Niedrig

[502] Niedrig, -er, -ste, adj. et adv. welches einen eben so relativen Begriff enthält als nider, und der Gegensatz von beyden hoch, der Horizontalfläche und dem Mittelpuncte der Erde näher als ein anderes Ding, oder näher als die gewöhnlichsten Dinge eben derselben Art.

1. Eigentlich, wo es alle Mahl dem hoch entgegen gesetzet ist. Die Wolken gehen niedrig, wenn sie der Erdfläche näher sind als gewöhnlich. Eine niedrige Wolke. Ein niedrig gelegenes Land, welches dem Horizonte oder dem Mittelpuncte der Erde näher ist, als ein hohes, oder hoch gelegenes. Ein niedriges Ufer. Im Bette mit dem Kopfe niedrig liegen. Niedrig sitzen, stehen, u.s.f. Ein niedriges Wasser, wenn dessen Oberfläche niedriger ist als gewöhnlich. Die Flüsse sind niedrig, wenn sie wenig Wasser haben. So auch von der senkrechten Länge lebloser Dinge. Ein niedriger Berg. Ein Haus niedriger machen. Ein niedriger Stuhl, Tisch u.s.f. Niedriges Gesträuch. Niedrige Absätze an den Schuhen. Daß ich den hohen Baum geniedriget, und den niedrigen Baum erhöhet habe, Ezech. 17, 24. Bey den Jägern gehet der Hirsch niedrig, wenn er sein Geweihe abgeworfen hat, im Gegensatze des hoch Gehens.

2. Figürlich, wo es von verschiedenen Eigenschaften der Dinge gebraucht wird, in welchen sie von den meisten ihrer Art übertroffen werden.

1) Von den Tönen und der Stimme. Ein niedriger Ton, derjenige, welchen eine stärkere, längere oder minder gespannte Saite hervor bringt, und welcher auch tief genannt wird, im Gegensatze des höhern. Ein Instrument geht zu niedrig, klingt zu niedrig. Niedrig singen. Eine niedrige Stimme, welche niedriger ist, als die gewöhnliche Menschenstimme.

2) Von dem Preise, wo es mit geringe gleichbedeutend ist, und gleichfalls dem hoch entgegen gesetzet wird. Ein niedriger Preis, welcher geringer oder niedriger ist, als gewöhnlich, oder als der Werth der Sache es zu erfordern scheinet. Einen niedrigen Preis auf etwas setzen. Etwas für einen niedrigen Preis verkaufen. Niedrig spielen, um einen niedrigen Preis.

3) Der Würde nach, geringer an Würde, als andere Dinge seiner Art. (a) Überhaupt; wo doch nieder üblicher ist, besonders in der anständigern Sprechart. Die niedrigen Schulen, das[502] niedrige Wildbret, die niedrige Jagd, die niedrige Gerichtbarkeit, die niedrige Geistlichkeit u.s.f. in welchen Fällen man allemahl lieber das Wort nieder gebraucht, im Gegensatze des hoch und höher. (b) Besonders α) Im bürgerlichen Verstande, der bürgerlichen Würde, der Achtung, der bürgerlichen Gesellschaft nach, geringe, dem Stande nach, den äußern Vorzügen nach unter andern befindlich, so wohl überhaupt in Vergleichung mit dem was höher ist. Eine niedrigere Bedienung erhalten. Als auch absolute, den großen Haufen der geringen Personen ohne bürgerliche Würde in einem Staate zu bezeichnen; wie geringe. Ein niedriger Stand. Von niedriger Geburt, von niedrigem Herkommen, von niedriger Herkunft seyn. Von den niedrigsten Ältern entsprossen. Sich aus dem niedrigsten Elende auf die höchste Spitze der menschlichen Glückseligkeit schwingen. Auch die niedrigste Hütte hat ihren Stolz, Gell. Welches Leben, auch das niedrigste und dunkelste, hat nicht seine Geheimnisse und Wunder? ebend. Das stolze Verdienst verschließt sich den Zutritt zu den Großen und verachtet den Zutritt zu den Niedrigen, ebend. Nach einer noch weitern Figur, diesem Stande an Mangel der anständigen Würde und des Vorzuges ähnlich, gleich, in dessen gewöhnlichen Denkungsart gegründet, in der harten Sprechart pöbelhaft; im Gegensatze des erhabenen, zuweilen auch des hoch. Die niedrige Schreibart. Ein niedriges Wort, ein niedriger Scherz, sich niedrig ausdrucken, niedrig schreiben, die niedrige Sprechart; alles im Gegensatze des edel, anständig und erhaben. Ingleichen dem Gemüthe, der Denkungsart nach, und darin gegründet. Ich bin bloß deßwegen betreten, weil sie mich für so niedrig halten, daß ich meiner Schwester ihr Glück nicht gönnen sollte, Gell. Eine niedrige Seele, ein niedriges Gemüth. Niedriger Eigennutz, niedriger Geitz, niedrige Selbstliebe, die niedrigste Boßheit. Er verachtete die niedrigen Wege zum Glück und blieb daher in der Dunkelheit. In welcher ganzen Bedeutung in der edlern Schreibart auch wohl das Wort nieder gebraucht wird, weil es den Begriff ein wenig mehr mildert. β) Im moralischen Verstande, sittlicher Vorzüge im hohen Grade beraubt, und sich dieses Mangels mit Empfindung bewußt, ingleichen in dieser Gemüthsart gegründet; in welcher Bedeutung es in der theologischen Schreibart am üblichsten ist. Gott erhöhet die Niedrigen, Dan. 4, 14. Ich will niedrig seyn in meinen Augen, 2 Sam. 6, 22. Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen, Luc. 1, 18. In seiner Niedrigkeit ist sein Gericht erhaben, Apostelg. 8, 33. Ingleichen, geneigt, sich nach seinen Mängeln zu beurtheilen, und in dieser Gemüthsart gegründet; in welcher, im Hochdeutschen veralteten Bedeutung es so wie Niedrigkeit in der Deutschen Bibel für demüthig vorkommt. Es ist besser niedriges Gemüths seyn, mit den Elenden, denn Raub austheilen mit den Hoffärtigen, Sprichw. 16, 19.

4) Oft wird es in der anständigen Schreib- und Sprechart auch als ein glimpflicher Ausdruck für das weit härtere niederträchtig gebraucht, S. dasselbe. Ein niedriges Bezeigen, ein niedriges Gemüth.

Anm. Im Nieders. neddrig, im Schwed. nedrig. Es ist vermittelst der Endsylbe -ig von dem im Hochdeutschen minder üblichen nieder gebildet, und hat dasselbe aus seinen meisten Bedeutungen verdrängt. Von nied, dem Stammworte von nieden und nieder, ist vermittelst eben dieser Sylbe nidig bey dem Ottfried niedrig. S. Nieder.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 502-503.
Lizenz:
Faksimiles:
502 | 503
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika