Können

[1706] Können, verb. irreg. neutr. Präs. ich kann, du kannst, er kann, wir können u.s.f. Conj. ich könne; Imperf. ich konnte; Conj. ich könnte; Mittelw. gekonnt. Es erfordert das Hülfswort haben, und bedeutet überhaupt, kein überwiegendes Hinderniß haben, zu seyn, oder etwas zu thun. Es wird alle Mahl mit der ersten Endung der Person, und dem Infinitive des folgenden Zeitwortes verbunden, da denn auch können in den zusammen gesetzten Zeiten in den Infinitiv gesetzt wird. Ich kann es nicht sehen, ich habe es nicht sehen können, für nicht sehen gekonnt. Es bedeutet,

1. In engerm Verstande, möglich seyn, durch keinen innern oder äußern Widerspruch gehindert werden, zu seyn oder etwas zu thun. Alles, was seyn kann ist möglich. Ein Dreyeck kann nicht rund seyn. Kann wohl ein Stein Öhl geben? Das kann nicht seyn, das ist unmöglich. Da Gott nichts wollen kann, als meine Wohlfahrt, Gell. Sie könnten es für einen Eigensinn halten, aber es ist es nicht. Der gnädige Herr könnte was Böses im Sinne haben. In der Unruhe könnte ich mich übereilen. Julchen kann ihnen gewogen seyn, aber Lottchen ist ihnen noch gewogener, Gell. Der Spaß könnte mir theuer zu stehen kommen. Könnte er nicht indessen gestorben seyn? So kann ein ehrlicher Mann unschuldig in die Rede kommen. Setzen sie das Grausamste, das mir begegnen könnte. Er kann ja wohl andere Geschäfte[1706] haben. Kann man überall Weisheit und Ordnung in den Werken der Natur bemerken und kein Verlangen fühlen, in seinem eigenen Verhalten auch Weisheit, auch Ordnung zu beobachten? Gell.

2. In weiterer Bedeutung, durch keine wesentliche oder zufällige Einschränkung gehindert werden, zu seyn, oder etwas zu thun.

1) Überhaupt, ohne nähere Bestimmung des Hindernisses. Das Wasser kann nicht ablaufen. Die Uhr kann nicht gehen. Eine Brücke, daß man darüber fahren kann. Das kannst du mit nichts beweisen. Das kann unmöglich bewiesen werden. Wie glücklich ist er, daß er schlafen kann! Ich wollte gern, aber ich kann nicht. Das kann mir nicht helfen. Er konnte nicht anders, als gehorchen, er mußte nothwendig gehorchen.

2) Besonders, mit Beziehung auf die besondere Einschränkung, welche das Seyn oder Wirken hindert; wo es so viele Classen der Bedeutung gibt, als besondere Arten der Einschränkung oder der Hindernisse möglich sind. Hier sind einige der vornehmsten.

(a) In Ansehung der natürlichen Schranken der Dinge, Kräfte, Vermögen haben, etwas zu thun oder zu leiden. Ein Stein kann nicht denken. Gott kann alles, was er will. Man kann nicht alles wissen. So bald es neune schlägt, läuft sie, was man laufen kann, Gell. aus allen Kräften. Ich kann diese Last nicht tragen, sie übersteigt meine Kräfte. Er ißt so lange, bis er nicht mehr kann. Ich hätte leicht hinter diese Sache kommen können. Man kann nicht wissen, eine im gemeinen Leben übliche Versicherung der Möglichkeit einer Sache. Er kann nicht Widerstand thun. Dafür kann niemand gut seyn.

(b) In Ansehung der Gelegenheit, Veranlassung, und anderer zufälligen Umstände. Jetzt können wir uns rächen, jetzt hätten wir Gelegenheit dazu. Vielleicht kann er uns nützlich seyn.


Hier kannst du inne werden

Wie in der Welt sich alles billig fügt,

Gell.


Wenn meine Thränen dich nicht überzeugen können. So viel ich habe verstehen können. Ich kann mich nicht darauf besinnen. Ich komme so bald ich kann. Er könnte nun schon zu Hause seyn. Wie konnte ich auf den Gedanken kommen? Können sie glauben, daß ich ihre Partey gegen meine Schwester habe halten müssen?

(c) In Ansehung der Macht und Gewalt. Er kann mir schaden. Das sind Leute, die uns Gutes thun können. So kann wohl ein König sprechen.

(d) In Ansehung des Rechts, ingleichen der gesellschaftlichen Einschränkung, durch kein entgegen stehendes Recht, durch kein Gesetz gehindert werden. Er kann uns nicht verklagen, er hat kein Recht dazu.

(e) In Ansehung der moralischen Einschränkung, durch die Billigkeit, durch die sittlichen Pflichten nicht gehindert werden. Mehr kann man nicht von ihm verlangen. Es ist mein Kind, und das kann ich nicht verlassen. Ich kann die ihrige nicht seyn. Je nun, man kann ja wohl einem Mädchen gut seyn, Weiße. Er hat sie ja von mir, wie kann er sie verschenken? Gell. Man kann ja wohl der menschlichen Schwachheit eine Thräne erlauben, Sonnenf.

(f) In Ansehung der Erlaubniß, wo es eine mit Gleichgültigkeit verbundene Einwilligung bezeichnet. Du kannst dich zu uns setzen. Er kann kommen. Die Hand kannst du mir küssen, Gell. Wo sich oft eine Art eines Geheißes mit[1707] einschleicht. Du kannst ihn versichern, daß ich es weiß. Du kannst mir glauben. Das kannst du bleiben lassen. So kann er hingehen, wenn er nicht folgen will.

(g) In Ansehung der Einsicht, der Überzeugung, durch keine überwiegende gegenseitige Einsicht oder Überzeugung gehindert werden. Ein Mann von ihrem Verstande kann noch ein solches Vorurtheil hegen? Können sie noch die Wahrheit für Schmeicheley halten? Das kann ich unmöglich glauben. Wie habe ich mir das vorstellen können? Das kann ich nicht billigen.

(h) In Ansehung des Willens, durch keine überwiegende Neigung oder Empfindung gehindert werden. Stax kann kein Blut sehen. Ich kann nicht alle Speisen essen. Er konnte sie nicht leiden. Er kann das Spotten nicht lassen. Wie konnte ich das über das Herz bringen? Du kannst dich noch verantworten? Wie, du kannst mir noch widersprechen? Wird er ein Barbar seyn, und sein Herz verhärten können? Wie hast du dich in dieß Elend stürzen können?


Wer andre necken kann, muß wieder Scherz verstehn,

Gell.


Die Mama konnte mir vorhin zumuthen, ich sollte ihn hassen, Gell. Wer kann denen, die unschuldig leiden, Bewunderung versagen?

(i) In Ansehung der Geschicklichkeit, Fertigkeit, Übung in einer Sache besitzen. Er kann vortrefflich trinken. Gut schreiben, rechnen, tanzen, reiten können. Viele Künste können. Französisch sprechen können. Viele Sprachen können. Was kann er? Er kann nichts. Man muß ein Ding recht können. Wenn du einmahl alles kannst, was die vornehmen Weiber können müssen. Er kann auch ein Liedchen davon singen, er hat es auch erfahren. Ehedem wurde es in noch weiterer Bedeutung für wissen gebraucht, in welchem Verstande schon bey dem Ulphilas kunna, und im Griech. κοννειν, vorkommen.

(k) In Ansehung des Gedächtnisses, auswendig wissen; im Schwed. kunna. Seine Lection können. Etwas auswendig können. Er kann hübsche Lieder.

(l) Ein sonderbarer, allem Ansehen nach elliptischer Gebrauch dieses Zeitwortes ist es, wenn es mit dafür verbunden wird, die wirkende oder veranlassende Ursache eines Übels zu bezeichnen; wo es doch am häufigsten verneinender Weise gebraucht wird. Ich kann nichts dafür, ich bin nicht Schuld daran. Was kann denn ich dafür? Er ist unschuldig, er konnte gewiß nichts dafür. Kann die Welt etwas dafür, daß sich ein großer Geist in ein schlechtes Kleid versteckt? Rab. Wenn Gellert das dafür wider den Sprachgebrauch theilete, so geschahe es aus dichterischer Freyheit.


Was kann denn ich für das, was selbst die Liebe thut?

Gell.


Anm. 1. Der Imperativ und das Mittelwort der gegenwärtigen Zeit sind von diesem Zeitworte nicht üblich. Der erstere ist wider die Natur der Sache, weil man niemanden befehlen kann, kein Hinderniß zu haben. Die Wortfügung mit dem Infinitiv, und die Verwandelung des gekonnt in den Infinitiv, wenn ein anderer Infinitiv dabey ist, hat es mit den Zeitwörtern helfen, sehen, hören, wollen, sollen, mögen u.s.f. gemein. Indessen wird doch mehrmahls dawider gesündiget.


Die warlich nicht gekonnt so sehr betrogen werden,

Opitz.


für: die nicht so sehr betrogen werden können. Schreiben hätte er doch zum wenigsten gekonnt, Rab. für: er hätte doch zum wenigsten schreiben können.

[1708] Anm. 2. Oft wird dieses Zeitwort im Infinitiv sehr überflüssig gebraucht, wenn dessen Begriff schon in dem vorher gehenden Ausdrucke liegt. Er ist im Stande etwas dazu beytragen zu können; wo im Stande seyn schon den Begriff des Könnens mit einschließt. Man löse diese Redensart mit daß auf, so fällt das Fehlerhafte sogleich in die Augen. Er ist im Stande, daß er etwas dazu beytragen kann, wird wohl niemand sagen; wohl aber, er ist im Stande, etwas dazu beyzutragen. In andern Fällen ist zwar keine Tautologie, aber die ganze Wortfügung ist doch wider die Analogie der Deutschen Sprache, wie in dem von Herrn Rect. Heinze getadelten Beyspiele: der Staat scheint sich einen allgemeinen Nutzen davon versprechen zu können. Herr Heynatz sucht dieser und andern ähnlichen R.A. zwar in seinem 47sten Briefe das Wort zu reden; allein er hat vielleicht nicht bedacht, daß dieses eine Französische Wortfügung ist, welche bloß durch ungeschickte Übersetzer so häufig geworden. Die Deutsche Sprache gebraucht dafür das Bindewort daß! Es scheint, daß sich der Staat einen allgemeinen Nutzen davon versprechen könne. Er versichert, daß er Französisch sprechen könne, für: er versichert, Französisch sprechen zu können. Er versicherte, daß er dieses nicht thun dürfe, für: er versicherte, dieß nicht thun zu dürfen.

Anm. 3. Bey dem Notker für wissen chunnen und quunnen, bey dem Willeram kunnon, im Nieders. könen, im Schwed. kunna, im Dän. kunne, im Angels. connan im Engl. to can. Wahr ist es, daß es in der Bedeutung des Wissens im Deutschen und den verwandten Sprachen am frühesten vorkommt; daß aber diese darum die erste und eigentliche seyn sollte, wie Ihre glaubt, ist nicht wahrscheinlich, weil diejenigen Bedeutungen der Wörter, welche Wirkungen des Geistes bezeichnen, alle Mahl Figuren körperlicher Handlungen sind. S. Kennen, welches vermuthlich mit diesem Zeitworte verwandt ist. Im Hebr. ist כ#ן recht machen. In einigen gemeinen Mundarten lautet das Imperf. ich kunnte, und das Mittelw. gekunnt; welches u sich auch in Kunst und dessen Geschlechte erhalten hat.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1706-1709.
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