Mehr, das

[150] * Das Mehr, des -es, plur. die -e, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches, im Oberdeutschen aber noch gebräuchliches Abstractum von dem vorigen Beyworte. 1) Die Mehrheit, d.i. die größere, überlegene Menge; wo es besonders von der Mehrheit der Stimmen und ohne Plural gebraucht wird. Durch da Mehr Bürgermeister werden, durch die meisten Stimmen. Etwas mit gemeinen Mehr thun, mit der Mehrheit der Stimmen. 2) Die Sammlung der Stimmen, das Votiren. Ein Mehr machen, die Stimmen sammeln, Umfrage halten. Ein Gegenmehr machen, über die entgegen gesetzte Sache die Stimmen sammeln. Man konnte lange zu keinem Mehr kommen, zu keinem Votiren. Daher auch die daselbst üblichen Zeitwörter übermehren, überstimmen, abmehren, durch die meisten Stimmen abschaffen, verwerfen, ermehren, durch die meisten Stimmen beschließen.

Anm. Mit dem eigentlichen Ableitungslaute der Abstracten ist bey dem Ottfried thie Mera die Menge. Wenn die Mehr und die Mehrung in den vorigen Jahrhunderten einiger Gegenden die feyerliche Handlung bedeutete, da die Truppen die Kriegs-Artikel beschworen, wo auch das Zeitwort mehren in diesem Verstande üblich war, so ist solches nur eine Figur der vorigen Bedeutung, so fern dazu ehedem die meisten Stimmen nöthig waren. In einer Hessischen Reiter-Bestallung von 1570 heißt es Art. 106: »Es soll auch diese Bestallung und Artikel zur Zeit der ersten Musterung öffentlich den gemeinen Reutern im freyen Felde unter fliegenden Fahnen fürgelesen, darauf durch sie gemehret werden, wie von Alters gebräuchlich.« Und Art. 108: »Gleichergestalt sollen alle Reuter – gleich sowohl zu Haltung obgemelter Bestallung und Articul verbunden seyn, als wenn sie zu Anfang darauf bestellet wären und gemehret hätten.« Womit aber abmehren, abtheilen, nichts als den Klang gemein hat. Siehe 1. Mehren.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 150.
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