Zähre, die

[1650] Die Zähre, plur. die -n, Diminut. das Zährchen, Oberd. Zährlein, ein mit Thräne gleich bedeutendes Wort, nur daß es in dem gemeinen Sprachgebrauche wenig, oder gar nicht mehr vorkommt, sondern nur noch in der dichterischen und höhern Schreibart gebraucht wird. Vielleicht begleiten einige wenige deine Zähre mit der ihrigen.


Er lief't, und eine fromme Zähre

Fließt von des Helden Angesicht,

Gell.


Dem starren Aug' entfiel der Wehmuth sanfte Zähre,

Weisse.


Anm. Schon im Kero, Ottfried u.s.f. Zahar, Zaher, im Angels. und Engl. Tear, im Schwed. Tår, Isländ. Deor, bey dem Ulphilas Tagr, in Bretagne Daigr, welches mit dem alten Lateinischen Dacryma für Lacryma, und dem Griech. δάκρυ überein kommt. Daß aber unser Zähre zu eben derselben Verwandtschaft gehöret, und sich bloß durch Milderung des Hauchlautes, unterscheidet, scheinet auch daraus zu erhellen, weil dieses Wort noch im Ottfried Zachar lautet. Das Nieders. Tier, Geschrey, Wehklagen, Lärm, scheinet nicht hierher, sondern zu einem andern Stamme, zu gehören. Wachter macht einen sonderbaren, wenigstens überaus willkührlichen Unterschied, zwischen Thräne und Zähre, indem jenes bloß von dem Weinen und Schmerz, dieses aber von allen aus dem Auge rinnenden Tropfen gebraucht werden soll; ein Unterschied, welcher wider allen Sprachgebrauch, auch wider die Abstammung ist. Von Zähre ist zwar die Stammbedeutung jetzt unbekannt; allein von Thräne ist es das Rinnen. Wäre so ein Unterschied zwischen beyden Wörtern, als Wachter will, so müßte vielmehr Thräne in der weitesten Bedeutung von jedem Tropfen gebraucht werden. Allein, wie gesagt, es ist zwischen beyden kein anderer Unterschied, als welchen die Würde macht. Thräne ist allen Arten des Styles gerecht; allein Zähre wird nur noch in der höhern Schreibart gebraucht.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1650.
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