Kriegen (2)

[1786] 2. † Kriegen, verb. reg. act. welches nur im niedrigen Leben üblich ist. 1) Eigentlich, mit der Hand ergreifen. Jemanden bey dem Rocke, bey dem Kopfe kriegen. Kriege ich nur einen Stock. Die Äpfel hängen zu hoch, ich kann sie nicht kriegen. Ingleichen erhaschen, in seine Gewalt bekommen. Man hat den entflohenen Gefangenen wieder gekriegt; wo man auch in der sonst ungewöhnlichen passiven Gestalt sagt, er ist gekriegt, wieder gekriegt worden. Nun, warte du, ich will dich schon wieder kriegen, Weiße. Ha, kriegt man dich so! 2) Für bekommen, in dem ganzen Umfange der Bedeutung dieses Wortes. Eine Krankheit kriegen. Geld, Briefe, eine Bedienung, Gäste, Schläge kriegen. Ich werde ihn wohl nie wieder zu sehen kriegen. Ich kriege am Ende das Beste davon. Warte, du sollst es kriegen! Sollt er sie nicht zu Gesichte kriegen? Ein süßer Herr kriegt nie Verstand, Gell.


So kriegte ja der Großknecht, der mir pflügt,

Beynah so viel, als der Gelehrte kriegt,

Gell.


Ich kriege noch den Tod über euch, ebend. So fremd dieses Wort jetzt der edlern anständigern Sprech- und Schreibart geworden ist, so muß es doch ehedem nicht so niedrig gewesen seyn, weil man es oft in dem feyerlichen und erhabensten Zusammenhange findet. In Luthers Übersetzung der Bibel kommt es fast in allen Kapiteln vor, und so gebrauchen es auch noch Opitz und andere Dichter.


Zu zeigen, daß dein Volk von dir die Wahrheit kriegt,

Opitz.


Da ich im lebendigen Grabe

Der Glieder Stückwerk krieget (gekriegt) habe,

Opitz, Ps. 139.


Anm. Im Nieders. krigen. Es ist von greifen nur in dem Ableitungslaute verschieden, und Frisch führet verschiedene Beyspiele an, wo kriepfen für kriegen in der ersten Bedeutung vorkommt. So fern kriechen sich mit den Klauen auf der Erde forthelfen bedeutet, gehöret auch dieses mit zu der Verwandtschaft. Im Imperfecto und dem Mittelworte der vergangenen Zeit lautet das ie gemeiniglich kurz, da denn auch das g den Hauch des ch annimmt, als wenn es ich krichte, du krichtest u.s.f. gekricht, geschrieben wäre. Ja selbst im Präsenti spricht man in der zweyten und dritten einfachen Person an den meisten Orten, du krichst, er kricht.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1786.
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