Wähnen

[1342] Wähnen, verb. regul. neutr. welches das Hülfswort haben bekommt. 1. * Dafür halten, meinen, glauben, im weitesten Verstande; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, worin es aber in den ältern Oberdeutschen Schriften häufig vorkommt. Ih uuan, ich glaube, halte dafür, heißt es mehrmahls im Ottfried. 2. Auf eine irrige, ungegründete Art dafür halten, aus irrigen Gründen muthmaßlich schließen; in welcher Bedeutung es nur noch allein üblich ist. Ihr sollt nicht wähnen, daß ich kommen bin, das Gesetz aufzulösen, Matth. 5, 17. Daß nicht jemand wähne, ich sey thöricht, 2 Cor. 11, 16. Indessen fängt es auch in dieser Bedeutung an, weniger gebraucht zu werden, indem in den meisten Fällen, wo das ungegründete zugleich mit bezeichnet werden soll, sich einbilden gebraucht wird. So auch das Wähnen.

[1342] Anm. Bey dem Kero uuanan, bey dem Ulphilas wenjan, im Angelsächsischen wenan, im Engl. to ween, im Niedersächsischen wanen, im Schwedischen vänta. Aus der Endsylbe nen erhellet, daß dieses Verbum ein Intensivum oder vielmehr Iterativum ist, wie sehnen, gähnen, dehnen u.s.f. Die einfachere Form, wovon jenes abgeleitet ist, kommt noch im Ottfried vor, wo wahen, Meldung thun, erzählen, erwähnen bedeutet. Noh in themo uuahen thiu uuort ni missi fallen; und so in andern Stellen mehr, S. Schilters Gloss. v. wahen. Mit dieser Bedeutung des Verbi wahen sind die Lateinischen fari, vates, u.s.f. verwandt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1342-1343.
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