Gerecht

[579] Gerêcht, -er, -este, adj. et adv. welches das mit der Vorsylbe ge verlängerte Wort recht ist, und so wie dieses eigentlich gerade bedeutet, in welchem Verstande es auch noch zuweilen im Forstwesen vorkommt, wo ein gerechter Baum, ein gerade gewachsener Baum ist, zumahl, wenn er sich zugleich gerade spalten lässet; S. Gerade Anm. Allein am häufigsten kommt es im Hochdeutschen doch in folgenden figürlichen Bedeutungen vor.

1. Dem Objecte, dem Gegenstande gemäß. 1) Dem Maße nach, wofür auch recht üblich ist. Das Kleid ist mir gerecht. Die Schuhe sind mir nicht gerecht. Einem ein Kleid gerecht machen, in Baiern, es gerechten oder gerechteln. Der Stöpsel ist gerecht, passet auf die Flasche. In alle Sättel gerecht[579] seyn, figürlich, sich in alles zu schicken wissen. 2) Den Einsichten, der Erfahrung nach; am häufigsten im Jagdwesen, wo ein Jäger holzgerecht, forstgerecht, gewehrgerecht, hirschgerecht, hundegerecht u.s.f. heißt, wenn er die gehörigen Kenntnisse von allen diesen Gegenständen hat. 3) * Den nöthigen Umständen und Fähigkeiten nach, für bereit; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Sich zur Reise gerecht machen, im Theuerd. Im Hochdeutschen sagt man dafür sich zurecht machen.

2. Der Neigung, dem Willen gemäß; doch vielleicht nur allein bey den Jägern, wo die Fährte dem Hunde gerecht ist, wenn er sie begierig annimmt. Im gemeinen Leben der Hochdeutschen ist dafür das einfache recht üblicher.

3. Der Vollkommenheit gemäß. 1) Gerechte Waare, echte, im Gegensatze der unechten oder falschen. 2) Im sittlichen und höchsten Verstande heißt Gott gerecht, so fern sein Wille die vollkommenste Richtung hat; in welchem Verstande er auch heilig genannt wird. S. Gerechtigkeit. Der Herr ist gerecht, ich aber und mein Volk sind Gottlose, 2 Mos. 9, 27. Auch verhältnißmäßig von Menschen, in der Deutschen Bibel, die möglichste sittliche Vollkommenheit habend. Willt du denn ein gerecht Volk erwürgen? 1 Mos. 20, 4. Was gerecht ist, dem denket nach, Phil. 4, 8. Wie mag ein Mensch gerecht seyn vor Gott? Hiob 25, 4. Wo auch das Hauptwort ein Gerechter von einem solchen sittlich vollkommenen Menschen vorkommt. S. die folgende 5te Bedeutung.

4. Dem Rechte, der Befugniß gemäß; rechtmäßig. Gerechte Klage über etwas führen, wozu man Grund und Recht hat. Meine Klagen sind gerecht. Gerechte Ansprüche auf etwas haben. Eine gerechte Sache haben. Ich fühle darüber den gerechtesten Verdruß. Eine gerechte Belohnung. Neue Hindernisse setzen sich unsern gerechten Wünschen entgegen, Gell. Die gerechten Gerichte Gottes.

5. Den Pflichten, den Obliegenheiten gemäß. 1) Den Regeln der Kunst gemäß; doch nur in einigen einzelnen Fällen, besonders in Zusammensetzungen. S. Schulgerecht. Noch mehr und am häufigsten, 2) im sittlichen Verstande, im Gegensatze dessen, was ungerecht ist; wo dieses Wort wieder in einem verschiedenen Umfange der Bedeutung gebraucht wird. (a) In der weitesten Bedeutung, so wohl objective, allen Obliegenheiten, zu welchen man verpflichtet ist, gemäß, als subjective, die Fertigkeit besitzend, sein ganzes Verhalten rechtmäßig einzurichten, oder alle seine Pflichten zu erfüllen. Gerecht gegen Gott, gegen sich selbst seyn. In diesem Verstande wird es sehr häufig in der Deutschen Bibel gebraucht, wo auch solche Personen, welche sich der Beobachtung aller ihrer sittlichen Pflichten auf das möglichste befleißigen, Gerechte genannt werden. (b) In einer etwas engern Bedeutung heißt in der Deutschen Bibel und dem theologischen Lehrbegriffe, gerecht werden, in dem göttlichen Gerichte für gerecht in der vorigen Bedeutung erkläret, d.i. von der Schuld und Strafe der Sünde befreyet werden. Gerecht werden durch den Glauben. Daher, ein Gerechter, der auf solche Art für gerecht erkläret worden. S. Rechtfertigen. (c) In noch engerer Bedeutung, den Pflichten gegen andere gemäß, mit Einschließung der Billigkeit, oder der unvollkommnen Pflichten; und subjective, die Fertigkeit besitzend, diese Pflichten zu erfüllen. (d) In der engsten Bedeutung, dem strengen Rechte gegen andere, den durch ein Gesetz ausdrücklich bestimmten Pflichten gemäß, und die Fertigkeit besitzend, diesen Pflichten gemäß zu handeln. (1) Unter gleichen Personen, da denn alles gerecht ist, wodurch einem jeden das Seine gelassen und versichert wird. (2) Unter ungleichen Personen, wo besonders Höhere gerecht heißen, wenn sie ihr Mißfallen an dem unrechtmäßigen und ihr[580] Wohlgefallen an dem rechtmäßigen Verhalten der ihnen unterworfenen Personen auf eine thätige Art, ohne alle Nebenabsichten an den Tag legen. Ein gerechter Richter, ein gerechtes Urtheil. Im höchsten Verstande ist auch Gott gerecht.

Anm. Noch bey dem Ottfried heißen die Gerechten Rehtono, aber schon Notker gebraucht greht für rectus. S. Recht.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 579-581.
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