[123] Barrere, Bertrand de Vieusak. Dieser in der Französischen Zeitgeschichte so fürchterlich merkwürdig gewordene Mann war vor der Revolution Advocat und Dichter in Toulouse, ein junger Mann von einem sehr einnehmenden Aeußern. Er war gewiß nicht zum Bösewicht geboren, so wenig als Brissot, mit welchem er in vieler Rücksicht Aehnlichkeit hat. Beide geben einen traurigen Beweis ab, wie weit ein Mann von Geist u. von Natur mit nicht schlechtem Herzen geführt werden könne, wenn er sich mit Privatleidenschaften in kritische Lagen wagt. Beide suchten durch die Revolution für ihren Stolz und (vorzüglich Brissot) für ihre Börse Nutzen zu ziehen; beide geriethen in gefährliche Lagen, in welcher oft schon die Selbsterhaltung zu Ungerechtigkeiten führt: und so wurden sie nach und nach zu Schritten verleitet, vor denen sie, hätten sie sie vorher gesehen, gewiß zurück gebebt sein würden. Allein Brissot hatte ohne Zweifel nicht nur mehr Moralität, sondern auch mehr Größe und Consistenz des Charakters als Barrere, von welchem, wenn man sich anders seine Handlungen vernünftig erklären will, ein Hauptzug Furcht und Schwäche war. Nie hat er den Muth gehabt, eine Partei zu bilden, sondern sich stets an die siegende angeschlossen; dieser Grundsatz ist das einzige, worin er sich gleich geblieben ist. Während der constituirenden Versammlung war er Verfasser vom Point du Jour. Noch war der Streit zwischen den Jacobinern und den Feuillants unentschieden, als sich Barrere mehr zu den letztern, jedoch nicht völlig, hielt; aber kaum hatte der 10. August diesen Streit zum Vortheil der erstern entschieden, so war er der wärmste Anhänger derselben. Vom 30. Nov. bis zum 14. Dec. 1792, also während des Verhörs des Königs, war er Präsident des Convents; hier stimmte er nicht nur für den Tod des Königs, sondern unterstützte auch den Vortrag auf die Vertreibung der Bourbonen. Während des ungewissen Streites zwischen dem Berge und der Gironde hüllte auch er seine Gesinnungen in Ungewißheit, und trat in dieser Rücksicht mit mehreren gemäßigten Vorschlägen auf: jetzt siegte der Berg; und Barrere schloß sich aufs engste an das-Haupt der siegenden Partei, an Robespierre, dessen Hauptorgan er nun ward. Er war der einzige, welcher im Wohl fahrts-Ausschusse von seinem ersten Ursprunge an bis in den Sept. 1794 war. Er verfaßte gewöhnlich die Addressen an die Armeen und das Volk. Sein Losungswort war jetzt Tod; allein kaum sah Barrere seinen Helden Robespierre, dem er auf das niedrigste geschmeichelt hatte, fallen, als er selbst mit über ihn herfiel, und sein Losungswort Tod sogleich in das gegenwärtig herrschende Mäßigung [123] verwandelte. Allein er entging seinem verdienten Schicksale nicht; er wurde mit Collot dʼ Herbois und Billaud Varennes (sämmtliche 3 erhielten den Namen der drei großen Verbrecher), zu Folge des Gerichts der niedergesetzten Commission von 23 Mitgliedern, den 2. März 1795 arretirt und bald darauf deportirt. Den neuesten Nachrichten zu Folge ist er jedoch aus seinem Gefängnisse entschlüpft.
Brockhaus-1809: Barrere (Interims-Nachtrag)