V

[973] V, der zwey und zwanzigste unter den Deutschen Buchstaben und der siebzehente unter den Mitlautern, welcher seiner heutigen gewöhnlichsten Aussprache nach dem f gleich lautend ist, er stehe zu Anfange eines Wortes, Vater, viel, voll, Volk, oder am Ende, brav, massiv, oder auch in der Mitte, Larve, Nerve, Pulver. In dem letztern Worte wird es von vielen gelinde, wie ein w gesprochen, welche Aussprache es auch bekommt, wenn es in der Mitte zwischen zwey Selbstlautern stehet; wie in Frevel, Stüver, Sclave, wo es wie ein w oder sanftes b ausgesprochen wird.

Die Deutschen haben diesen Buchstab mit dem ganzen übrigen Alphabete von den Lateinern angenommen. Allein, bey diesen hatte er, aus Armuth an Schriftzeichen, einen sehr mangelhaften Gebrauch. In ihrer größern Schrift mußte das V sowohl den Selbstlaut u, als auch den gelindern Blaselaut, ausdrücken, für welchen wir jetzt das w haben, und ob sie gleich in ihrer spätern kleinern und Current-Schrift zwey verschiedene Zeichen u und v annahmen, so waren doch die Schreiber durch die ältere größere Schrift schon so sehr verwöhnt, daß der Gebrauch der letztern sehr unbestimmt und schwankend wurde.

Diese Verwirrung schlich sich mit der Schrift auch in die Deutsche Schreibart ein. Zwar half man einem Theil derselben dadurch ab, daß man für den sanftern Blaselaut, welchen das V, v oder u, wenn es das Zeichen eines Mitlauters war, ausdrucken mußte, das w annahm und nicht Vein, vehe mir, Vind und u.s.f. sondern Wein, wehe, Wind schrieb; allein, sie ward auf der andern Seite wieder vermehret, indem man das v nicht nur als völlig gleich bedeutend mit dem f gebrauchte, welches die Lateiner nicht thaten, bey welchen es, wenn es ein Mitlaut war, wie unser w lautete, sondern es auch nach Art derselben anstatt des Selbstlautes u schrieb. Im ersten Falle schrieb man ohne Unterschied Fater und Vater, fon und von, Folk und Volk, im zweyten aber vnnd und und, dauon und davon.

Nach und nach ward die Rechtschreibung einförmiger, und der Mitlauter v theilte sich mit dem f in diejenigen Fälle, in welchen der harte Blaselaut Statt fand, obgleich diese Theilung sehr ungleich und willkührlich geschahe, indem man sich dabey bloß nach dem Gebrauche richtete, und bald das f, bald aber auch das v schrieb, so wie dieses oder jenes allgemeiner geworden war. Man schrieb daher Volk, behielt aber das f in dem Stammworte folgen; auf ähnliche Art entstanden die Ungleichheiten in der Schreibart der Wörter viel, voll und Fülle, füllen, vor und für u.s.f. Einige Wörter hat man noch sehr lange sowohl mit einem v, als mit einem f, geschrieben; z.B. Vehwamme und Fehwamme, vest und fest, und in manchen Gegenden schreibt man sie noch jetzt mit dem v.

In solchen Fällen nun, wo der Gebrauch schwankend zu seyn scheinet, erkläret man sich billig allemahl für das f, weil dieses in den allermeisten Fällen zur Bezeichnung des harten Blaselautes angenommen ist, dagegen man das v vergleichungsweise nur in einigen wenigen beybehalten hat. Es ist nur die Frage, ob man es nicht auch in diesen wenigen verbannen und dafür das bessere f einführen könne. Da f und v unserer Aussprache nach, völlig gleich lautend sind, das letztere sich auch nur durch einen Mißbrauch anstatt des erstern eingeschlichen hat, so wäre es allerdings zu wünschen,[973] daß die ersten Schreiber und Schriftsteller dasselbe vermieden hätten. Allein, da die ganze Nation diese Ungleichheit einmahl angenommen, und dadurch stillschweigend gebilliget hat, so kann solche auch nicht anders, als durch ihre allgemeine Einwilligung, wieder abgeschaffet werden, wozu heutiges Tages keine vernünftige Hoffnung ist. Es sind daher alle Bemühungen einzelner Sprachlehrer seit mehr als hundert Jahren in diesem Stücke fruchtlos gewesen und haben ihnen keinen andern Vortheil gebracht, als daß man sie als Sonderlinge verlacht hat, und man kann mit Gewißheit behaupten, daß die Bemühungen derer, welche sich in den neuesten Zeiten zu Sprach- und Schriftverbesserern aufwerfen, kein besseres Schicksal haben werden. Überdieß würde die Verwirrung, welche eine so wesentliche Veränderung, als die Ausstoßung eines ganzen allgemein angenommenen Buchstabens ist, weit mehr Nachtheil verursachen müssen, wenn sie auch gewisser Maßen allgemein werden sollte, als der kleine etwa damit verbundene Nutzen wieder ersetzen könnte.

Was den Gebrauch des v anstatt des u betrifft, so hat sich derselbe sehr lange erhalten, wozu bey Wiederherstellung der alten Römischen Litteratur die Pedanterey einiger Lateinischen Gelehrten das ihrige beytrug, welche das u zu Anfange eines Wortes mit v und in der Mitte mit u ausgedruckt wissen wollten; eine Pedanterey, welche sich, so seltsam und thöricht sie auch ist, doch sehr lange erhalten hat. Allein, endlich behaupteten Vernunft und Geschmack ihr Recht, wenigstens in der Deutschen Schreibart, und zeigten ihnen, wie seltsam es sey, vnd zu schreiben, und nunmehr ward der Mitlaut v mit fast einstimmiger Bemühung überall verbannet.

Ein Überbleibsel des alten Vorurtheils, das u und v als einen und eben denselben Buchstaben zu betrachten, hat sich indessen noch bis auf unsere Zeiten erhalten, und dieser bestehet darin, daß man in allen Registern und alphabetischen Verzeichnissen, den Selbstlaut u mit dem Mitlaut v vermengt, und die damit anfangenden Wörter nach Maßgebung des folgenden Buchstabens ordnet. Wie seltsam diese Vermischung zweyer in der Gestalt und Aussprache so verschiedener Buchstaben ist, wofür man keinen andern Grund hat, als weil die alten Römer in ihrer großen Schrift, aus Armuth an Schriftzeichen, für beyde nur Einen Buchstab hatten, darf wohl nicht erst gesagt werden. Es wird also auch nicht erst einer Entschuldigung bedürfen, daß ich in diesem Wörterbuche U und V, als zwey verschiedene Buchstaben, so wie sie es wirklich sind, behandelt habe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 973-974.
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