Umgehen

[804] Umgehen, verb. irreg. S. Gehen. 1. Úmgehen, ich gehe um, umgegangen, umzugehen, ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn.

1) Um seine Achse gehen, sich um seine Achse drehen. Das Rad geht um. Figürlich ist es im gemeinen Leben einiger Gegenden so viel als zu Ende gehen, um seyn. Wenn das Jahr umgegangen ist, besser zu Ende gegangen ist. Nach einer andern Figur sagt man im Hüttenbaue, die Hütten gehen um, wenn in denselben geschmelzet wird.

2) Herum gehen, umher gehen. (a) Eigentlich; wo es doch in der edlen Schreibart veraltet ist. Schon bey dem Notker umbegaan. Ich will in der Stadt umgehen auf den Gassen, Hohel. 3, 2. Die Wächter, die in der Stadt umgehen, V. 3. Nimm die Harfe, gehe in der Stadt um, Es. 23, 16. (b) Figürlich sagt man im gemeinen Leben, es geht in dem Hause um, wenn sich Gespenster in demselben vermerken lassen; wo es aber das Hülfswort haben bekommt.


In meinem Keller selbst gehts um,

Ich hör oft ein Gesause,

Less.


3) Im Kreise herum gehen. (a) Eigentlich. So sagt man noch, wenn man schwindlich ist, das ganze Zimmer gehet mit mir um, wenn es sich im Kreise herum zu drehen scheinet. (b) In engerer Bedeutung ist umgehen, im Gehen einen Umweg nehmen, nicht den geraden und möglichst kürzesten Weg gehen. Wir sind eine ganze Meile umgegangen.

4) Mit etwas, mit jemanden, auf etwas umgehen, lauter figürliche Bedeutungen einer unbekannten eigentlichen, oder, wo wenigstens das Mittel der Vergleichung dunkel ist. Da die Deutsche Sprache viele Ausdrücke nach dem Lateinischen gemodelt, und oft buchstäblich übersetzt hat, so scheinet es fast, daß umgehen hier nach dem Lat. versari gemodelt worden, welches man von vertere abgeleitet, da denn diese R.A. Figuren der vorigen dritten oder auch der ersten Bedeutung seyn würden. Das Schwed. omgå hat eben dieselben Bedeutungen. (a) Mit etwas umgehen, sich damit beschäftigen, damit zu thun haben; doch eben auch nicht in allen Fällen. Mit Wolle, mit Flachs, mit Federn umgehen. Womit man umgeht, das klebt einem an. Es sind Leute, die mit Vieh umgehen, 1 Mos. 46, 32. Mit Lügen, mit Ränken, mit bösen Streichen umgehen, Fertigkeit besitzen, sich ihrer zu bedienen. Stets mit Gottes Wort umgehen, sich damit beschäftigen, Sir. 14, 22. Mit Weißagen und Zaubern umgehen, 2 Kön. 17, 17; ist ungewöhnlich, indem umgehen nur alsdann üblich zu seyn scheinet, theils, wenn der Gegenstand ein eigentliches Hauptwort ist, theils auch, wenn derselbe eine unerlaubte oder gleichgültige Sache ist. Doch sagt man noch mit der Wahrheit umgehen, die Wahrheit reden, 1 Mos. 42, 16; aber nicht mit Rechtschaffenheit, mit Tugend umgehen. (b) Mit oder auf etwas umgehen, bedeutet oft auch, es vorhaben, es auszuführen suchen, auch nur von entweder gleichgültigen, oder unerlaubten Dingen. Mit einer Reise oder auf eine Reise umgehen, sie ins Werk zu richten suchen. Sein Herz gehet mit Unglück um, Es. 32, 6. Ich weiß, worauf der Junker umgeht, Weiße. Auf große Dinge oder mit großen Dingen umgehen, auf Krieg umgehen. Hingegen sagt man nicht, auf eine gute Handlung, mit einem guten Werke u.s.f. umgehen. (c) Mit jemanden umgehen, mehrmahls in gesellschaftlicher[804] Absicht mit ihm zusammen kommen, Umgang mit ihm haben. Mit vielen Personen umgehen. Nur mit rechtschaffenen Leuten umgehen. Es ist nicht gut mit ihm umgehen. S. Umgang. (d) In einem andern Verstande gebraucht man diese R.A. die Art und Weise der persönlichen Behandlung oder Begegnung, zu bezeichnen. Gütig, freundlich, gelinde mit jemanden umgehen, ihn so behandeln. Am häufigsten von einer nachtheiligen Behandlungsart. Hart, grausam, schimpflich mit jemanden umgehen. Der Herr wird wunderlich mit dir umgehen, 5 Mos. 28, 59. Sie gehen schändlich mit mir um, 1 Chron. 11, 4.

2. Umgéhen, ich umgehe, umgangen, zu umgehen, ein Activum, um etwas herum gehen, mit dessen Meldung in der vierten Endung. 1) Eigentlich. Eine Stadt, einen Wald umgehen, rings um dieselben herum gehen. Man kann die Stadt in einer Stunde umgehen. In engerer Bedeutung umgehet man die Gränzen, oder eine Flur, wenn sie von den dazu verordneten Geschwornen besichtigt werden, wofür an einigen Orten auch untergehen üblich ist. S. Umgang und Umgänger. 2) Figürlich sagt man, man könne etwas umgehen, sowohl, wenn man es vermeiden, demselben ausweichen kann, wenn man umhin kann es zu thun, als auch zuweilen, wenn man es entbehren kann. Ich habe nicht umgehen können, dir solches zu melden. Indessen ist dafür im Hochdeutschen Umgang haben oder nehmen üblicher, S. dieses Wort.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 804-805.
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