Angelique Francoise Roland

[308] Angelique Francoise Roland, die Gattin des Ministers, hat in der Französischen Revolution beinahe noch größeres Aufsehen erregt, als ihr Gemahl. Ihr Vater hieß Philipon, und war Kupferstecher zu Paris. Er gab seiner Tochter eine gute Erziehung, und ließ sie in verschiednen Wissenschaften und Künsten unterrichten. Sie fand selbst so viel Geschmack an Leetüre und wissenschaftlichen Beschäftigungen, daß sie den jugendlichen Vergnügungen ganz entsagte, sich in die Einsamkeit zurückzog, und unaufhörlich mit Büchern beschäftigt war. Sie studirte Geschichte, Theologie und Philosophie, las Dichter und löste mathematische Aufgaben. Ihre Aeltern wünschten sie bald verheirathet zu sehen; allein sie verwarf, ungeachtet ihre schöne Bildung eine Menge Bewerber herbeiführte, alle Anträge, weil sie ihren hohen Erwartungen nicht entsprachen. Die Lectüre einiger Werke über Griechenland und Nom hatte ihr ein großes Interesse für die republikanische Verfassung eingeflößt, und sie beseufzte daher schon lange vor der Revolution die despotische Verfassung ihres Vaterlandes. Nachdem sie sich endlich zu der Verbindung mit dem schon bejahrten Roland, dessen düstern Mienen keinen gemeinen Mann ankündigten, entschlossen hatte, verließ sie Paris auf einige Zeit, und lebte mit ihrem Mann auf einem Dorfe unweit Lyon ganz eingezogen. Die häuslichen Geschäfte, die sie mit aller Pünktlichkeit verwaltete, ließen ihr doch noch Zeit, um die gelehrten Beschäftigungen nicht ganz zu vernachläßigen. Sie schrieb Briefe, historische Aufsätze, Gedichte [308] und sogar eine Predigt. Ohne Zweifel wünschte sie sich eine Gelegenheit, wo ihre Verdienste in einem hellern Licht glänzen könnten; und diese fand sich, als ihr Mann Minister ward. Sie half ihm mit unermüdendem Eifer in den Geschäften seines Departements, schrieb die öffentlichen Anschläge, fertigte Adressen aus, hatte ein wachsames Auge auf seine Untergebnen, und beobachtete die Schritte der übrigen Minister. Mit dem Hofe scheint sie nie in näherer Verbindung gewesen zu sein. Der Patriotismus des Königs war ihr immer sehr verdächtig; und mit der Eitelkeit der Königin konnte sich ihre eigne nicht vertragen. Wöchentlich ein Mal war in Rolands Hotel eine Zusammenkunft von Gelehrten, Conventsmitgliedern und Ministern, wobei Madame Roland den Vorsitz führte, und ihre Ideen über Staatssachen bekannt machte. Ihr Gemahl verlangte, daß ihr alles mitgetheilt werden möchte, was im Staatsrath vorfiel; allein Dümouriez, dem man doch gewiß die Artigkeit gegen Damen nicht absprechen kann, fand diese Anmaßung so übertrieben, daß er deßwegen mit Roland uneins wurde. Madame Roland ließ sich dadurch nicht abschrecken, sondern verschaffte sich vielmehr in der Zeit, da ihr Mann zum zweiten Mahle Minister war, einen noch größern Einfluß auf die Staatsgeschäfte; der hämische Brief, den sie im Namen des Französischen Staatsraths an den Papst schrieb, ist ein Beweis davon. Sie war eigentlich anstatt ihres Mannes Minister, und fühlte diese polltische Wichtigkeit so sehr, daß sie sich in ihren Schriften mit vielem Vergnügen an die Zeit erinnert, wo sie (wie sie selbst sagt) im Ministerium saß. Der Fall ihres Mannes zog den ihrigen nach sich. Sie wurde verhaftet, und endlich von dem Revolutionsgericht zur Guillotine verurtheilt. Sie starb am 5. Dez. 1793 im neun und dreißigsten Jahre ihres Alters mit der größten Standhaftigkeit. Noch im Kerker schrieb sie ihr eignes Leben auf und verfaßte mehrere Aufsätze über die Revolution. Im erstern erzählt sie mit scharfem Beobachtungsgeist, aber auch mit ungemeiner Selbstgefälligkeit, die Geschichte ihrer Bildung und die Entwicklung ihres Geistes; in den letztern liefert sie treue Charakterschilderungen der damahls besonders merkwürdigen Personen. Ungerne übergeht sie eine Gelegenheit, wobei sie die Verdienste ihres Mannes bemerkbar machen kann, mit Stillschweigen; aber dieses geschieht [309] nur deßwegen, damit ihre eignen desto mehr glänzen sollen, weil ihr Mann kein wichtiges Unternehmen ausführte, ohne es ihr vorher mitgetheilt und sie um Rath gefragt zu haben. Ein gewisser gelehrter Stolz, und die Eitelkeit, welche aus dem Bewußtsein ihrer körperlichen Schönheit entsprang, erzeugten ein sonderbares Gemisch in ihrem Charakter, und verdunkelten ihre übrigen unläugbaren Vorzüge.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 308-310.
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