Reuen

[1093] Reuen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, und ehedem in einem weitern Umfange der Bedeutung üblich war, als jetzt. Es bedeutete,

1. * Wehklagen, ächzen, schreyen, welches letztere vermittelst des vorgesetzten Zischlautes davon abstammet. Mit mihilon riuuuon, Ottfr. mit großem Geschrey, Wehklagen. Auch bey dem Ulphilas ist Hraiwa dubono saguk ein Paar Turteltauben, eigentlich, ein Paar ächzender Tauben. Reuen ist in dieser ersten eigentlichen aber längst veralteten Bedeutung eine Onomatopöie, welche den Laut des Wehklagens selbst nachahmet. Siehe Schreyen.

2. * Kummer, Schmerzen über etwas empfinden, und solches an den Tag legen; eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher es auch ein Activum war, und mit der vierten Endung der Sache verbunden wurde. Thie sulih riuuetin, welche Kummer darüber empfanden, es beklagten, Ottfr. Ir rewet mih, ihr dauert mich, Stryk. Thie dati sie ryuun, sie bedauerten die That, Ottfr. Auch im Angels. ist hreowan traurig, betrübt seyn, und unser Trauer, traurig, stammt vermittelst des vorgesetzten t davon ab, so wie auch grauen damit verwandt ist, indem man in einigen Oberdeutschen Mundarten für reuen auch rauen sagt. Riuni ist bey dem Ottfried Widerwärtigkeit, dasjenige, was Kummer verursacht.

3. In noch engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, 1) Reue, d.i. Unlust, über eine begangene Handlung empfinden und an den Tag legen; in welchem Verstande es doch nur in dem zusammen gesetzten bereuen üblich ist. 2) Reue, d.i. Unlust, über eine begangene Handlung verursachen, mit der vierten Endung der Person, und der ersten der Sache. Die Sache reuet mich. Sein Verbrechen reuet ihn. Fast fängt mich meine Neugier an zu reuen, Weiße. Mein Betragen hat mich noch nicht gereuet. Wird es sie bald reuen? Gell. Also reuete den Herrn das Übel, 2 Mos. 32, 14. Damit mich auch reuen möchte das Übel, das u.s.f. Jer. 26, 2. Ingleichen als ein unpersönliches Reciprocum mit dem Vorworte daß. Es reuet mich, daß ich ihn beleidigt habe. Es reuet ihn noch nicht, daß er es gethan hat. Wird es dich bald reuen, daß u.s.f. Denn es reuet mich, daß ich sie gemacht habe, 1 Mos. 6, 7. Statt welcher Wortfügung auch zuweilen die zweyte Endung des Nennwortes gebraucht werden kann. Du lässest dich des Übels reuen, Jon. 4, 2. Es reuet mich der That, für: die That reuet mich.

Dieses Zeitwort erfordert allemahl die vierte Endung der Person. Es ist also ein Fehler, wenn manche es mit der dritten verbinden, obgleich dieser Fehler nicht neu ist. Daz rauuota mir, Notker. Da reuete es ihm, daß er die Menschen gemacht hatte, 1 Mos. 6, 6. Da reuete dem Herrn das Übel, Jerem. 26, 19. In welchen und andern Stellen der Dativ vielleicht von der Unbeständigkeit der Herausgeber und Correctoren herrühret, indem in andern richtiger die vierte Endung stehet.

Anm. In der letztern engern Bedeutung schon bey dem Ottfried riuan, im Nieders. rouen und rijen, im Engl. to rue. Ehedem war es auch ein irreguläres Zeitwort, denn bey dem Ottfried lautet das Imperfectum einige Mahl rou für rjuuete. Übrigens ist für reuen im Hochdeutschen auch das verstärkte gereuen üblich, welches in allen Fällen für dasselbe gebraucht werden kann. Siehe dasselbe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1093-1094.
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