufens, einen Widerspruch zu begleiten, unbeschadet der Achtung, die ich ihren Worten schuldig bin. Besonders, 3) allgemeine Hochschätzung, welche auf dem allgemeinen Zeugnisse anderer beruhet, daß wir vorzügliche Güte, Eigenschaften und Geschicklichkeiten besitzen, da denn Ehre ein höherer Grad des guten Nahmens ist. In großer Ehre stehen oder leben. Nach Ehre trachten. Er hält auf Ehre, er schätzet die allgemeine Hochachtung anderer hoch, und sucht sie zu erhalten.


Gleich wird sichs offenbaren,

Wer unter euch den Kranz mit Ehren trägt,

Gell.


so daß er sich dadurch allgemeine Hochachtung erwirbt, oder selbige wenigstens nicht vermindert oder verlieret. 4) Guter Nahme, oder das Zeugniß anderer, daß wir die in der bürgerlichen Gesellschaft eingeführten Obliegenheiten erfüllen; ein geringerer[1650] Grad der vorigen Ehre. Ehre verloren, alles verloren. Ihm seine Ehre abschneiden, im gemeinen Leben; daher das niedrige ein Ehrenabschneider. Seine Ehre retten, vertheidigen. Bey Ehren bleiben, seinen guten Nahmen erhalten.


Der Vater, der kein Mittel sah,

Bey Ehren in der Stadt zu bleiben,

Gell.


Wer will den bey Ehren erhalten, der sein Amt selbst unehret: Sir. 10, 32. Um Ehre und Reputation kommen. Es betrifft deine Ehre. Bey meiner Ehre, eine im gemeinen Leben übliche Betheurung. 5) Reinigkeit der Sitten, sittlicher Wohlstand. Ein jeder wisse sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren, 1 Thess. 4, 4. Ein Kuß in Ehren, im gemeinen Leben. Wir waren lustig, aber in allen Ehren, auch im gemeinen Leben. Mit Ehren zu melden, eine im gemeinen Leben übliche Formel, solche Ausdrücke zu begleiten, welche den angenommenen gesellschaftlichen Wohlstand beleidigen würden. S. Ehrbar 2. In engerer Bedeutung, jungfräuliche Unschuld. Einer Person ihre Ehre rauben. Sie hat ihre Ehre verloren.

3. Die Wirkung dieses Vorzuges, vortheilhaften Urtheiles; welche Bedeutung doch mit einigen der vorigen zusammen fließet. 1) Äußerung dieses Urtheiles durch Worte. Eines in allen Ehren gedenken, mit rühmlicher Erwähnung. 2) Worte, Ausdrücke, welche ein scheinbares Merkmahl der Hochachtung sind, aber nicht so gemeinet werden; in welcher Bedeutung Ehrenwort, Ehrenbrief, im gemeinen Leben für Compliment, Complimentbrief üblich sind. 3) Wohlthaten, so fern sie als ein Merkmahl der Achtung anzusehen sind. Einem alle Ehre und Liebe erweisen. Im Niedersächsischen ist diese Bedeutung von einem noch weitern Umfange, indem ehrenthätig, und Ehrenthätigkeit daselbst gutthätig, Gutthtätigkeit, freygebig bedeuten; welchen Verstand auch ehrgebig, Ehrgebigkeit bey dem Pictorius haben. S. auch Ehrschatz, Ehrung, und Verehren. Dahin gehöret auch Col. 2, 23: dadurch, daß sie des Leibes nicht verschonen, und dem Fleisch nicht seine Ehre thun zu seiner Nothdurft, d.i. ihm nicht die gebührende Pflege erweisen.

4. Empfindung des Werthes der Ehre, und des guten Nahmens, in der im gemeinen Leben üblichen Redensart: er hat Ehre im Leibe.

5. Eine Person oder Sache, die andern Ehre macht. Er ist die Ehre unserer Zeiten. Das Weib ist des Mannes Ehre. Er ist seines Hauses Ehre. Dahin gehöret auch die sonst ganz ungewöhnliche Bedeutung, welche dieses Wort einige Mahl in der Deutschen Bibel hat, wo es für Zunge stehet, dem edelsten Werkzeuge des menschlichen Körpers. Wache auf, meine Ehre, wache auf Psalter und Harse, Ps. 57, 9; nach Michaelis Übersetzung: Wache auf, mein besserer Theil, Cither und Harfe, wach auf! – Darum freuet sich mein Herz, und meine Ehre ist fröhlich, Ps. 16, 9; Michaelis: Darum freuet sich mein Herz, und der edlere Theil von mir jauchzet. – Auf daß dir lobsinge meine Ehre, Ps. 30, 13; Michaelis: Damit mein besserer Theil dir Lieder singe. So auch Ps. 108, 2.

Anm. 1. In vielen zum Theil oben angeführten Arten des Ausdruckes ist dieses Wort im Genitive und Dative des Singulars noch in der alten Oberdeutschen Declination der Ehren für der Ehre üblich. Doch findet diese Declination am häufigsten ohne Artikel, seltener mit demselben Statt. Es hat dieses das Wort Ehre mit Erde, Hölle, Gnade, Grube, Wiege, Frau, Seele und vielen andern gemein, welche in manchen andern Redensarten auch im Hochdeutschen immer noch in der alten Oberdeutschen Form abgeändert werden. Wenn dieses Wort nicht[1651] Ehrenstellen oder Ehrenbezeigungen ausdruckt, so ist es eigentlich keines Plurals fähig. Allein, es wird doch außer diesen Bedeutungen so wohl im gemeinen Leben, als bey manchen Dichtern häufig in der mehrern Zahl gebraucht. Eines in allen Ehren gedenken. Laßt seinen Ehren ihren Lauf, Opitz Ps. 66, 1; wo es Luther gibt: lobsinget zu Ehren seinem Nahmen. In der edlern Schreibart wird man sich dieses Plurals gern enthalten. Ehre finden, einem Ehre thun, und andere biblische Ausdrücke mehr sind im Hochdeutschen ungewöhnlich.

Anm. 2. Ehre, Nieders. Eere, lautet in den meisten heutigen Bedeutungen schon bey dem Kero Heri, Era, bey dem Ottfried Era und Ero, im Angels. Are, im Schwed. Aera, im Dän. Äre, im Longob. Ari. Wachter leitet es sehr gezwungen von ähren, colere, das Land bauen, Ihre aber von dem alten ar, her, hoch, her. Allein es stammet wohl zunächst von dem Umstandsworte der Zeit und des Ortes Er, eher, ab, wie sich aus der großen Übereinstimmung beyder Wörter bey dem Kero und Ottfried leicht zeigen läßt. Ar, her, hoch, aber, und ehe, eher, sind vielleicht näher verwandt, als Ihre glaubte. S. Hehr.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1649-1652.
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