Rasen

[941] Rasen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben. 1) Einen lauten ungestümen Lärm machen. Im Hause herum rasen. Auf der Gasse rasen und schreyen. Mein Gott! wie rasen nicht die Dichter! Canitz. Der rasende Pöbel. Der Wind raset um die Dächer. 2) In engerer und figürlicher Bedeutung. (a) In[941] einer heftigen Leidenschaft seyn, und selbige durch äußere ungestüme Handlungen verrathen. Vor Zorn rasen.


Ja dinget nur die halbe Welt zusammen

Und raset wider einen Mann,

Ramml.


(b) Sich brausenden Ausschweifungen. So sagt man von jungen Leuten, welche sich den gewöhnlichen Ausschweifungen der Jugend auf eine ungestüme Art überlassen, daß sie rasen. Jeder Mensch muß in seinem Leben Ein Mahl rasen; ein sehr irriger Grundsatz. (c) Auf eine grobe Art wider die Vernunft handeln, im harten Verstande, in welchem man auch das Mittelwort rasend gebraucht. Ein rasender Mensch, der im höchsten Grade wider die Vernunft handelt. Selbst in passivem Verstande, doch nur im gemeinen Leben. Glauben sie solch rasendes Zeug nicht, solch unsinniges Zeug. Ein rasender (im höchsten Grade vernunftwidriger) Einfall. Rasend gehöret alsdann zu denjenigen Wörtern, welche der Form nach Activa, der Bedeutung nach aber Passiva sind, und deren Zahl im Deutschen und in andern Sprachen nicht klein ist, S. Bedienter. (b) Der Vernunft völlig beraubt seyn, doch nur so fern dieser Zustand mit ungestümen äußern Handlungen verbunden ist; für toll, unsinnig. Man gebraucht es so wohl von diesem vorüber gehenden Zustande in hitzigen Krankheiten, doch um des harten Nebenbegriffes willen nur im gemeinen Leben, so wie auch das Mittelwort rasend nicht von einem solchen Kranken gebraucht wird. Der Kranke raset. Als auch von einer beständigen Beraubung des Bewußtseyns und den damit verbundenen ungestümen Handlungen. Ein rasender Mensch. Ein rasender Hund. Rasend seyn, rasend werden. Ein toller Mensch raset.

Daher das Rasen. Das Mittelwort rasend wird, weil ihm die ganze Härte des Zeitwortes anklebet, nur im härtesten Verstande gebraucht.

Anm. Rasen ist ein natürlicher Ausdruck des brausenden Getöfes, welches diejenige Sache erreget, welche raset, und womit der Begriff so wohl der Geschwindigkeit, als auch der Heftigkeit, des Ungestümes genau verbunden ist, wie aus den nahe verwandten reisen, reißen, rasseln, rasch u.s.f. erhellet. S. diese Wörter. Daher wird rasen in andern Sprachen auch von andern ähnlichen heftigen Bewegungen gebraucht. Das Schwedische rasa bedeutet theils schnell laufen, theils niederstürzen, plötzlich fallen, theils sich verirren, theils unsinnig seyn, theils endlich auch lärmen und schwärmen. Im Hebr. ist דוץ, ruz, gleichfalls laufen, und im Griech. ροθειν, mit dem verwandten t, cum impetu ferri, S. Rad und Reiten. Das Schottländische rese kommt mit dem Deutschen rasen in der Bedeutung überein. Eben daselbst ist Rees Wuth, Raserey, welche Bedeutung auch so gar das Syrische Rasa hat. Mit andern Endlauten gehören auch das Franz. Rage und das Lat. Rabies hierher, welches letztere mit dem Nieders. reven, in einer hitzigen Krankheit rasen, Franz. rever, Reverije, Raserey, Franz. Reverie, Engl. Raving, riba gaan, ausschweifen, schwärmen u.s.f. sehr genau überein kommt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 941-942.
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