En

[1803] En, eine Endsylbe vieler Deutschen Wörter, welche aber von verschiedener Bedeutung, und vermuthlich auch verschiedenem Ursprunge ist.

1. Bey den Verbis ist sie, 1) die gewöhnliche Endung des Infinitives der heutigen Hochdeutschen Zeitwörter, welche darin mit den Griechischen Zeitwörtern auf -ειν überein kommen. Auch die Zeitwörter der Persischen, der Krimmisch-Tartarischen, und anderer, dem Ansehen nach sehr entfernter Sprachen endigen sich auf en, den, und ten. Dieses Deutsche en der Infinitive ist sich indessen nicht zu allen Zeiten gleich geblieben, und noch jetzt wird es von manchen, besonders rauhern Mundarten im Deutschen sehr verschieden ausgesprochen. Bey den ältesten Alemannen, bey den Pontischen Gothen und bey den Angelsachsen lautete es an; bey den Alemannen der mittlern Zeiten und noch in einigen Schwäbischen Mundarten ent und und, sattend, sättigen, wohnund, wohnen, frewund, freuen, werdent, werden, u.s.f. Andere gemeine Mundarten, wie die Thüringische, Fränkische, Schlesische, Pfälzische u.s.f. verbeißen das n, und verwandeln das e wohl gar in ein a, wie esse und essa, für essen, gehe, geha, für gehen, lebe, leba, leben u.s.f. Auf ähnliche Art endigen sich noch jetzt die Zeitwörter der Schweden und Isländer auf ein a, und der Dänen auf ein e; flya, fliehen, flyta, fließen, gelda, gelten, ende, enden, tinge, dingen u.s.f. Auch die Infinitive in der alten Bretagnischen Sprache endigen sich auf ein a, anderer zu geschweigen. 2) Aber nicht allein der Infinitiv, sondern auch die erste und dritte Person des Plurals nehmen diese Endung an; wir haben, sie haben. Die mittlere Alemannische Mundart hatte auch hier ein ent; die sich ergebent, die sich encziehent. Diese Form näherte sich, wenigstens in der dritten Person, der Lateinischen Sprache; habent, amant, legunt. Einige Niedersächsische Mundarten der vorigen Jahrhunderte verheißen das n ganz, wy bekennet unde betüget, wir bekennen und bezeugen; und noch jetzt spricht man in einigen Gegenden Niedersachsens so.

2. Was die Substantive betrifft, so endigen sich nicht nur viele derselben auf ein en, sondern andere, die diese Sylbe in der ersten Endung des Singulars nicht haben, nehmen solche in den folgenden Endungen an. Doch dabey wollen wir uns hier nicht aufhalten.

3. Wichtiger ist der Gebrauch dieser Sylbe, aus Substantiven Adverbia und Adjective zu bilden, da sie denn die Materie andeutet, woraus eine Sache bestehet. Sie wird alsdann nur an das Hauptwort angehänget, doch so, daß, wenn sich in der nächst vorher gehenden Sylbe ein a, o oder u befindet, diese gemeiniglich in ä, ö und ü verwandelt werden. Hären, von Haar, messingen, von Messing, leinen, von Lein oder Leinwand, ahörnen oder ahornen, zwillichen, hörnen, von Horn, flächsen, hänfen, golden, ehedem gülden, pergamenten, tuchen u.s.f. Wenn sich das Hauptwort bereits auf ein e endiget, so wird Ein e weggeworfen; wie in eichen für eicheen, fichten, büchen, irden, seiden, tännen, wöllen u.s.f. Auch fällt das e der Endsylbe weg, wenn das Hauptwort am Ende ein r hat; kiefern, küpfern, silbern, ledern, alabastern. Die alten und mittlern Oberdeutschen machten diese Beywörter auf in und ein, welche Form in Oberdeutschland noch jetzt hin und wieder angetroffen wird; güldin, silberin, hurnein, hänfin, fichtin, seidin u.s.f. Auf eine sehr übereinstimmige Art bildeten die Lateiner dergleichen Beywörter vermittelst der Endung inus, asininus, caninus, bovinus, faginus, figulinus, faeminius u.s.f. S. auch -enzen. In andern Wörtern ist dafür die Sylbe ern üblich, besonders im Hochdeutschen; hölzern, ströhern, drähtern, eisern, fleischern, bleyern, zinnern, knöchern, beinern,[1803] steinern, wächsern, gläsern u.s.f. Die Oberdeutschen haben einige dieser Beywörter auch, viele derselben aber rechnen sie den Obersachsen als einen Fehler an, und sagen dafür wächsen, beinen, steinen, knöchen u.s.f. Von dieser Endsylbe ern soll an ihrem Orte noch etwas gesagt werden. Hier ist noch zu untersuchen, was die Sylbe en an solchen Beywörtern eigentlich bedeutet. Ein leerer Schall ist sie gewiß nicht. Hr. Rammler hält sie für das Vorwort in. Ein Recensent in der neuen Hamburger Zeitung läugnete solches, und behauptete, dergleichen Wörter würden in der Deutschen Sprache Monstra seyn. Und doch sind diese Monstra so selten eben nicht. Wir haben wenigstens viele Partikeln, in welchen die Endsylbe en unläugbar aus dem Vorworte an oder in entstanden ist, welche in dieser Zusammensetzung terminum a quo, und in weiterer Bedeutung einen Ort überhaupt bedeutet. Dergleichen sind oben, Schwed. ofwan, Isländ. ofan, hinnen, Schwed. hädan, Isländ. hiedan, dannen, Schwed. thädan, nieden, Schwed. nedan, unten, ferren, oder nach der neuern Mundart fern, Schwed. fiärran, außen, innen u.s.f. wohin auch die Wörter Norden, Osten, Süden, Westen gehören. Sollte denn nun dieses Vorwort, nach einer gewiß nicht monströsen Figur, an den Hauptwörtern nicht auch materiam ex qua bedeuten können, zumahl wenn man das Vorwort an in der noch üblichen Bedeutung der Ähnlichkeit nimmt? S. Ähnlich, An, Anm. 6. und -enzen. Doch bey dem hohen Alterthume dieser Endung bleibt dieses freylich nur eine Muthmaßung. Die Comparative und Superlative werden von diesen Beywörtern wenig gebraucht, weil die Sache selbst sie unnöthig macht. Ganz ungewöhnlich sind sie aber doch nicht, zumahl in figürlicher Bedeutung. Die eisernste Stirn. Das ehernste Herz. Der hölzernste (unempfindlichste) Mensch.

4. Endlich ist auch des alten noch im Oberdeutschen üblichen Gebrauches dieser Sylbe zu gedenken, da sie den Beywörtern auf lich angehänget wird, Adverbia daraus zu bilden; bittlichen, für bittlich, willkührlichen, endlichen, jämmerlichen, wirklichen, schriftlichen, gänzlichen u.s.f. Ja man findet sie häufig an andern Nebenwörtern, wenn sie gleich nicht als Beywörter üblich sind; abermahlen, jedesmahlen, sintemahlen, alldieweilen, gleichwohlen, gestalten, warummen u.s.f. Dieser Anhang, der bloß auf Rechnung der Alemannischen Weitschweifigkeit zu schreiben ist, ist den Hochdeutschen fremd und anstößig, ungeachtet einige derselben ihn auch in indessen, sonsten und andern Wörtern aufgenommen haben.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1803-1804.
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