R

[903] R, der achtzehente Buchstab des Deutschen Alphabetes und der vierzehente unter den Consonanten, welcher mit einer zitternden Bewegung der Zungenspitze an dem Gaumen ausgesprochen wird, daher er auch zu den Zungenbuchstaben gehöret. Man rechnet ihn zugleich zu den flüssigen Mitlautern, weil er so wohl vor als hinter den meisten andern Mitlautern sehr leicht auszusprechen seyn soll. Dieses leidet indessen seine Ausnahmen. Denn da das r der schwerste Buchstab in der Sprache ist, so nimmt diese Schwierigkeit in der Aussprache noch zu, wenn ein b, p, oder w vorher gehet, obgleich das d und t nicht so viele Schwierigkeiten haben. Der Einwohner von Otaheite in der Südsee konnte das pr, br u.s.f. niemahls aussprechen lernen, ob er gleich das r, wenn es zwischen zwey Vocalen stand, sehr leicht aussprach. Die Ursache der schweren Aussprache des r liegt in der zitternden Bewegung der Zunge, welche eine mehrere Anstrengung erfordert, als die übrigen Buchstaben, daher auch die Kinder dasselbe am letzten und schwersten, und wenn die Zunge zu sehr mit dem untern Gaumen verwachsen ist, oft gar nicht aussprechen lernen. Ja es gibt ganze Nationen, in deren Sprache dieser Buchstab nicht befindlich ist, und denen daher auch die Aussprache desselben unmöglich fällt. Aber auch da, wo man ihn hat und ausspricht, veranlasset der mangelhafte Bau der Sprachwerkzeuge oder Nachlässigkeit in der Erziehung einen doppelten Fehler in der Aussprache dieses Buchstabens, nähmlich das Lallen und das Schnarren. Das erste bestehet darin, wenn man statt des r ein l hören läßt, und der zweyte, welchen man in Baiern rātschen nennet, wenn zwar das r gehöret, dasselbe aber zu tief in dem Gaumen, oder durch die Nase ausgesprochen wird.

Den hauchenden Sprachen und Mundarten, zu welchen auch die Alemannische und noch zum Theil die heutige Oberdeutsche gehöret, ist es sehr gewöhnlich, diesen schon an sich schweren Buchstaben noch durch einen Hauchlaut zu verstärken; hraube, rauben, hrizzan, reißen. Andere lassen den Hauch nachschleichen, Rhein, Rhenus. Im Hochdeutschen kennet man beyde Arten nicht; denn ob man gleich in fremden Wörtern das Rh beybehält, so schreibt man doch in ursprünglich Deutschen, z.B. Reede oder Rehde lieber ein bloßes r. Der einzige Rheinstrom macht hier eine Ausnahme, obgleich sein Nahme von dem veralteten reinen, fließen, abstammet, wovon rinnen und rennen Intensiva sind; indem man hier noch das h zum Andenken der Griechischen und Römischen Schriftsteller, die seinen Nahmen zuerst geschrieben haben, beybehält. Ältere Deutsche schrieben auch Hrein.

Das r ahmet vermöge seiner Natur eine jede zitternde Bewegung nach, worauf es denn figürlich auch gebraucht wird, eine kreisförmige, ja eine jede heftige und plötzliche Bewegung, eine schnelle Wiederhohlung, eine Intension, heftige Gemüthsbewegung u.s.f. auszudrucken. Beyspiele sind tremere, rasch, irren, die intensive und frequentative Endung -ern, Kreis, drehen, Ira, und tausend andere.

Die zitternde Bewegung der Zunge, mit welcher dieser Buchstab ausgesprochen wird, macht, daß seine Stelle in Ansehung des Vocals, von welchem er begleitet wird, nicht allemahl bestimmt genug ist, indem dieser, oft in einer und eben derselben Sprache, bald vorn bald hinten stehet. Für Brunn sagt man auch Born,[903] für brennen, bernen, Engl. to burn, daher Bernstein. Für das alte Byrn, ein Berg, findet man auch Brynn. Für pressen sagen die Niedersachsen perssen, für Rechen Harke. Harm und Gram sind vermuthlich Eines Ursprunges, so wie Dorf und Trupp, dreist und das alte dürsten, begierig seyn, drehen und tornare. Auch die Lateiner sagen acer und acris, cerno und crevi, Discrimen, burere und Piuna, germen und Gramen, Cranium, Griech. Καρινον u.s.f.

Sehr gewöhnlich ist, nicht allein in der Deutschen, sondern fast in allen Sprachen, die Verwechselung des r mit s, und noch mehr mit dem verwandten l. Beyspiele von der ersten Art sind Beere, und das Nieders. Besing, bey dem Ulphilas Basi; verlieren, ehedem verliesen, und Verlust; köhren und kiesen; Hase, Schwed. und Engl. Hare; befahren, fürchten, Schwed. fasa; frieren, ehedem friesen, Frost und Friesel; ich war, Nieders. was, gewesen, so wie die Lateiner für ero ehedem eso sagten; wer und quis; Rohr, bey dem Ulphilas Raus, Franz. Roseau; Aes und Aeris; Arena, bey den ältern Lateinern Asena; Ara ehedem Asa u.s.f. Von der zweyten Art, Maronke und Malonke, Pilgrim und Peregrinus, das Schweizerische Kilche für Kirche, Blocksberg und Brocksberg, Pflaume und Prunum, Herberge und das mittlere Lat. Alberga, und bey den Lateinern Furca, ehedem Fulca, anderer zu geschweigen, S. auch die Endungen -El und -er, -Eln und -Ern.

Seltener ist die Verwandelung des d und t in r, ob sie gleich den Meklenburgern sehr geläufig ist. Denn dort sagt man Varer für Vater, Maurer für Mutter, Jure für Jude, Lüre für Lüde, Leute, myn Lere für mein Lebetage.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 903-904.
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