[1955] Lêbếndig, -er, -ste, adj. et adv. welche beyden Stufen doch nur in der dritten figürlichen Bedeutung üblich sind, Leben habend. 1. Eigentlich, den Grund seiner eigenen Veränderungen enthaltend und beweisend. Lebendige Geschöpfe, welche Leben haben, im Gegensatze der leblosen. Ein lebendiges Thier, im Gegensatze eines todten. Das Kind kam nicht mehr lebendig auf die Welt. Das darf kein lebendiger Mensch wissen, Schleg. ein im gemeinen Leben üblicher Pleonasmus, welcher das kein verstärket. Wieder lebendig werden. Einen Todten wieder lebendig machen. Er ist lebendig todt. 2. Figürlich. 1) Aus einem lebendigen Dinge bestehend, in einem solchen Dinge gegründet. Ich habe davon ein lebendiges Beyspiel an meiner Schwester, Gell. Cajus ist ein lebendiger Beweis, daß die Tugend in dieser Welt nicht[1955] alle Mahl glücklich macht. Der lebendige Zehnte, welcher von Thieren gegeben wird; der Blutzehnte. Eine lebendige Wehre, bey den Jägern, wenn anstatt des Zeuges Menschen angestellet werden. Eine lebendige Sprache, welche noch zu unserer Zeit von einer Völkerschaft gesprochen wird, im Gegensatze einer todten oder abgestorbenen. 2) Ein lebendiger Zaun, welcher aus grünem, noch vegetabilisches Leben habenden Holze bestehet, eine Hecke; im Gegensatze eines todten Zaunes. Lebendiges Holz, welches, wenn es abgetrieben worden, wieder von der Wurzel ausschlägt, Laubholz; im Gegensatze des todten Holzes oder Schwarzholzes. Lebendiges Wasser, eine lebendige Quelle, welche beständig fortquillet. Lebendiger Kalk, ungelöschter, im Gegensatze des gelöschten. 3) Einfluß auf den Willen habend; in welcher Bedeutung auch die zweyte und dritte Staffel gebraucht werden. Die lebendige Erkenntniß, im Gegensatze der todten. Ein lebendiges Gefühl alles dessen, was gut, löblich und rechtschaffen ist. 4) Die lebendige Kraft, in der Mechanik, diejenige Kraft, welche wirklich eine Bewegung hervor bringet; im Gegensatze der todten Kräfte, d.i. solcher Kräfte, welche einander im Gleichgewichte erhalten, folglich keine Bewegung hervor bringen.
Anm. Bey dem Willeram lebenteg, bey dem Stryker lebentik und lentig, bey dem Hornegk lemtig, wo zugleich der Ton auf der ersten Sylbe liegt, auf welche Art auch Opitz unser heutiges lébendig gebraucht. Auch das Nieders. lēvendig hat den Ton auf der ersten Sylbe. Woher es gekommen, daß die Hochdeutschen und fast alle heutige Oberdeutschen den Ton, wider die ganze Analogie der Sprache, von der Stammsylbe weg, auf die zweyte Sylbe gelegt haben, ist schwer anzugeben. Viele gemeine Mundarten sprechen lēbenig, ohne d, dagegen in unserm lebendig das noch im Nieders. übliche Lebend für Leben zum Grunde zu liegen scheinet.