Das Stiergefecht

[393] Das Stiergefecht, dieses für die Spanier so höchst interessante Fest, hat fast in jeder nur mittelmäßigen Stadt Spaniens das Bürgerrecht erlangt, so, daß die größten Kosten darauf gewendet, und z. B. die, welche es bloß dem Könige bei dem Stiergefechte zu Madrit kostet, auf 40,000 Rthl. jedes Mahl angeschlagen werden. Diese an sich selbst grausame Soleunität besteht ungefähr in Folgendem: Einige Tage zuvor [393] wird das Fest vom Könige angesagt, und dieß ist nun das Signal zu sehr großen Freudenbezeugungen, wo Musik und alle Lustbarkeiten ihren Anfang nehmen. Vor allem werden in den Andalusischen Gebirgen die wilden Ochsen eingefangen, welche dann in einen großen Stall (Toril) gebracht werden, welcher in der Mitte des Platzes, wo das Gefecht vor sich gehen soll, befindlich ist. Um diesen Platz herum sind denn nun in den 5 Geschoß hohen Häusern die schönsten und aufs prächtigste tapezirten Erker und Logen angebracht, des Königs Loge in der Mitte. Alles Schöne und Prächtige ist hier zu sehen: die Damen (sonst immer verschleiert) sind hier ganz frei und ohne Flor; die Cavaliers paradiren auf den herrlichsten Pferden; die Gesandten und andere Standespersonen fahren mit ihren Equipagen erst auf dem Platze umher, ehe sie in ihre Logen gehen. Sobald der König durch ein Schnupftuch das Zeichen giebt, so wird das Volk von dem Platze weggeschafft, und dieser mit Wasser begossen. Die königliche Garde muß, dicht zusammengeschlossen, gleichsam die Schranken machen, durch welche sie auch keinen Stier durchlassen, sondern durch Vorhaltung der Hellebarden alle abwehren müssen. Die Torreadores, oder Cavaliers, welche mit den Stieren kämpfen, erscheinen in sehr zahlreichem Gefolge ihrer Diener, begrüßen unter Trompeten- und Paukenschall den König und die ganze Assemblee, und bitten erstern um die Erlaubniß, mit den Stieren fechten zu dürfen (wobei jedoch nur der Edelmann zu Pferde fechten, ein Bürgerlicher aber bloß zu Fuße streiten darf). Dann bezeigen sie ihrer Dame ihre Ehrfurcht; und nun giebt der König seinen vornehmsten Bedienten den Schlüssel zu dem Toril, welcher geöffnet und das Thier losgelassen wird. Der Stier, durch Schreien und Pfeifen der Leute, auch durch abgeworfene kleine Pfeile, welche ihm in die Haut fahren, noch grimmiger gemacht, geht nun auf einen Cavalier los, der allemahl sein Ankommen erwarten muß, wo denn im Anfange die Lanze, nachher aber der Degen oder Säbel gebraucht wird. Fällt endlich das Thier durch einen tödlichen Stich nieder, so schreit alles: Victor, Victor! und der Sieger trägt den höchsten Ruhm davon: das Volk stürzt herzu, und haut den Stier, welcher sogleich außer den Schranken gebracht[394] wird, in viele Stücken. So werden wohl an jedem Tage – das Fest selbst dauert 3, auch 4 Tage – auf 15 bis 20 Stiere gehetzt. Widersetzt sich ein Stier gar zu lange, so hetzt man endlich Englische Hunde auf ihn. Das Ganze ist an sich selbst ein barbarisches Fest, das nie ohne Blutvergießen oder ohne einige Leichen abläuft; allein eben dieß, meinen die Spanier, sei der ächte Charakter des Festes. Eben diese Lebensgefahr, und das Barbarische, das damit verbunden ist, hat öfters die Päpste bewogen, auf Abschaffung dieses grausamen Vergnügens zu dringen; allein die Spanier, die von dieser blutigen Fehde ganz bezaubert sind, haben sich dem Verbote jedes Mahl aufs heftigste widersetzt, und man hat es durch erkauften Ablaß für die Seelen derer, welche in solchen Gefechten bleiben, wieder gut zu machen gesucht.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 393-395.
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