Verdrießen

[1018] Verdrießen, verb. irreg. ich verdrieße, du verdrießest, (Oberd. verdreußest,) er, es verdrießt (Oberd. verdreußt,); Imperf. verdroß, Conj. verdrösse; Mittelw. verdrossen. Es ist ein unpersönliches Zeitwort, welches mit der vierten Endung der Person und der ersten der Sache verbunden, zuweilen aber auch persönlich gebraucht wird, welches doch nur in der dritten Person geschehen kann.

1. * Unlust erwecken, in dem weitesten Umfange dieser Bedeutung. Es, oder die Sache verdrießt mich, erweckt mir Unlust, ich empfinde Unlust darüber. Es ist in dieser weitern Bedeutung[1018] veraltet, indessen ist verdrießlich, so fern es unlustig überhaupt bedeutet, noch von derselben übrig. Man gebraucht es nur noch,

2. in engerer Bedeutung, von verschiedenen Arten der Unlust.

(1) * Mißfallen, Unlust über das Verhalten anderer. Da verdroß sie es sehr, daß ein Mensch kommen wäre, der Gutes suchte für die Kinder Israel, Nehem. 2, 10. Drey Stücke sind, denen ich von Herzen feind bin, und ihr Wesen verdreußt (verdrießt) mich übel, Sir. 25, 3. Welches sie gar übel verdroß, Weish. 12, 27. Mich verdreußt die Hoffarth Jacob, Amos 6, 8. Es ist auch in dieser Bedeutung im Hochdeutschen veraltet, noch mehr aber, wenn der persönliche Gegenstand mit dem Vorworte auf ausgedruckt wird. Es verdreußt mich auf sie, daß sie sich wider dich setzen, Ps. 139, 21. Üblicher ist es,

(2) in engerer Bedeutung, von der Unlust über eine empfangene Beleidigung, wo es einen von außen merklichen aber doch geringern Grad der Unlust bezeichnet, als kränken, schmerzen u.s.f. eine Unlust, welche durch beleidigten Stolz erweckt wird. Es ist zwischen gleichen Personen am üblichsten. Verdrießt dich das? Es verdroß ihn, da man ihn der Faulheit beschuldigte. Wie kann dich das verdrießen? Gell. Ingleichen zuweilen persönlich, doch nur in der dritten Person und von Sachen. Dieser Vorwurf verdroß mich.


Dem (den) Gratulant (Gratulanten) verdroß die angethane Schmach,

Zach.


Ingleichen, obgleich in dieser Bedeutung seltener, mit dem Zeitworte lassen, sich etwas verdrießen lassen, Unlust darüber empfinden.

(3) * Unlust über die anhaltende Fortdauer einer Sache. Mich verdreußt zu leben, 1 Mos. 27, 46. Meine Seele verdreußt mein Leben, Hiob 10, 1. Wo es im Oberdeutschen auch wohl mit der zweyten Endung der Sache gebraucht wird. Mich verdrießt meines Lebens. Wanta mih der uuerlte bedruzet, Willer. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo dafür überdrüßig seyn und werden üblich ist. Die Niedersachsen sagen noch, es soll ihn endlich wohl verdrießen, er soll es schon überdrüssig werden.

(4) Unlust über anhaltende Beschwerden; eine im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart übliche Bedeutung. Thes Ganges thih n' irthruzzi, Ottfr. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur noch mit dem Zeitworte lassen. Er läßt sich die geringste Arbeit verdrießen. Am häufigsten mit der Verneinung. Ob dirs sauer wird mit deiner Nahrung und Ackerwerk, das laß dich nicht verdrießen, Sir. 7, 16. Gott lob, daß ich mich keine Mühe dauern und auch um einen Pfennig keinen Weg verdrießen lasse, Gell.

Das Mittelwort verdrossen wird daher sehr häufig als ein eigenes Beywort im intransitiven Verstande gebraucht, geneigt und Fertigkeit besitzend, über jede Bewegung, und in weiterm Verstande, über jede eigene Thätigkeit Unlust zu empfinden, und darin gegründet; träge mit Widerwillen. Zu etwas verdrossen seyn. Ein verdrossener Mensch. Das Volk war verdrossen auf dem Wege, 4 Mos. 21, 5. Ein Weib, da der Mann keine Freude an hat, die macht ihn verdrossen zu allen Dingen, Sir. 25, 31. Werdet nicht verdrossen Gutes zu thun, 2 Thess. 3, 14.


Die Munterkeit erstarb in der verdroßnen Menge,

Zachar.


Jemanden verdrossen machen. Daher die Verdrossenheit.

[1019] (5) Unlust über eine Handlung, die man entweder schon begangen hat, für gereuen, oder während des Begehens derselben; wo es im Hochdeutschen nur in der vertraulichen Sprechart, und auch hier nur mit dem Zeitworte lassen und der Verneinung gebraucht wird. Du sollst ihm geben, und dein Herz nicht verdrießen lassen; daß du ihm gibst, 5 Mos. 15, 10. Lassen sie sichs nicht verdrießen, diese Kleinigkeit an ihn gewandt zu haben. Er läßt sich keine Kosten verdrießen, es gereuen ihn keine Kosten.

Anm. Schon bey dem Ottfried firthriezen, im Nieders. verdreten; mit andern Vorsylben, bey dem Ulphilas usthriutan, bey dem Notker irdriezen, pedriezen. Das einfache drießen, ist längst veraltet, aber die Oberdeutschen haben davon noch Druße, Plage, und die Niederdeutschen Dröte, Verdruß. In verschiedenen mit der Deutschen verwandten Sprachen hat dieses Zeitwort mit seinen Verwandten in den verschiedenen Bedeutungen auch verschiedene Formen. Im Schwed. ist Förtret, Beschwerde, und förtreda, Beschwerde, Unlust erwecken, fortryta aber, gereuen, beneiden, ermüden; trött ist eben daselbst träge, müde, Ißländ. thrit, und trötta, müde machen, tryta, kraftlos, förtryta, aufhören, tryta aber, Überdruß und Unlust über etwas empfinden; und schon bey dem Ulphilas ist ustrudjan, schwach, müde werden, abnehmen, usthriutan aber, Überdruß erwecken. Es kann seyn, daß in einigen dieser Wörter verschiedene Stammbegriffe zum Grunde liegen; allein im Deutschen scheint, um des einförmigen unpersönlichen Gebrauches willen, nur ein einziger Statt zu finden, zumahl, da alle dem Anscheine nach verschiedene Bedeutungen sehr leicht und natürlich aus einander herfließen. Horneck gebraucht für verdrießen auch betragen und pevillen. Die Wortfügung mit der zweyten Endung der Sache, welche im Oberdeutschen in mehrern Bedeutungen üblich ist, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. S. auch Verdruß.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1018-1020.
Lizenz:
Faksimiles:
1018 | 1019 | 1020
Kategorien: