Rocken (2), der

[1139] 2. Der Rocken, des -s, plur. doch nur von mehrern Arten, ut nom. sing. ein Nahme einer Getreideart, welche braune oder bräunliche ovalrunde Körner trägt, und ein schwärzeres und gröberes Mehl gibt als der Weitzen, in der Botanik aber, durch die aus zwey gegen einander über stehenden Blättchen bestehende Hülle, welche zwey Blüthen einschließt, von den übrigen Getreidearten unterschieden wird; Secale L. Der Nahme Rocken, oder in einigen Gegenden Rockenkorn, ist in der südlichen Hälfte Deutschlands am gangbarsten, in der nördlichern nennt man dieses Getreide auch Korn, so wie man es in einigen Oberdeutschen Gegenden nur Kern und Frucht nennet. Weil diese Pflanze in Creta oder Candia wild wächst, so glaubt man, daß sie von dort in dem übrigen Europa verbreitet worden. Zu Plinii Zeiten war der Rocken noch schlecht und bitter, Secale deterrimum et tantum ad arcendam famem. Noch jetzt verachten die Bewohner wärmerer Länder das Rockenbrot, als ein grobes und sprödes Brot. Plinius gedenkt dessen als einer Getreideart, welche von den Taurinern an dem Fuße der Alpen gebauet worden, von wannen es vielleicht in die übrigen Europäischen Länder gekommen. In einem[1139] alten, in Oberdeutschland gedruckten, Vocabulario wird der Rocken auch Senkel genannt, welches mit dem Lat. Secale genau überein kommt.

Anm. Der Nahme ist so alt und ausgebreitet, als die Frucht selbst. Bey den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern heißt sie Roggo, im Nieders. Rogge, im Holländ. Roghe, im Angels. Ryge, im Engl. Rye, im Dän. Rugen, im mittlern Lateine Rogga, im Wallis. Rhyg, im Wend. Roch, im Schwed. Råg, im Esthländ. Ruchit, Roet, im Dalmat. Raax, und mit andern Endlauten bey den ältern Dänen Rooff, bey den Finnen Ruvis, bey den Ungarn Ros. Stieler leitet es von Korn, durch Versetzung, Frisch aber von rauh her, weil es ein gröberes Brot gebe als der Weitzen. Wachter, Ihre und andere wagen nichts. Indessen scheinet es doch, daß dieses Wort, so alt es auch ist, kein anderes ist, als unser Rogen, welches ehedem Frucht überhaupt bedeutete, und wovon unser Frucht selbst abstammet, (S. Rogen,) und wohin so wohl die letzte Hälfte des Lat. Farrago, als auch vielleicht das Finnländ. Rucho, eine Pflanze, gehöret. Wird doch der Rocken in vielen Gegenden nur schlechthin Frucht genannt. Auf ähnliche Art ist das Schwed. Romm, Fischrogen, mit dem Lat. Frumentum verwandt. Indessen könnte auch der Begriff eines Kornes in der weitesten Bedeutung in Betrachtung kommen, indem das Wend. Roch Rocken, dessen Dimin. Rochka, Rozka aber ein jedes Körnchen bedeutet. Bey dem Plinius kommt auch der Nahme Arinca für Rocken vor, welches gleichfalls mit Rocken verwandt ist, indem das a in vielen Lateinischen Wörtern ein müßiger Vorsatz, das n aber überall oft ein bloßer Begleiter der Gaumenlaute ist.

Viele Hochdeutsche Sprachlehrer, wohin auch Gottsched gehöret, haben sich durch die weichere Niederdeutsche Sprechart verleiten lassen, die Schreibart Roggen für die einzige wahre auszugeben, ungeachtet alle Hoch- und Oberdeutsche Zungen sehr deutlich Rocken sprechen. Es ist der Niederdeutschen Mundart eigen, den Hoch- und Oberdeutschen harten Mitlautern in vielen Fällen die weichern unterzuschieben, und was wollte aus der Hochdeutschen Sprech- und Schreibart werden, wenn ihr diese Weichlichkeit als eine Regel aufgedrungen werden sollte? Dann müßte man auch Rüggen für Rücken, Brügge für Brücke, dröge für trocken, dod für todt u.s.f. schreiben und sprechen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1139-1140.
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