Wüst (2)

[1636] 2. Wüst, -er, -este, adj. & adv. von Menschen und Arbeiten des menschlichen Fleißes verlassen. 1. Im eigentlichen Verstande, für unbewohnt, ungebauet. Ein Haus stehet wüst, wenn es nicht bewohnet wird. Ein Acker liegt wüst, wenn er nicht gebauet wird. Eine wüste Insel, eine unbewohnte. Ein wüstes Land. 2. Figürlich, verwildert, verworren, im hohen Grade unordentlich. Ein wüster Mensch, von wilden, rohen, ungeordneten Sitten. Ein wüstes Leben führen, ein im hohen Grade unordentliches. Wüste Sitten. In einem etwas andern Verstande sagt man, der Kopf ist mir wüst, wenn sich verworrene Ideen in demselben durchkreutzen. Ein lautes Getöse, ein vorher gegangener Rausch u.s.f. machen den Kopf wüst. 3. Das wüste Gerinne, bey den Wassermühlen, dasjenige Gerinne, welches das wilde, oder überflüßige Wasser abführet, sonst auch das Freygerinne.

Anm. Dieses alte Wort lautet von den frühesten Zeiten an, wuost, und ist mit dem Lat. vastare, wüst machen, dem Slavon. pusti, wüst, genau verwandt, woraus dessen Alter und weiter Umfang hinlänglich erhellet. Aber auch eben dieses hohe Alter macht den ursprünglichen Begriff, und zugleich den Unterschied von dem ähnlichen öde sehr dunkel. In öde ist der Begriff der Leere zuverläßig der herrschende; aber in wüst scheint es der Begriff der Verwilderung, der durch Abwesenheit menschlicher Cultur bewirkten Unordnung zu seyn. S. Wüsten. Überdieß ist wüst[1636] im gesellschaftlichen Leben üblicher, als öde, welches mehr den höhern Schreibarten eigen ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1636-1637.
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