[297] Anne Louise Karschin, geborne Dürbach. Diese beliebte Deutsche Dichterin verdient wegen ihrer Lebensgeschichte sowohl, als wegen der originellen Ausbildung ihres Geistes bemerkt zu werden. Sie wurde 1722 den 1. December in einer adlichen Meierei unweit Schwibus an der Schlesischen Gränze geboren, und nach dem frühzeitigen Tode ihres Vaters, eines Pachters und Bierbrauers, bei ihrem Onkel, einem Amtmann, in den Anfangsgründen des menschlichen Wissens und auch in der Lateinischen Sprache unterrichtet. Ihr Genie und die Fortschritte, die sie in den Wissenschaften machte, brachten die Mutter auf den Gedanken, welchen nachher die Erfahrung nur allzu sehr bestätigte, daß sie gar nicht für die Hauswirthschaft sorgen würde; sie wurde also dem Onkel weggenommen, und mußte drei Jahre lang im mütterlichen Landgute die Kühe weiden. Allein sie fand bald Gelegenheit, ihrer Lieblingsneigung wieder nachzuhängen; sie machte auf der Flur Bekanntschaft mit einem sehr belesenen Hirtenknaben, der sie von Zeit zu Zeit mit verschiedenen, meisten Theils schlechten Büchern versorgte. Durch diese elende Lectüre, die sie nur heimlich treiben konnte, so wie durch ihr Naturgefühl und ihre lebhafte Phantasie entstanden nun ihre ersten, ohne alle Anweisung gemachten Gedichte, die man, ungeachtet vieler Fehler, dennoch nicht ohne Bewunderung lesen kann. Ihre Mutter, die sie zu nichts als zu einer guten Hausmutter bilden wollte, nahm ihr oft die Bücher weg, und bestimmte sie endlich einem Tuchmacher zu Schwibus, Hirsekorn, zur Gattin. Die Tochter hatte den Bräutigam nie gesehen, willigte gehorsam ein, und zog sich in der Ehe mit diesem geitzigen, zänkischen und mürrischen Mann unabsehbare [297] Qualen zu, die sich erst nach 11 Jahren durch eine Scheidung endigten, durch welche sie ihre ganze Mitgabe verlor und in die äußerste Armuth versetzt wurde. Sie irrte auf ein nahes Dorf, und lebte hier fast ein Jahr ganz hülflos. Um die durch die Scheidung erlittene Schmach ihrer Tochter auszulöschen, beschloß die zur Unzeit sorgsame Mutter, sie mit einem Handwerker, Karsch, zu verheirathen. Es gefiel dieser nicht im geringsten, ja sie haßte ihn wegen seiner beständigen Trunkenheit; allein die Mutter drohte, und unsere Dichterin verehlichte sich zum zweiten Mahle. Nun kam sie erst in die traurigste Lage. Ihr Mann verschwendete durch den Trunk sein ganzes Vermögen und das ihrige; und sie wurde gezwungen, sich durch die Poesie den nöthigsten Unterhalt zu verdienen. Sie machte daher, wo sie nur konnte, Gelegenheitsgedichte und Glückwünsche, reiste sogar viele Meilen weit im Lande umher, und declamirte aus dem Stegreif Verse, erwarb sich auch dadurch bald allgemeine Bewunderung und vieles Geld, welches jedoch ihr Mann sogleich wieder verthat. Sie wandte sich mit ihrem Mann von Fraustadt nach Großglogau: aber ihre Armuth nahm immer mehr zu; und ihr einziger Trost war, daß sie in dem dasigen Buchladen classische Schriften studiren konnte. Sie entfernte sich von ihrem Manne; und der Baron von Kottwitz war so großmüthig, sie in Berlin in sein Palais aufzunehmen und mit Kleidung und allen Bedürfnissen reichlich zu versehen (i. J. 1761). Hier eröffnete sich die glänzendste Periode ihres Lebens. Ihr Geist bekam einen neuen Schwung; man zog sie in die größten Gesellschaften, und bat sie, Gedichte sogleich niederzuschreiben oder ohne alle Vorbereitung herzusagen, welches ihr jedes Mahl vortrefflich gelang. Ramler, Sulzer, Krünitz u. A. m. unterstützten sie; Gleim gab ihre Gedichte i. J. 1763 heraus, und verschaffte ihr dadurch 2000 Thaler; sie bekam von dem Grafen von Stollberg-Wernigerode und Andern ansehnliche Jahrgelder: allein alles dieses reichte nicht zu, sie selbst, zwei Kinder und ihren Bruder zu ernähren. Friedrich II. der ihr eine Pension versprochen hatte, hielt nicht Wort; und als er ihr einst zwei Thaler zugeschickt hatte, schickte sie ihm dieselben mit folgenden bekannten Versen zurück:
[298] Zwei Thaler giebt kein großer König,
Denn die vergrößern nicht mein Glück;
Rein, sie erniedern mich ein wenig,
Drum gebʼ ich sie zurück.
Als aber der jetzige König den Thron betrat, ließ er ihr ein einträgliches Haus bauen. Allein sie konnte dieses Glück nicht lange genießen, denn sie starb den 12. Oct. 1791 zu Berlin an einer Entkräftung. Zwar hat sie die musterhaften neuern oder auch gleichzeitige Dichter unserer Nation nicht erreicht, viele Stellen in ihren Gedichten sind alltäglich oder prosaisch; indeß muß man, um gerecht zu sein, bedenken, daß sie sich im Anfange bloß durch sich selbst und nach schlechten Mustern bildete, und daß drückende Armuth sie nöthigte, mit der größten Geschwindigkeit Tag und Nacht Gedichte zusammenzusetzen. Ihre bessern Geisteswerke hat nach ihrem Tode i. J. 1792 ihre Tochter, die Frau von Klenke, weit vermehrter als ehedem Gleim, zu Berlin, und zum zweiten Mahl i. J. 1797 nebst ihrem Lebenslaufe herausgegeben.