Haar, das

[867] Das Haar, des -es, plur. die -e, Diminut. das Härchen, Oberd. Härlein, des -s, plur. ut nom. sing. 1. In der weitesten Bedeutung, ein jedes zartes Zäserchen, in welcher es nur noch in einigen Fällen üblich ist. Ottfried nennet die Nadeln oder Tangeln der Fichten Har. In einigen Oberdeutschen Gegenden, z.B. in Österreich und Baiern, wird noch der Flachs Haar genannt, in welcher Bedeutung schon in der Monseeischen[867] Glosse Hara vorkommt. Dahin gehöret auch das Schonische Hör, Flachs, welches Ihre nicht zu erklären weiß. Auch die einzelnen Zäserchen der Wolle und Seide werden häufig Haare genannt. Ein Tuch aus den Haaren rauhen, bey den Tuchbereitern, das gewalkte Tuch mit der Strohkarte oder Streiche wieder rauch machen. Das Tuch aus den Haaren scheren, eben daselbst, es das erste Mahl oder aus dem Gröbsten scheren. Das Tuch aus den Haaren ziehen, eben daselbst, die im Walken abgegangenen Haare abstreichen. Ein Tuch zu halben Haaren scheren, die Haare nur halb abscheren. Eben dieselben pflegen auch die linke Seite eines Tuches Haar, so wie die rechte Grund zu nennen. Ein Faden roher Seide, welcher über sich selbst gedrehet ist, wird in den Seiden-Manufacturen ein Haar, oder absolute Haar genannt; S. Haarseide.

2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, die zarten röhrförmigen Fasen, womit die Haut so wohl mancher Thiere, als auch der Menschen an gewissen Theilen des Leibes bekleidet ist, und welche zarter als Borsten und Grannen, aber härter und gröber als Wolle sind. 1) Von Individuis, einzelne Auswüchse dieser Art zu bezeichnen. So fein wie ein Haar, oder wie ein Härchen. Es ist kein gutes Haar an ihm, er ist im Grunde verderbt. Ich frage nicht ein Haar darnach, nicht das geringste. Er hat kein Haar von seinem Vater, ist ihm nicht im geringsten ähnlich. Auch figürlich, wegen der geringen Breite eines Haares, einen fast unmerklichen Raum, Zeitpunct oder Grad der innern Stärke zu bezeichnen. Es trifft auf ein Haar zu, völlig, so daß auch nicht eines Haares breit Unterschied wahrzunehmen ist. Nicht ein Haar breit weichen. Bey einem Haare, (in den niedrigen Sprecharten, bey einer Haar,) beynahe. Bey einem Haare hätten sie mich böse gemacht. Man sollte dich bey einem Haare für einen Spitzbuben halten, Less. Er ist nicht um ein Haar, oder nicht ein Haar, besser. Meine Antwort war doch nicht ein Haar anders als die ihrige. Sie ist noch kein Haar besser als vordem. Auf ein Haar, sehr genau. Das Ziel auf ein Haar treffen. Er schießt auf ein Haar. Das weiß ich auf ein Haar. Ein Haar in etwas finden, Ursache zum Argwohn, zur Bedenklichkeit, zur Vorsicht. 2) Als ein Collectivum, ohne Plural und ohne Diminutivum, alle an einem Thiere befindliche Haare, oder auch eine unbestimmte Menge, auszudrucken. Der Esel hat graues, das Rindvieh gemeiniglich röthliches Haar. Daher Haar oft von der Farbe eines Pferdes gebraucht wird. Silbern war sein Haar auf seiner Scheitel und um sein Kinn, Geßn. Goldenes Haar, im gemeinen Leben Güldenhaar, ein Nahme verschiedener Pflanzen, S. Goldhaar. Noch mehr im Plural. Schwarze, krause Haare haben. Haare bekommen. Haare lassen müssen, im gemeinen Leben, in einem Streite den kürzern ziehen, ingleichen, Schaden, Verlust leiden.


Doch hof ich er müß noch har lan

Wiewol er yetz ist khomen darvon,

Theuerd. Kap. 94.


Der Wolf fiel in die arme Herde,

Und mancher Bock gab Haare her,

Lichtw.


Haare auf den Zähnen haben, im gemeinen Leben, Erfahrung, Wissenschaft besitzen, eigentlich einen ehrwürdigen Bart haben.

3. In der engsten Bedeutung, die Haare des Hauptes bey Menschen, das Haupthaar, wo es so wohl von einzelnen Haaren, als auch collective, und zwar so wohl im Singular allein, als im Plural allein gebraucht wird. Es soll dir nicht ein Haar gekrümmet werden, es soll dir nicht die geringste Beleidigung widerfahren. Ein schönes, krauses, langes Haar haben. Sein eigenes Haar tragen, im Gegensatze des fremden oder falschen. Sich das Haar wachsen lassen, abscheren. Krauses[868] Haar, krauser Sinn, im gemeinen Leben. Und ergriff mich bey dem Haar meines Hauptes, Ezech. 8, 3. Noch häufiger aber im Plural. Lange, starke Haare haben. Sich die Haare wachsen lassen, sie abscheren. Sich die Haare ausraufen. Graue Haare bekommen, vor Alter oder Sorgen. Die Haare stehen mir zu Berge, vor Schrecken, vor Grausen. Der Schrecken trieb mir die Haare zu Berge; wofür Dusch sagt, die Furcht die mein Haar empört. Dahin auch die im gemeinen Leben üblichen figürlichen R.A. gehören: Jemanden bey den Haaren zu etwas ziehen, ihn dazu zwingen. Etwas bey den Haaren herbey ziehen, es auf eine gezwungene Art anbringen, oder auf etwas anwenden, es zu weit herhohlen. Einander in die Haare gerathen, handgemein werden, in einen Streit gerathen, uneins werden. Sich in den Haaren liegen, sehr uneins seyn. Laß dir darüber keine grauen Haare wachsen, mache dir darüber keine Sorgen. Ein Wald oder ein Berg stehet ganz, oder voll, in Haaren, im Forstwesen, wenn er noch hinlänglich mit Holz und Bäumen bewachsen ist.

Anm. Bey dem Willeram Har, bey dem Tatian Haru, im Nieders. und Dän. gleichfalls Haar, im Engl. Hair, im Angels. Haer, im Franz. Haire, im Schwed. Hår. Casaubonus leitet es von κερα das Scheren, Wachter von ειρω, ich flechte, und Junius von κερας her; Ableitungen, deren Zwang sogleich in die Augen fällt, und schon um der ersten allgemeinen Bedeutung dieses Wortes willen nicht Statt finden. Mit mehrerer Wahrscheinlichkeit rechnet Ihre die Latein. hirtus, hirsutus und hircus zu der Verwandtschaft dieses Wortes, obgleich das letztere mit mehrerm Rechte zu dem alten hirzen, hirten, stoßen, Franz. heurter, gehören möchte. Ottfried und andere ältere Schriftsteller nennen das Haupthaar Fase, Vahs, S. Fase und Fächser, ingleichen Vlahs, S. Flachs, womit das Wend. Las, Haar, Griech. λασιος, überein stimmet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 867-869.
Lizenz:
Faksimiles:
867 | 868 | 869
Kategorien: