Setzen (2)

[63] 2. Sêtzen, verb. reg. act. nur daß einige Oberdeutsche Mundarten im Imperf. für setzte, satzte, und im Mittelworte gesatzt für gesetzt sagen. Es ist das Factitivum von sitzen, und bedeutet eigentlich sitzen machen, in weiterm Verstande aber auch stehen machen, und in noch weiterm, einem Dinge einen gewissen bestimmten Ort geben.

1. Sitzen machen, in der eigentlichen Bedeutung des Neutrius sitzen, sich auf den Hintern niederlassen.

(1) Eigentlich. Ein Kind auf den Stuhl, auf den Tisch, auf den Schoß setzen. Jemanden auf das Pferd setzen. Ingleichen als ein Reciprocum, sich setzen, wofür in der anständigen Sprechart der feinern Welt oft sich niederlassen üblich ist. Setzen sie sich, oder lassen sie sich nieder. Sich auf den Stuhl, auf die Bank, auf den Tisch, auf den Thron, auf das Fenster setzen. Sich auf das Pferd, oder zu Pferde, sich auf den Wagen, in die Kutsche setzen. Sich zu Tische setzen. Sich in den Koth, in den Schatten, in das Wasser, in die Thüre setzen. Sich an das Fenster, an den Ofen, an das Feuer setzen. Sich hinter den Ofen setzen. Sich oben an, unten an setzen. Der Vogel setzt sich auf den Ast, auf die Erde.

Daher die figürlichen R.A. Jemanden auf den Thron setzen, ihn zum regierenden Herren machen, ihn zur königlichen oder fürstlichen Würde erheben. Sich selbst auf den Thron setzen. Sich vom Pferde auf den Esel setzen, seinen Zustand verschlimmern. Setzen sie sich an meine Stelle, stellen sie sich vor, als wenn sie an meiner Stelle, in meiner Person wären. Man kann nicht richten, ohne sich in die Lage desjenigen gesetzt zu haben, den man richtet. Sich auf den Kopf setzen oder stellen, alles anwenden, alle Kräfte anstrengen. Und wenn ihr euch auch auf den Kopf setztet, sollt ihr sie nicht sehen, Weiße. Sich über andere hinwegsetzen, erheben, sich mehrere Vorzüge zuschreiben. Es gibt Tugenden, welche die Unglücklichen weit über den verzärtelten Glücklichen hinweg setzen. Er glaubt, daß sein Adel ihn über diese Pflicht hinweg setze, oder wegsetze. Dieses[63] Capital setzt dich über alle Bedürfnisse hinaus, sichert dich vor allen Bedürfnissen. Ein Schiff setzt sich auf den Grund, wenn es auf den Grund läuft, strandet.

(2) Figürlich.

(a) Ein flüssiger Körper setzt sich, wenn das Trübe auf den Boden sinkt. Das Bier hat sich noch nicht gesetzt. Von dem in einem flüssigen Körper befindlichen Trüben sagt man gleichfalls, daß es sich setze, oder sich auf den Boden setze. Die Hefen setzen sich auf den Boden. S. Satz. Im Hüttenbaue scheinet es auch thätig üblich zu seyn, indem die Erze daselbst gesetzet werden, wenn sie geschlämmet, oder gewaschen werden, so daß sich das gepochte Erz zu Boden setzt. S. Setzbühne.

(b) Eine Geschwulst setzt sich, wenn sie nach und nach niedriger und kleiner wird. Eben so sagt man auch zuweilen, das Wasser setze sich, wenn es niedriger wird. Der Teig setzt sich, wenn er niedriger wird, nach und nach zusammen fällt.

Beyde figürliche Bedeutungen können auch das die erste und eigentliche angesehen werden, indem der Begriff der Niedrigkeit, des untern hier, der herrschende ist.

(c) Wer sich setzt, geräth aus der Bewegung in den Stand der Ruhe, daher ist sich setzen, zuweilen, einen dauerhaften, bleibenden Aufenthalt an einem Orte wählen. Cajus hat sich in Berlin gesetzt, wohnhaft niedergelassen. Sich aufs Land setzen. Sich auf sein Gut setzen. Sich in die Stadt setzen. Sich zur Ruhe setzen, eine ruhige Lebensart erwählen. Hierher scheint auch die R.A. zu gehören, sich mit jemanden setzen, gütlich vergleichen, weil man dadurch in den Stand der ruhigen Eintracht geräth.

(d) Wer sich gesetzt hat, befindet sich in einer festen, sichern Lage. Eine Armee setzt sich an einem Berge, das Corps setzt sich vor der Stadt, wenn sie daselbst eine sichere Stellung nehmen. Daher ist auch das Mittelwort gesetzt, als ein Beywort gebraucht, oft kurz und dick. Eine starke gesetzte Weibesperson, wofür auch untersetzt üblich ist. Figürlich bezeichnet gesetzt diejenige Fertigkeit, da man sich nicht leicht durch etwas aus seiner Fassung bringen lässet, und darin gegründet. Ein gesetzter Mann. Ein gesetztes Gemüth. Eine gesetzte Antwort geben. Wir müssen uns zu der gesetzten Erwartung unvermeidlicher Übel gefaßt machen, Gell.

2. Stehen machen, einen Körper in diejenige Lage bringen, in welcher er stehet.

(1) Eigentlich. Das Glas, den Teller auf den Tisch setzen. Den Stuhl an die Wand, den Stock in die Ecke setzen. Das Licht auf den Leuchter, den Leuchter auf das Fenster setzen. Den Fuß auf etwas setzen. Den rechten Fuß voran setzen. Nie will ich wieder einen Fuß über seine Schwelle setzen. Etwas auf die Spitze setzen. Essen und Trinken auf den Tisch setzen. Alles an seinen gehörigen Ort setzen. Jemanden einen Stuhl setzen, damit er sich darauf setze. Eine Bildsäule auf ihr Fußgestell setzen. Die Garben in Mandeln setzen. Jemanden eine Ehrensäule setzen. Gränzzeichen setzen. Bäume setzen, pflanzen. Etwas aus der Hand setzen.

Daher die figürlichen R.A. Jemanden zur Rede setzen, Rechenschaft wegen seines Betragens von ihm fordern. Ziel und Maß setzen, vorschreiben. Sich zur Wehre setzen, oder stellen, sich widersetzen. Die sich wider mich setzen, 2 Mos. 22, 40. Etwas aus den Augen setzen, nicht die gehörige Aufmerksamkeit darauf richten. Etwas hintenan setzen, es zurück setzen, in ähnlichem Verstande. Den Wellen einen Damm entgegen setzen, einen Damm wider die Wellen aufführen.[64]

(2) Figürlich.

(a) Feuer setzen, im Bergbaue, Holzstöße um das Gestein her setzen, und selbige anzünden, um das Gestein dadurch mürbe zu brennen.

(b) Von verschiedenen Thieren ist setzen so viel als werfen, gebähren, da es denn bey den Jägern besonders von den Hirschkühen, Rehen und Hasen üblich ist.

(c) Besonders mit dem Nebenbegriffe der Festigkeit, der Dauer.

ά) Verordnen, in welcher Bedeutung es ehedem noch häufiger war. Eine Zeit, einen Tag zu etwas setzen. Jemanden zum Vormund, zum Bürgen, zum Richter u.s.f. setzen. Einen an eines andern Stelle setzen. Den Bock zum Gärtner setzen. Geld auf jemandes Kopf setzen. Den Preis setzen, bestimmen. Zur gesetzten Stunde. S. auch Gesetz und Satzung.

β) Als wahr oder richtig annehmen. Setzen sie das grausamste, das mir begegnen könnte. Ich will den Fall setzen, daß er nicht käme, ich will annehmen, daß u.s.f. Etwas zum voraus setzen, es als nothwendig wahr und existirend annehmen. Es soll geschehen, aber ich setze dabey zum voraus, daß er seinen Willen dazu gbit, d.i. unter der Bedingung, daß er u.s.f. Die wahre Freundschaft setzet allezeit gegenseitige Verdienste voraus, Gell. Die Einheit oder das Ganze setzt nothwendig die Vielheit der Theile voraus, Sulz.

So wird auch das Mittelwort gesetzt als ein Nebenwort gebraucht. Gesetzt, daß er nicht käme, oder gesetzt, er käme nicht. Gesetzt, su hättest beßre Sitten,


So ist der Vorzug noch nicht dein,

Gell.


Voraus gesetzt, daß sich das einmahl so fügen würde. Gesetzt auch, daß meine Lebensart nicht recht nach der Mode wäre, so ist sie doch ruhig, Gell.

3. In noch weiterer Bedeutung, ein Ding an einen bestimmten Ort bringen.

(1) Eigentlich, wo doch zugleich viel auf den Gebrauch ankommt, ob dieser in jedem Falle setzen oder ein anderes Zeitwort eingeführet hat. Gott setzte Lichter an die Feste, 1 Mos. 1, 17. Den Hut auf den Kopf setzen. Einem den Degen auf die Brust, das Messer an die Kehle setzen. Zu einer Zahl noch etwas hinzu setzen. Jemanden unter die Heiligen setzen. Jemanden in das Gefängniß setzen, im gemeinen Leben nur schlechthin, ihn setzen. Etwas zum Pfande setzen. Jemanden Schröpfköpfe setzen. Zusammen setzen. Jemanden den Kopf zurecht setzen, figürlich. Da es denn als ein allgemeines Wort oft statt eines besondern gebraucht wird, welches die Art und Weise näher bestimmt. Ein Stück Zeug an das andere setzen, nähen. Knöpfe, Tressen auf ein Kleid setzen. Bey den Buchdruckern ist setzen, die Schriften, d.i. gegossenen Buchstaben, aus den Fächern des Schriftkastens nehmen, und sie in Sylben, Wörter, Zeilen und Seiten zusammen setzen. S. Setzer.

(2) Figürlich in vielen besondern Arten des Ausdrucks. Geld in die Lotterie setzen, oder auch nur, in die Lotterie setzen. Etwas auf das Spiel setzen. Sein ganzes Vermögen daran setzen, dabey wagen. Leib und Leben daran setzen, es zur Erreichung einer Absicht wagen. Jemanden auf die Probe setzen, ihn probieren. Etwas ins Geld setzen, es verkaufen, um bar Geld dafür zu bekommen. Wir wollen alles, was wir noch von Kostbarkeiten haben, ins Geld setzen, Weiße. Eine verworrene Sache aus einander setzen, sie ordentlich vortragen und dadurch deutlich machen. Jemanden etwas in den Kopf setzen. Ich weiß nicht, wer ihr den wunderlichen Gedanken von der Freyheit in den Kopf gesetzt hat, Gell. Mißtrauen in etwas[65] setzen. Seine Hoffnung, sein Vertrauen auf etwas setzen. Seinen Ruhm, seine Ehre in etwas setzen, es für Ruhm, für Ehre halten. Er scheinet etwas darin zu setzen, daß u.s.f. eine Art des Vorzuges darin zu suchen.

4. Endlich wird dieses Zeitwort auch noch in vielen besondern Ausdrücken gebraucht, eine Hervorbringung einer gewissen Veränderung, eines gewissen Zustandes zu bezeichnen. Ein Land unter Wasser setzen, es mit Wasser überschwemmen. Jemanden außer Stand setzen, etwas zu thun. Er setzet mich durch seine gar zu große Sparsamkeit außer Stand (nicht außer den Stand) jemanden Gefälligkeit zu erzeigen, Gell. Eine Sache wieder in den vorigen Stand setzen. Jemanden außer Thätigkeit setzen. Die Triebfedern, wodurch die Natur ihn in Thätigkeit setzt. Ich will die Sache außer Streit gesetzt sehen. Eine Person oder Sache in Bewegung setzen. Sich in den Marsch setzen, anfangen zu marschieren. In Unruhe setzen, unruhig machen. Sich in Gefahr, in Unkosten, in Schaden, in Vorschuß setzen. Sich bey jemanden in Gunst setzen. Einen Gefangenen in Freyheit, auf freyen Fuß setzen. Etwas ins Werk setzen. In Erstaunen, in Furcht, in Schrecken setzen, aber nicht in Freude, in Hoffnung u.s.f. setzen. Ein Lied in Noten setzen, es componieren.

So auch das Setzen. Das Hauptwort die Setzung ist in den Zusammensetzungen üblicher als für sich allein.

Anm. Dieses Activum oder vielmehr Factitivum lautet schon im Isidor und bey dem Kero sezzan, bey dem Ulphilas mit einer andern Ableitungssylbe satjan, im Nieders. setten, Angels. sattan, im Schwed. sätta, im Pohln. sadze. Die Verstärkung des Mitlautes vor der Endung en deutet auf ein Intensivum. Das einfachere Stammwort scheinet noch in dem alten Niederd. saten, dem Engl. to set, dem Isländ. seta, und Schwed. sätta, setzen, übrig zu seyn. Überdieß ist im Nieders. saden, sadigen, beunruhigen. Das Griech. σάττειν, auflegen, ἑξειν, und εζειν, setzen, und das Hebr. שות, setzen, sind ohne Zweifel damit verwandt. Da in den eigentlichern Bedeutungen der Begriff der Niedrigkeit sehr merklich hervor sticht, denn wer sich setzt, wird niedriger, als wenn er stehet, daher dafür auch niederlassen üblich ist: so scheinet es mit sitzen von dem Niederdeutschen siet, niedrig, abzustammen. S. Seit und Sitzen. Die Oberdeutsche Conjugation ich satzte, gesatzt, ist im Hochdeutschen veraltet, aber doch noch in dem Hauptworte Satz übrig.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 63-66.
Lizenz:
Faksimiles:
63 | 64 | 65 | 66
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon